Mit Blockchain medial in die Unabhängigkeit?

Foto: fotolia/Tomasz Zajda

Mit der Blockchain-Technik verknüpfen sich allerlei heilbringende Hoffnungen: Die neue Blockchain-Plattform Civil will jetzt Medienmacher_innen in den USA das Überleben im digitalen Zeitalter sichern. Civil ging vor rund einem Jahr an den Start und soll Journalist_innen, Leser_innen und Förderer direkt miteinander verbinden. Der Civil Newsroom fungiert als eine Art soziales Netzwerk oder Marktplatz. Die großen Platzhirsche Google und Facebook sollen aus dem Geschäft ausgeschlossen werden.

Um das Schreiben möglichst unabhängig zu gestalten, sollen die journalistischen Erzeugnisse von Werbung unberührt bleiben. Bezahlt wird über die Kryptowährung CVL-Token, die diese Woche zum ersten Mal ausgegeben wird. CVL ist die Civil-eigene Kryptowährung, die auch auf den Blockchain-Marktplätzen gehandelt werden soll. 34 Mio. CVL-Token werden in Umlauf gebracht, worüber mindestens 8 Mio. US-Dollar eingenommen werden sollen. Als oberstes Limit sind 24 Mio. US-Dollar gesetzt, um die Währung nicht der Spekulation auszusetzen. Verwaltet wird die Währung von der Civil Foundation, betrieben wird Civil von der Civil Media Company.

Das New Yorker Startup will dort bis Ende des Jahres über 1.000 neue Publikationen an den Start bringen. Die Finanzierung und Bezahlung soll über CVL-Token erfolgen. Vermittlungsgebühren gibt es nicht, womit alle Beträge zu 100 Prozent an Civil gehen, das heißt direkt an die Redaktionen. Sie können die Artikel gegen CVL-Token zu Minipreisen an die Leser verkaufen, was eine besonders engagierte Leserschaft voraussetzt. Hinter dem Startup steht eine Blockchain-Softwarefirma namens ConsenSys aus New York, die von Joseph Lubin gegründet wurde. Lubin selbst ist Mit-Gründer der prominenten Blockchain-Plattform Ethereum.

Nicht im luftleeren Raum

Ganz im luftleeren Kryptoraum agiert das neue Startup nicht. So investiert der Krypto-Fonds ConsenSys System 5 Mio. US-Dollar in die journalistische Plattform. Mit dabei sind auch die New York Times und Maria Bustillos vom New Yorker. Sie haben gemeinsam das Magazin Popula auf Civil gestartet. Auch ein Teil der Redaktion der Denver Post ist bereits zu Civil abgewandert und pflegt dort eine neue Nachrichtenplattform namens The Colorado Sun.

Die deutschen Verleger haben das Projekt bereits geortet: So wird Civil-Mitgründer Daniel Sieberg Ende September auf dem Zeitungskongress in Berlin auftreten, um über das Projekt zu erzählen. BDZV-Sprecher Alexander von Schmettow sagte „M“ dazu nur so viel: „Wir halten es für notwendig, die Verleger über die Entwicklungen der Blockchain-Technologie auf dem Laufenden zu halten.“ Eine Position des BDZV zu den Verheißungen der Blockchain-Technik gibt es noch nicht.

Rechtlich stehen Blockchain-Projekte zumindest in Deutschland auf wackligem Boden, da es keine spezifische Regulierung gibt. Rechtsanwältin Claudia Otto, Herausgeberin der Zeitschrift „Recht innovativ“, hält die Frage des rechtssicheren Einsatzes von Blockchain in der Mobilität im Moment „noch für problematisch“. Unter anderem kann es passieren, dass Verluste praktisch ungeschehen gemacht werden könnten. Das ist schon vorgekommen: Einfache Protokolländerungen reichten im Jahr 2016 dafür im Ethereum-Netzwerk aus.

Demokratische und transparente Regeln

Die Civil-Gründer haben jedenfalls einige Regeln aufgesetzt, die die Manipulation der journalistischen Berichterstattung verhindern sollen: Fact-Checking und Recherche können nach dem Wikipedia-Prinzip demokratisch und transparent organisiert werden. So sollen auf Civil einzelne Communities einen oder mehrere Journalist_innen für ein bestimmtes Thema suchen und bezahlen können. Umgekehrt können Journalist_innen für ihre Projekte Förderer suchen.

Jeder, der in CVL-Token investiert, wird automatisch Teilhaber an Civil. Mit einer Investition im Wert von mindestens 1.000 US-Dollar kann man sogar einen eigenen „Civil-Newsroom“ starten. Die Investoren bestimmen darüber, welche Projekte von Civil gehostet werden sollen. Sie können auch darüber abstimmen, ob Projekte gegen die journalistischen Leitlinien von Civil verstoßen und ob der entsprechende Newsroom geschlossen werden soll. Civil-Gründer Matthew Iles sagte gegenüber der New York Times, auf diese Weise solle sichergestellt werden, dass nicht nur wenige Investoren über die journalistischen Inhalte bestimmen.

Die Bemerkung von Iles hat folgenden Hintergrund: Die Redakteure des Startups „The Colorado Sun“, das bei Civil Unterschlupf gefunden hat, kommen von der Denver Post, die 2013 von einem Hedge Fonds übernommen worden war. Unter dessen Sparkurs litten die Redaktionsmitglieder so, dass es zu einer Art öffentlichem Aufstand kam: In einem Editorial forderte die Redaktion den neuen Besitzer zum Verkauf der Zeitung auf: „Denver verdient einen Zeitungseigener, der den Newsroom unterstützt.“ Bei Civil leben die Redakteur_innen nun die Eigenständigkeit – die Produktionskosten übernimmt für den Anfang die Plattform. Damit stehen sie nicht allein: Neben The Colorado Sun haben auch eine Reihe weiterer Newsrooms eine Starthilfe erhalten.

Leichter Einstieg ohne politische Präferenzen

Wer über die journalistischen Inhalte bestimmen soll, wird nicht weiter reguliert. Politische Präferenzen spielen keine Rolle. Die Gründer wollen es jedenfalls jedem ermöglichen, der sein Geld in konkrete journalistische Projekte investieren will. Deshalb wollen sie den Einstieg auch besonders leicht gestalten: Bei der US-Finanzaufsicht SEC können akkreditierte wie auch nicht-akkreditierte Investoren ihre Gebote abgeben. Gleichzeitig dürfen die Token nicht wieder verkauft werden, bevor die Investoren nicht 25 Prozent ihres Token-Bestands auf der Civil-Plattform für Transfers eingesetzt haben. Größere Investoren müssen sogar 50 Prozent ihrer Token re-investieren. Auf diese Weise sollen Spekulanten abgeschreckt werden.

Vor dem Start zeigten sich laut Coindesk bereits über 1.500 Investor_innen interessiert. Ob unter diesen eher ungewöhnlichen Bedingungen eine lebendige, am Journalismus interessierte Investoren-Community entsteht, bleibt abzuwarten. Spannend wird auch zu sehen sein, ob sich diese strengen journalistischen Leitlinien bei allen Newsrooms tatsächlich durchsetzen.


M gab 2017 bereits einen allgemeineren Überblick zum Thema Blockchain:
https://mmm.verdi.de/medienwirtschaft/netzrevolution-mit-blockchain-technik-43761

Bei den diesjährigen Medientagen in München vom 24. bis zum 26. Oktober wird es ein „Themenspecial Blockchain“ geben. Mit dabei als Speaker Matt Coolidge, Co-Founder der The Civil Media Company.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Wie prekär ist der Journalismus?

„Daten statt Anekdoten“, das war das Ziel des Forschungsprojekts „Prekarisierung im Journalismus“ an der LMU München, das nun nach fast fünf Jahren mit einem internationalen Symposium in München endete. Zu den Daten aus Europa hatte auch die dju in ver.di ihren Beitrag geleistet, als sie ihre Mitglieder um Teilnahme an der Online-Befragung bat und in M über die Ergebnisse berichtete.
mehr »

Pokerspiele der Süddeutschen Zeitung

Bei einer Betriebsversammlung des Süddeutschen Verlags am vergangenen Dienstag ruderte Geschäftsführer Dr. Christian Wegner etwas zurück. Er deutete an, dass der Stellenabbau in der Redaktion der Süddeutschen Zeitung (SZ) nicht ganz so dramatisch ausfallen könnte wie bislang befürchtet. In der vergangenen Woche war bekannt geworden, dass der Verlag in München für das laufende Jahr mit einem Abbau von 30 Vollzeitstellen plant. Die dju in ver.di kritisiert das Vorhaben scharf.
mehr »

Italien plant harte Strafen für Journalisten

Italien plant eine Reform seines Verleumdungsgesetzes. Das Vorhaben wird derzeit vom Justizausschuss des italienischen Senats geprüft und sieht neben höheren Geldstrafen auch ein gefährliches Verbot journalistischer Berufsausübung vor. Verurteilte Reporter*innen könnten ein Arbeitsverbot von bis zu sechs Monaten erhalten. Auch Haftstrafen für Medienschaffende, die eigentlich nicht im Gesetz auftauchen sollten, werden in einem jüngsten Änderungsantrag wieder hinzugefügt.
mehr »

Echte Menschen in Film und Fernsehen

Wie wird Künstliche Intelligenz das Filmgeschäft verändern? Und welche Auswirkungen hat die Technologie auf die Kreativen? Die Erwartungen an KI sind groß, die Befürchtungen aber auch. Denn Algorithmen können mit Hilfe von großen Datenmengen schon heute Stimmen oder Deepfakes erstellen. Auf der Fernseh- und Streaming - Messe MIPTV in Cannes beschäftigte das Thema die internationale Branche.
mehr »