BVerfG: Verpixeln ist Sache der Redaktion

Justitia Foto: Hermann Haubrich

Bildjournalist*innen können nicht strafrechtlich dafür zur Verantwortung gezogen werden, wenn ein Foto unverpixelt veröffentlicht wird. Verantwortlich für die Verpixelung von Personen auf Fotos sind die Redaktionen, nicht die Fotografen*innen. Das ergibt sich aus einer erfolgreichen Verfassungsbeschwerde, über die das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am 8. Juli 2020 entschieden hat.

Im konkreten Fall ging es um eine Fotoaufnahme, die einen dunkelhäutigen Patienten im Wartebereich eines Universitätsklinikums zeigt und die nach der Weitergabe an die Presse unverpixelt in der Onlineausgabe einer großen deutschen Tageszeitung veröffentlicht worden war. „Der zugehörige Bericht sollte unzureichende Sicherheitsvorkehrungen des Klinikums in Ebola-Verdachtsfällen dokumentieren“, teilt das Bundesverfassungsgericht in seiner Pressemitteilung mit.

„Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung waren die Ausbreitung des Ebola-Virus und die Sorge darum Themen, die in der Öffentlichkeit breite Aufmerksamkeit erfuhren.“
Unmittelbar nach der Aufnahme des Bildes in der Klinik sei der Fotojournalist von dem Abgebildeten, der behandelnden Ärztin und der herbeigerufenen Polizei wiederholt zur Löschung aufgefordert worden. Vor der Weitergabe an die veröffentlichende Presseredaktion hätte der Fotograf das Bildmaterial unter Erläuterung des Entstehungskontextes auch anderen Nachrichtenredaktionen angeboten. Bei der Weitergabe des nicht verpixelten Bildmaterials an die Redaktion des veröffentlichenden Presseorgans sei die Frage der Verpixelung nicht thematisiert worden.

Das Amtsgericht und Landgericht Aachen sowie schließlich das Oberlandesgericht Köln verurteilten den Bildjournalisten daraufhin wegen unbefugten Verbreitens eines Bildnisses gemäß der Paragrafen 33 und 22 f. des Kunst-Urhebergesetzes (KunstUrhG) zu einer Geldstrafe, weil das Foto ohne Verpixelung des Gesichts veröffentlicht wurde.

Das Bundesverfassungsgericht hält jedoch die alleinige Berufung auf das KunstUrhG für unzureichend und entschied anders (Az.: 1 BvR 1716/17). Berücksichtigt werden müsse auch der Eingriff in das Grundrecht der Pressefreiheit nach Artikel 5 Absatz 1 des Grundgesetzes. Insbesondere die fehlende Verpixelung der Bildaufnahmen sei kein Umstand, aus dem sich eine Verletzung von Sorgfaltspflichten zum Zeitpunkt der Weitergabe ergeben könnte. „Denn angesichts der presserechtlich gebotenen Prüfung und Verantwortung der veröffentlichenden Redaktion kann eine Verpixelung schon bei einer Weitergabe von Fotos an die Presse grundsätzlich nicht verlangt werden.“ Es „liegt in der Verantwortung der Redaktionen, bei der Veröffentlichung von Bildaufnahmen die Rechte der Abgebildeten zu wahren, über die hierzu nötige Fachkunde zu verfügen und die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen“.

Für Bildjournalisten*innen ist das insgesamt ein gutes Urteil, auch wenn die Karlsruher Verfassungsrichter einschränken, dass dies ein spezieller Fall sei, der nicht die Sorgfaltspflicht für externe Bildarchive bei der Weitergabe von Fotos zur Veröffentlichung in der Presse schmälere. Der konkrete Fall muss nun erneut vor dem Landgericht verhandelt werden, das klären soll, ob der Bildjournalist „die Presseredaktion auf den für die Wahrung der Rechte des Betroffenen bei einer Veröffentlichung relevanten Umstand hinwies, dass dieser der Aufnahme von Fotos ausdrücklich widersprochen hatte“. Es sei nicht auszuschließen, so die Verfassungsrichter, „dass die Gerichte bei erneuter Befassung zu einer anderen Entscheidung in der Sache kommen werden“.

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