Es geht nicht um mehr, sondern um Anderes

Ulrik Haagerup, ehemaliger Nachrichtenchef des Dänischen Rundfunks
Foto: Katharina Bowinkelmann

Wie könnte der angeblichen Fixierung auf „bad news“ in der aktuellen Berichterstattung eine konstruktivere, lösungsorientierte Berichterstattung entgegengesetzt werden? Während in Deutschland erste „konstruktive“ Formate, wie das Nachrichtenportal Perspective Daily oder das neue ZDF-Magazin plan b, online gegangen sind, arbeiten dänische Initiatoren der Bewegung um Ulrik Haagerup an der Vernetzung und Institutionalisierung des konstruktiven Journalismus.

Anfang September gründeten sie das Constructive Institute in Aarhus, das unter anderem auch die Ausbildung in konstruktivem Journalismus voranbringen will. Ende September fand die erste weltweite Constructive Journalism Conference in Aarhus statt. M sprach mit Ulrik Haagerup, dem ehemaligen Nachrichtenchef des Dänischen Rundfunks.

M |Bei der Global Constructive Journalism Conference wurden viele Best Practice-Beispiele vorgestellt. Jedoch war kein einziger Vortrag aus Deutschland dabei. Was sind die Gründe?

Ulrik Haagerup | Nach der Veröffentlichung meines Buches „Constructive News“ 2015 war ich oft in Deutschland eingeladen, beim Bayerischen Rundfunk, beim Hessischen Rundfunk. Es gab viele Leute, die über konstruktiven Journalismus sprachen – aber vielleicht noch nicht ganz so viele, die ihn umgesetzt haben. Aber es gibt sicher auch eine eine gute Praxis aus Deutschland.

Welche gelungenen Beispiele für Constructive News von der Konferenz sind dir im Gedächtnis geblieben?

Die Kolleginnen und Kollegen aus Indien, die constructive storytelling auf mobilen Geräten gezeigt haben, Kollegen vom Minneapolis Star Tribune, die eine constructive story über Aarhus machten und in die USA schickten. Und Tom Coll von der BBC, der Beispiele aus der BBC-Reihe World Hacks zeigte.

Die Arbeitsproben waren tatsächlich sehr unterschiedlich. Das niederländische Online-Magazin de Correspondent hatte einen Beitrag über die Schuldenfalle für säumige Gebührenzahler, der in den Niederlanden zu einer politischen Kampagne führte. Das schwedische Radio brachte ein recht konventionelles Interviewformat mit, bei dem Arbeiter zu aktuellen politischen Reizthemen befragt werden. Worin lag da der neue und konstruktive Fokus der Beiträge?

Die Schweden sind bei ihrer Präsentation vielleicht etwas zu sehr bei der Darstellung der Probleme geblieben und haben die Lösungsansätze nicht mehr gezeigt, die auch in ihren Reportagen zu hören sind. Und vor Journalismus als Aktivismus habe ich eine gewisse Furcht. Das sollte nicht die Aufgabe von Journalismus sein. Auf einer lokalen Ebene kann ich mir solche Aktivitäten vorstellen, „Hallo Leser, lass uns hier vor Ort einen ganz bestimmten Missstand ändern“. Beim ZDF könnte ich mir diese Linie nicht vorstellen. Letztlich wird aber immer noch viel ausprobiert und versucht und auch das wollten wir mit den genannten Best Practices auf der Konferenz zeigen.

An der Universität Aarhus wurde das Constructive Institute gegründet. Gibt es bereits Studien, Zahlen, eine globale Perspektive für den konstruktiven Journalismus?

Zu den negativen Erscheinungen des aktuellen Newsgeschäfts gab es bereits Untersuchungen. Das Reuters Institut zur Untersuchung des Journalismus an der Universität Oxford hat in einer globalen Studie nachgewiesen, dass Menschen langsam aufhören, Nachrichten zu verfolgen – und zwar quer durch alle Medienarten und Kanäle. 48 Prozent der Befragten begründeten das mit den negativen Auswirkungen auf ihre Stimmungslage, 27 Prozent, weil sie den News nicht mehr vertrauen und etwa 18 Prozent glauben, sowieso nichts ändern zu können. News wirken inzwischen oft depressiv, kreieren Apathie und Misstrauen. Sie schüren Misstrauen in die Demokratie und verhindern, dass sich Menschen an demokratischen Prozessen beteiligen. So weit so schlecht. Was wir jetzt untersuchen müssen, sind die möglichen Effekte eines konstruktiven Journalismus. Wird der eher wahrgenommen? Hat er aktivierende Wirkungen? Betrachten die Leute ihn als relevanter und bedeutsamer? Würden die Leute eher dafür bezahlen?

Mit de Correspondent in den Niederlanden und Perspective Daily in Deutschland haben junge Kolleg_innen, teilweise auch Nicht-Journalist_innen, zwei explizit konstruktive Online-Medien gestartet. Beide Projekte sind nur online, werbefrei und per Crowdfunding finanziert. Sind das möglicherweise die zukünftigen Merkmale konstruktiver Medien?

Vielleicht ja. Ganz sicher müssen wir aber neue Finanzierungsmodelle für Journalismus finden. Google und Facebook kontrollieren 85 Prozent der Werbeeinnahmen weltweit. Die Leser der Werbeindustrie zu verkaufen, funktioniert nicht mehr lange. Gebührenmodelle, also mit staatlicher Hilfe von allen Bürgern Gebühren einzuziehen, um damit News zu produzieren, ist unter fürchterlichem Druck. Einen Philanthropen finden, der Nachrichten finanziert? Ich denke an Amazon-Chef Jeff Bezos und sein Engagement bei der Washington Post, das zunächst nicht nach offensichtlicher Profitmaximierung aussieht.

Zusammenfassend: Die alten Modelle erodieren und wir müssen neue Modelle finden. Konstruktiver Journalismus kann dabei helfen, wenn er glaubwürdig ist und Kunden bindet – sogar auf der Ebene der Lokalmedien. Die Gefahr beim Crowdfunding von Journalismus ist, dass hier die elitäre Nische droht. Du hast deine Supporter, deine Community, die dich liebt. Aber trotz der Einsparung bei den Vertriebskosten kannst du so vielleicht kleine Teams finanzieren, aber keine größeren Newsrooms.

Aber sind konstruktive Beiträge nicht auch aufwändiger in der Produktion als ein konventionelles Stück? Mehr Recherche, mehr Perspektiven, andere Gesprächspartner_innen als die üblichen Verdächtigen, mehr Factchecking, ….

Nein. Wirklich nicht. Bei DR, dem dänischen Rundfunk, dessen Chefredakteur ich war, hatten wir ein Hard Talk-Format. Zwei Journalisten „grillten“ einen Politiker als „Interviewopfer“ – beachte bitte das wording, „Interviewopfer“. Das war eine typische Verfahrensweise. Wir probierten dann etwas Neues: „Far from Parliament“ und schickten zwei Politiker als Interviewer los, etwa zum Thema Prostitution, in ein Bordell. Die Prostituierten berichteten ihnen von ihren Erfahrungen, hatten ganz unterschiedliche Haltungen. Plötzlich war Neugierde in der Sendung, Aktivität. Gewissheiten kamen ins Schwanken, Zweifel kamen auf, man begann zu diskutieren. Leute wurden ernst genommen.

Nochmal: Es geht nicht um mehr vom Gleichen, sondern um Anderes – und das bekommen wir hin.

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