DuMont macht das Licht aus am Berliner Alex

Es wurde schon dunkel, als sich alle zu einem Foto auf dem Dach des Verlagsgebäudes versammelten.
Foto: Andreas Klug

„Es soll ein netter Ausklang werden“, meinte Betriebsratschefin Renate Gensch, als die Interessenvertretung eine Abschiedsparty im Saal des Berliner Verlags am Alexanderplatz avisierte. Eingeladen waren alle, die hier zuletzt gemeinsam Zeitungen gemacht hatten. Mehr als 100 kamen. Anfangs schien noch die Sonne, dann wurde es Nacht. Die Musik blieb unbeachtet, Tanzen wollte niemand. Aber Reden, bis zum Morgengrauen.

Kolleginnen und Kollegen trafen am 31. März 2017 zusammen. Ehemalige, muss es nun vielfach heißen. Mitgebrachte kulinarische Eigenkreationen, Selbstgebackenes oder Knabberzeug streckten sich zum üppigen Büffet. Getränke hatte der Betriebsrat auf Kommissionsbasis geordert. Vor der „Bar“ herrschte Dauerbetrieb.

Es wird Nacht, Señorita, und ich hab kein Quartier

Im Foyer stieß man zuvor auf kartonbeladene Möbelpacker, die das Verlagshaus weiter leerten. Am 30. Juni soll es für den neuen Besitzer besenrein sein. Was aus dem imposanten Bau mit der weithin sichtbaren Zeitungsreklame künftig wird, darüber verdichten sich Gerüchte. Etwas mit Medien wohl kaum mehr. Alle bisherigen Arbeitsplätze werden geräumt. Zuletzt sollen im Mai die Anzeigenleute raus. Anweisungen, welche Unterlagen wie abzuholen oder zu entsorgen sind, gab es schon zu Jahresbeginn. Da war das hauptstädtischen DuMont-Projekt „Neubeginn“ drei Monate alt. Inzwischen sieht man Ergebnisse.

Nimm mich mit in dein Häuschen…

Die Onliner von Berlin24 wurden komplett übernommen. Auch für die Edelfedern aus der Redaktionsgemeinschaft waren Plätze im Neubau gesetzt. Andere Redakteurinnen und Redakteure, die in der neuen Newsroom GmbH in die Alte Jakobstraße eine Anstellung bekommen und angenommen haben, sind vor Wochen dorthin umgezogen. Gemeinsam mit Neueingestellten produzieren sie „in schneller Taktzahl“ Content für die „Berliner Zeitung“, das Boulevardblatt „Berliner Kurier“ und deren Online-Ausgaben. Etliche Insider sprechen von professionellem Arbeiten in „gutem Klima“ unter sachlich-kompetent agierenden Chefs. Nur von der angekündigten digitalen Revolution in den Arbeitsprozessen sei noch immer wenig zu spüren. Ob man neben der Profession neuerlich sein Herz oder ehrenamtliches Engagement an das Unternehmen in Kreuzberg hängen werde, stehe dahin. Noch gibt es in der Newsroom-Gesellschaft weder Betriebsrat noch Redaktionsausschuss. Über einen Tarifvertrag verhandeln die Gewerkschaften mit der Geschäftsführung. Die Positionen lägen – auch mit Blick auf bisher Übliches – noch recht weit auseinander, hört man bei ver.di. Anfang April sind weitere Verlagsmitarbeiter_innen in den Neubau gezogen. Ihr offiziell erster Arbeitstag begann mit Feueralarm. Der erwies sich zwar als harmlose Kollateralfolge anhaltenden Baugeschehens. Doch landeten so auch am neuen Standort alle schon mal auf der Straße…

Etwas Ruhe vielleicht; ich bin müde vom Wandern

Im Mittelpunkt der Abschiedsparty standen die Gekündigten ohne direkte Anschlussbeschäftigung: 85 aus den bisherigen Redaktionen von Tageszeitung und Kurier. Bei manchen, so hörte man an diesem Abend, hing ihr gesamtes bisheriges Berufsleben mit dem Haus Karl-Liebknecht-Straße 29 zusammen. Eine versierte Layouterin erzählt, dass sie einst in der zugehörigen Druckerei eine Lehre als Schriftsetzerin begann. Künftig könne sie sich vorstellen, etwas mit 3-D-Animationen zu machen, doch müsse sie die Jahrzehnte und „den ganzen Stress erst einmal sacken lassen“. Eine gute Seele aus dem Lokalen des Berliner Kurier hat schon als Ferien-Schülerin im Haus gejobbt und startete vor 37 Jahren als „Eilbotin“. Die längst bewährte Redaktionssekretärin will nun auch in der Transfergesellschaft weitersehen, zuvor aber „den Sommer ihres Lebens“ genießen. Nur Alfred, der kleine Präsente verteilt, „reicht es“. Eine Telefonanlage, wie er sie jahrzehntelang in einem eigenen Raum beherrscht hat, passe heute in einen kleineren Schrank. Der 69-Jährige freut sich einfach aufs Rentnersein.

Vor der „Bar“ herrschte dauernd Betrieb.
Foto: neh

Freilich wird die Situation allen durch beträchtliche Abfindungen erleichtert. Doch vor allem Jüngeren fehlt verständlicherweise die perspektivische Gelassenheit. Einige Verlagsmitarbeiter_innen haben die Transfergesellschaft bereits in eine Festanstellung wieder verlassen. Die Journalist_innen, deren Kündigungen erst zum 30. Juni wirksam werden, sind zunächst freigestellt. „Ein Redakteur, übrigens DJV-Kollege, beginnt beim DGB als politischer Referent“, weiß die Betriebsratsvorsitzende. Die meisten seien noch auf der Suche, mehr oder weniger eifrig. Doch wechseln insgesamt 67 von 107 ehemalige Redaktions- oder Verlagsbeschäftigte, auch aus der ausgelagerten IT und dem Lesermarkt, zunächst in die per Sozialplan ausgehandelte Transfergesellschaft. Das schafft ihnen maximal zwölf Monate Zeit, in denen sie für 80 Prozent ihres letzten Nettogehalts Kurse und Coachings wahrnehmen und sich gleichzeitig auf dem Arbeitsmarkt umtun können.

Ich will gar nichts von Dir!

Geklagt gegen die Kündigung – de facto ein massenhafter Personalabbau ohne Sozialauswahl – hat kein_e Festangestellte_r. Das heißt auch: Die zweifelhafte Betriebsschließung, bei der nach Ansicht des DuMont-Konzerns sämtliche bisherigen Arbeitsplätze wegfallen, während in einer Neugründung, der Berliner Newsroom GmbH, etliche neue entstünden, wird juristisch nicht hinterfragt werden. Offenbar rechnet sich niemand einen Vorteil von einem Rechtsstreit aus. Stellen die ausgehandelten Sozialpaketvereinbarungen also alle zufrieden? Rechtsanwalt Thomas Gerchel, der die Betriebsräte am Alexanderplatz seit fast drei Jahrzehnten berät, sieht das akut so. Ob auf Dauer, werde sich zeigen.

… nicht so schlecht wie die andern

Fakt ist: Mit dem Kahlschlag am Berliner Alex geht auch eine Ära betrieblicher Interessenvertretung in der Verlagslandschaft der Bundesrepublik zu Ende, die ihresgleichen sucht. 1990 hatte sich beim Berliner Verlag ein Betriebsrat gegründet, in den Vertreter_innen der zahlreichen, zu DDR-Zeiten hier angesiedelten Redaktionen gewählt wurden. Wichtige Aufgabe: Umstrukturierungen und den Gang in die Marktwirtschaft begleiten. Praktisch hieß das, die Beschäftigten vieler Blätter bestmöglich bei deren Abwicklung abzufedern. Der starke Betriebsrat mit dem kämpferischen wie kundigen Bayern-Import Peter Venus an der Spitze organisierte auch in den Jahren danach Widerstand gegen Personalabbau. Das blieb so, als 1996 Renate Gensch den Vorsitz übernahm – egal, ob das Verlagsunternehmen am Alexanderplatz als Gruner + Jahr-Tochter firmierte, versuchsweise an Holtzbrinck ging, in die Hand britisch-amerikanischer Finanzinvestoren geriet oder seit Anfang 2009 zum DuMont-Imperium gehörte. Speziell der Kampf gegen die Mecom-„Heuschrecke“ des David Montgomery fand bundesweit Beachtung und gehört zur ver.di-Geschichte.

Im Oktober 2005 protestierten Beschäftigte des Berliner Verlages gegen den Verkauf an den britischen Finanzinvestor David Montgomery.
Foto: Christian von Polentz/ transitfoto.de

Mit der Verhandlung eines Redaktionsstatuts brachte sich die Redaktion der Berliner Zeitung 2006 ihrerseits in das selbstbewusste Ringen um Qualitätsjournalismus ein. Das Statut wurde drei Jahre später auch gegen die Outsourcing-Strategie von DuMont und gegen die Schaffung von Redaktionsgemeinschaften mit der Frankfurter Rundschau ins Feld geführt. Deshalb bescheinigten Medienanalysten der DNA der „Berliner“ gar ein dominantes Revoluzzer-Gen. Zuletzt hatten die in einem Gemeinschaftsbetriebsrat agierenden Interessenvertretungen am Alexanderplatz mit mehreren Entlassungswellen, gegen kleinteiligste Aufsplittungen und Tarifflucht als Strategie zu kämpfen. Der gewerkschaftlich ausgehandelte Haustarifvertrag für den Berliner Verlag wurde ausgehöhlt, doch hielt stand. Am Ende aber mussten die Betriebsräte den Sozialplan verhandeln, der nun mehrheitlich für sie selbst zur Anwendung kommt.

Es wird Nacht

Als Renate Gensch zur Abschiedsparty ans Mikrofon trat, verwies sie auf gemeinsam Durchfochtenes. Sie bedankte sich für das über die 26 Jahre ihres Betriebsratsvorsitzes gelebte Vertrauen. Auch ihr wurde gedankt.

Nu is Schluss, sagt die Betriebsratsvorsitzende.
Foto: neh

Der schon früher von Bord gegangene Korrespondent Sascha Langenbach versicherte allen: „Es gibt ein Leben danach.“ Beim Abschiedsfoto auf dem Dach über der 16. Etage musste das letzte Abendlicht reichen. Unten wurde erneut Sekt ausgeschenkt. – Bei der Kölner Konzernmutter erdachte man für das Hauptstadt-Projekt nun die Dachmarke „DuMont Berliner Verlag“. Wird sie im kühl-kantigen Feratti-Neubau je ein Zuhause finden? Die Speicherkapazität einer DNA – lässt sich bei Wikipedia nachlesen – kann bislang technisch nicht nachgebildet werden. Olé! Oder eher oh je?

 

 

 

 

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