Buchtipp: Sprache in den Medien

Buchcover

Seit Jahrhunderten wird den Zeitungen eine Verhunzung der deutschen Sprache vorgeworfen. Zeitungsschreiber seien als „Sudler“ für alle nur erdenklichen Sprachverhunzungen verantwortlich. Das Zitat stammt vom 1860 verstorbenen Philosophen Arthur Schopenhauer. Schon 1643 geißelte der Arzt und Dichter Christoph Schorer aus Memmingen die „Sprachverderber“, weil sie so viele französische und lateinische Vokabeln verwendeten.

Wie hätten die beiden Herren wohl auf die gegenwärtigen Verhältnisse reagiert? Schließlich hat sich das Englische der deutschen Sprache auf eine Art und Weise bemächtigt, die viele Menschen gar nicht mehr wahrnehmen. Wer sich über Verbalentgleisungen wie „performen“ oder „managen“ echauffiert, muss mit dem Etikett „Sprachschrebergärtner“ leben, wie die „taz“ solche Kritiker mal genannt hat.

Meist sind es Pädagogen und Wissenschaftler, die den Medien vorwerfen, sie seien dafür verantwortlich, „dass sich grammatische Fehler, stilistischer Unfug, Vulgarismen und Anglizismen ausbreiteten“. Deshalb gehe es auf ihre Kappe, „wenn Wortschatz und Rechtschreibung junger Menschen dramatischen schrumpften“. So beschreibt es jedenfalls Gunter Reus in seinem zwar schmalen, aber ungemein erhellenden Büchlein „Sprache in den Medien“. Auf nicht mal hundert Seiten erläutert der Journalistikprofessor im Ruhestand (Hochschule für Musik, Theater und Medien, Hannover), warum jedoch weder die Diagnose vom Sprachverfall noch die Beschuldigung der Medien haltbar seien. Sie bildeten lediglich ein Spiegelbild des gesellschaftlichen Sprachgebrauchs.

Aber nicht nur das: „Es waren und sind die Medien, die der Gesellschaft den Reichtum sprachlicher Ausdrucksmöglichkeiten erschließen. Sie machen Sprache als Kulturleistung zugänglich.“ Es sei ihre Aufgabe, „die ‚Händel der Welt’ verstehbar und durchschaubar zu machen“, also Öffentlichkeit herzustellen. Dafür müssten sie das, „was gesellschaftlich verstanden werden soll, in eine sprachlich verständliche Form“ bringen. Erst der einheitliche Sprachstil der Zeitungen habe dazu geführt, dass sich in Deutschland eine Standardsprache („Hochdeutsch“) entwickelt habe.

Die Kommunikationswissenschaft geht davon aus, dass Zeitungen im 17. Jahrhundert bereits ein Viertel und im 18. Jahrhundert sogar die Hälfte der Bevölkerung erreichten. Wer nicht selbst lesen konnte, dem wurde vorgelesen. Auch die Alphabetisierung der Menschen hätte ohne Zeitungen viel länger gedauert. Darüber hinaus gehört es für Reus zu den großen Sprachleistungen des Journalismus, Ausdrucksformen entwickelt zu haben, mit denen die Autorinnen und Autoren ihr Publikum erreichen.

Selbst das Internet ist seiner Ansicht nach besser als sein Ruf. Linguistische Untersuchungen hätten bislang nicht nachweisen können, dass sich das sprachliche Ausdrucksvermögen von Jugendlichen oder jungen Erwachsenen durch digitale Medien verschlechtert habe. Studien belegten, dass ihre Texte sogar kreativer, lebendiger und phantasievoller geworden seien. Reus attestiert den Medien daher, sie hätten „massiv dazu beigetragen, dass die Verständigung innerhalb der Gesellschaft leichter und besser wurde und dass Sprache durch sie an Vielfalt und Nuancenreichtum hinzugewonnen“ habe.

Gunter Reus: Sprache in den Medien, Springer VS, Wiesbaden 2020, 98 Seiten, 22,99 Euro, ISBN: 978-3-658-00860-4

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

72 Angriffe auf die Pressefreiheit

Die aktuelle Ausgabe des Monitoring-Berichts von Media Freedom Rapid Response (MFRR) dokumentiert und analysiert die Verletzungen der Medienfreiheit, die sich in der ersten Jahreshälfte 2024 in Europa ereignet haben. In Bezug auf Deutschland wurden 72 Vorfälle registriert, von denen 116 Medienschaffende oder -einrichtungen betroffen waren. Der Bericht stellt eine neue Qualität von Protesten fest, in deren Kontext es auch zu Einschränkungen der Medienfreiheit kam.
mehr »

Ansätze der Wahlberichterstattung

Berichten über Landtags- oder Kommunalwahlen. Wie geht das? Im M – Medienpodcast mit Danilo Höpfner erklärt der Journalist Benjamin Denes, Geschäftsführer der Electronic Media School in Potsdam-Babelsberg, welchen Herausforderungen sich Journalist*innen im Zuge von Wahlberichterstattung ausgesetzt sehen und wie sie mit diesen fachlich genau umgehen können.
mehr »

Immerhin gibt es Presse

Der Iran gehört zu den repressivsten Ländern weltweit für Journalist*innen. Hunderte wurden strafverfolgt, inhaftiert oder hingerichtet. Medien unterliegen systematischer staatlicher Kontrolle, das Internet wird umfassend zensiert und überwacht. Dennoch wird viel über den Iran berichtet und viele Iraner*innen nutzen soziale Medien. Es gibt einen öffentlichen politischen Diskurs. Ein Gespräch mit dem Historiker Arash Azizi.
mehr »

Schon entdeckt? Gazer

„Viel Spaß beim Gaffen!“ wünscht das Redaktionsteam des Hamburger queerfeministischen Erotikmagazins seinen Leser*innen. Soeben ist die dritte Ausgabe erschienen. Es gibt Interviews mit Drag Queens und Erotikfotograf*innen, Comics und empowernde Fotostrecken, Ratgeber zu Selbstbefriedigung und toys zur Selbstbefriedigung. Das Magazin will informieren, aufklären, anregen und Lust machen. Besonders wichtig ist es den Herausgeber*innen, Raum für diverse Körper und Lebensentwürfe zu schaffen.
mehr »