Im Fadenkreuz der rechten Szene

Fotojournalist Alfred Denzinger bei der Arveit auf einer Demo Rechtsextremer mit großem Polizeiaufgebot. Foto: beobachternews

Hetze gegen Journalist*innen im Internet konsequent strafrechtlich verfolgen

Journalist*innen kommen der rechten Szene in die Quere, wenn sie deren demokratiefeindliches Treiben und ihr nationalsozialistisches Gedankengut offenlegen. Das aber ist ihr Job. Die Folge sind häufig Bedrohungen, Beschimpfungen, Hetze, mitunter körperliche Gewalt gegen die Berichterstatter*innen. Einer, der das seit Jahren erfährt und sich dagegen wehrt, ist der Stuttgarter Fotograf, Herausgeber und Chefredakteur der „Beobachter News“ Alfred Denzinger. Das journalistische Portal aus dem Remstal berichtet über die politischen Bewegungen im Südwesten Baden-Württembergs. Im Fokus: Demonstrationen und Proteste gegen Nazi-Aufmärsche und andere Aktionen der rechten Szene. Aber auch Aktionen für Flüchtlinge, Wahlkämpfe, Streiks, Bundeswehr-Gelöbnisse, Blockupy-Aktionen oder Polizeiaktionen sind Themen des Online-Mediums.

Aufgrund der kritischen Berichterstattung geriet Denzinger schnell ins Fadenkreuz der rechten Szene und der Reichsbürgerbewegung. Er erhielt Morddrohungen. Die Täter beschmierten sein Haus mit Farbe, zerstachen die Reifen seines Autos und sprühten im Umfeld seines Wohn- und Arbeitsortes Parolen wie „Denzinger jagen“. Gefasst wurden die Täter nie. Anfang 2020 setzte ein einzigartiger Shitstorm gegen den kritischen Journalisten ein, gepaart mit einer existenziell bedrohlichen Lage. Ausgangspunkt war der Aufruf des AfD-Landtagsabgeordneten Stefan Räpple zu einer Demonstration gegen den SWR und seine Beschäftigten in Baden-Baden am 4. Januar 2020. Räpple tönte dabei von „Zwangsgebühren für linke Propaganda“. Auch der Freiburger Rechtsanwalt und AfD-Mann Dubravko Mandic hetzte in hämischem und hasserfüllten Ton gegen die SWR-Beschäftigten, verhöhnte und bedrohte sie. In Köln fand parallel eine AfD-Demonstration gegen den WDR statt.

Aufgerufen von ver.di, dem DGB, der Linken, Attac, DJV, SPD und Grünen gab es in Baden-Baden eine machtvolle Gegendemonstration – für unabhängige Medien und gegen die Bedrohung von Journalist*innen durch Rechtsextreme. Unter anderem Mandic hatte die Journalisten vor Ort im Blick und behauptete, die Pressefotografen am Rande ihrer Kundgebung seien Antifa-Fotografen, unter ihnen Alfred Denzinger. Offenbar von rechten Demonstranten animiert, stellte der Einsatzleiter der Polizei vor Ort die Personalien des Chefredakteurs der „Beobachter News“ fest – eine „Präventivmaßnahme“, hieß es zur Begründung. Eine Rechtsgrundlage habe es für dieses Vorgehen mitnichten gegeben, sagte Denzinger.

AfD-Mann Mandic (li.) hetzte in Baden-Baden gegen Beschäftigte des SWR. Auch Afd_Abgeordneter Räpple (re.) kam noch zu Wort, um gegen den Rundfunk zu giften. Foto: Wolfgang Weichert

Verlängerter Arm rechter Gewalttäter

„Wir erwarten von Polizei und Staatsanwaltschaft, dass die Drohungen der Rechtsextremen gegen Journalist*innen ernst genommen werden und dass diejenigen, die solche Mordaufrufe im Internet veröffentlichen, konsequent strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden“, forderte der baden-württembergische ver.di-Landesfachbereichsleiter Medien Siegfried Heim. Die Polizei müsse gerade während Demonstrationen dafür sorgen, dass Journalist*innen ihrer Arbeit ungehindert nachgehen können, betonte Heim in einer Medieninformation vom 14. Januar 2020. Die in Baden-Baden vorgenommene Personenkontrolle beim Mitglied der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju in ver.di) Alfred Denzinger sei nicht nur unnötig gewesen, sondern eine grundlose Schikane, bei der sich die Polizei zum verlängerten Arm der rechtsextremen Verbal-Gewalttäter gemacht habe. Heim verwies darauf, dass die dju in ver.di bereits im August 2018 schriftlich bei Innenminister Strobl (CDU) gegen derartiges Vorgehen gegen Journalist*innen protestiert habe.

Auf Facebook tauchte ein Steckbrief Denzingers auf. Der wurde dort mehr als 2.500 Mal geteilt und auch über andere Kanäle wie auf dem von deutschen Rechtsextremisten intensiv genutzten russischen sozialen Netzwerk „VK“, über Telegram, Twitter … verteilt. „Beobachter News“ geht von etwa 10.000 Posts, Tweets und Likes aus. Tausendfach wurden Porträtfotos des Fotografen – und andere, die ihn u.a. mit seinem Sohn zeigen – sowie vom Journalisten fotografierte Demo-Bilder verbreitet, natürlich ohne dessen Genehmigung und versehen mit verlogenen Kommentaren. Dazu kommen völlig haltlose und irrige Vorwürfe, beispielsweise: Er fotografiere gezielt AfD-Einzelpersonen mit Teleobjektiv, um diese bei ihren Arbeitgebern zu denunzieren: „So wie hier bei der AfD-GEZ-Demo am 4.1.20 in Baden-Baden!“. Des Weiteren diffamierende Kommentare und Androhungen körperlicher Gewalt – bis hin zu Morddrohungen. Denzinger wird beschimpft als „Parasit“, „Rädelsführer“, „Denunziant“ …, auf einer Liste der „Volkverräter“ geführt. Seine Adresse wird ins Netz gestellt. Man droht ihn „abzuknallen“, die „Hütte ab(zu)fackeln, das Auto auch“ und fragt „Warum lebt so ein Genmüll dann noch. Kann er keinen Unfall haben?“

Alfred Denzinger beschließt, sich auch juristisch zu wehren und stellt Strafanzeige gegen etwa 320 Personen. Rund 250 Ermittlungsverfahren werden eingeleitet, davon 150 ohne und 15 mit Auflagen eingestellt. Etwa 130 Verfahren laufen noch. Inzwischen kam es zu Gerichtsverhandlungen in Berlin und Waiblingen.

Berlinerin der Beleidigung überführt

Zu den vielen, die Beschimpfungen und Beleidigungen des Stuttgarter Journalisten im Netz weiterverbreitet haben, gehört die 57 Jahre alte Berlinerin Solveig P.. Sie erhielt dafür einen Strafbefehl. Ihr Widerspruch brachte sie am 21. September vor das Amtsgericht Berlin-Tiergarten. Bis jetzt habe sie nicht verstanden, was man von ihr wolle, erklärte sie als erstes in der Verhandlung. Der Vorwurf: Die Angeklagte habe auf Facebook den Steckbrief mit dem Foto Denzingers weiterverbreitet – dazu der Kommentar: „was für ein alter dummer widerlicher Sack“. Solveig P. bestritt, den Post abgesetzt zu haben. Sie kenne „den Mann ja auch gar nicht“. Zudem sei „ja nicht klar, ob das überhaupt mein Facebook-Profil“ sei. Hier müsse ein „Profildieb“ unterwegs gewesen sein. Schließlich sei es sehr einfach, solche Fakes einzurichten. Es gebe genügend Betrüger-Programme, meinte die Angeklagte die Richterin belehren zu müssen.

Das Gericht sah dagegen „keinen Anhaltspunkt“, dass es sich bei dem Profil mit dem Foto der Angeklagten und weiteren Posts von ihr um einen Fake handelte. Nach einigem Hin und Her zeigte sich die Angeklagte einsichtig. Das veranlasste veranlasste Gericht und Staatsanwältin, die Geldstrafe des Strafbefehls auf 40 Tagessätze zu je 12 Euro zu beschränken. Die Richterin gab sich „zutiefst überzeugt“, dass sich die Angeklagte der „Beleidigung schuldig gemacht“ hat. Mit der geringen Geldstrafe wurde offenbar auf die Situation von Solveig P. Rücksicht genommen, die von Hartz IV lebt. Die Zeugen Alfred Denzinger und ein Vertreter der Ermittlungsbehörden waren umsonst angereist – sie wurden nicht gehört. „Ein großer Aufwand mit geringem, eher unbefriedigenden Ergebnis, auch weil die Angeklagte ihre Einsicht nicht sehr überzeugend vorgebracht hat“, resümiert Alfred Denzinger nach der Verhandlung in Berlin.

Geringe Geldstrafe für Rechtsextremen

Vor dem Amtsgericht Waiblingen musste sich am 22. September Michael Stecher aus Fellbach verantworten. Presseberichten zufolge war er Leiter des rechtsextremen lokalen Gruppe „Fellbach wehrt sich“ und Vorsitzender der Stuttgarter Ortsgruppe der rechten Sammlungsbewegung „Der Marsch“. Beim Staatsschutz wird er als Reichbürger geführt. Stecher war angeklagt, Alfred Denzinger in mehreren Veröffentlichungen beleidigt zu haben. Da das Gericht keinen Zweifel an einer Verurteilung Stechers ließ, schlug sein Anwalt die Einstellung des Verfahrens vor. Dem folgte der Richter gegen Auflagen. Danach darf Stecher nicht mehr behaupten, dass Alfred Denzinger ein „linksextremer Terrorgruppenführer“ sei und dass er Fotos von Personen aufgenommen hätte, um sie als rechtsextrem „bei ihren Arbeitgebern“ zu outen. Außerdem muss Stecher 500 Euro an die Organisation SOS Kinderdorf überweisen und sich bei Denzinger entschuldigen.

Der Facebook- und YouTube-Aktivist Stecher hat auf verschiedenen sozialen Medien über Monate immer wieder die gleichen falschen Behauptungen aufgestellt. Vom Richter befragt, wie er zu seinen Behauptungen gekommen sei, hob der Angeklagte zu einem langen Vortrag über die gute Vernetzung „der Antifa“ an. Sein Anwalt reichte ihm dabei aus Unterlagen zu einem anderen Prozess, der parallel vor dem Landgericht verhandelt wird – zwei Bilder, die seine Thesen untermauern sollten. Das eine zeigte eine Kundgebung in Rudersberg, wahrscheinlich nach einem Anschlag auf das Wohnhaus von Denzinger. Stecher beschrieb, dass hier Fahnen der Grünen, Banner von Gewerkschafen und Fahnen der Antifa zu sehen sind. Außerdem sei Denzinger mit erhobener Faust zu sehen. Denzinger lenke und steuere sowohl die Grünen als auch die Gewerkschaften und erst recht „die Antifa“. Die Stuttgarter Gruppe Fridays for Future werde laut Stecher stark von der Antifa geprägt. Ohnehin sei Denzinger bei jeder Aktion der Antifa dabei. Einen weiteren Beleg dafür sah Stecher darin, dass Denzinger bei einer antifaschistischen Solidaritätsdemo im April dieses Jahres vor einem Transparent mit der Aufschrift „Wir sind alle 129 a“ zu sehen war. Auf Nachfrage des Richters musste er zugeben, dass der Fotograf bei der Arbeit war.

Auf die Bekanntgabe der Entscheidung des Waiblinger Amtsgerichts reagierte Denzinger verärgert: Er habe fest mit einer Verurteilung gerechnet. Eine Entschuldigung Stechers lehnte er ab. „Für Rechte, die einer Straftat überführt werden, wird es offenbar sehr leicht gemacht. Ein paar Euros und eine „Entschuldigung“ scheinen zu genügen, um eine Einstellung des Verfahrens zu erreichen. Danach kann man dann ja weiter seine rechte Hetze verbreiten“, machte der Journalist seinen Unmut deutlich. Er will den Fall Stecher nicht auf sich beruhen lassen.

Zivilklage gegen rechten YouTuber

Vor dem Landgericht Stuttgart begann im Juni der Zivilprozess gegen Michael Stecher. Denzinger fordert von Stecher, es zu unterlassen, Fotografien von ihm und seinem Sohn im Netz im Zusammenhang mit Veröffentlichungen über vermeintliche oder tatsächliche Gewalttaten zu verbreiten. Das gelte vor allem auch für die Videos, die Stecher auf YouTube ausspielen lässt, etwa unter dem Titel „Beobachter News Völkischer Beobachter“. Weitere Klage-Punkte der Unterlassung betreffen die im Netz veröffentlichten von Denzinger produzierten Fotografien. Sie wurden ohne Genehmigung, Quellen- und Urhebernennungen veröffentlicht – nach Ansicht Denzingers zu ahndende Verstöße gegen das Urheberrecht. Gefordert werde zudem eine Verurteilung Stechers zu Schadenersatz sowie zur Erstattung von Rechtsanwalts- und Gerichtskosten. Summa Summarum könnten da einige Tausend Euro für die tiefgreifenden Persönlichkeitsverletzungen und andere Rechtsverstößen zusammenkommen.

Das Urteil gegen Stecher war für Oktober erwartet worden. Jetzt will das Landgericht Stuttgart noch zwei Zeugen anhören und vertagte sich deshalb auf Mitte Februar 2022. Für den Journalisten Alfred Denzinger heißt das: weiter warten auf Gerechtigkeit und weiterkämpfen. Im Schlepptau hat er dabei die Befürchtungen um seine persönliche Sicherheit und die seiner Familie. „Das alles ist für mich nur mit einem enormen Aufwand an Zeit und Nerven zu bewältigen. Ich sah und sehe aber keine Alternative zum eingeschlagenen Weg“, betonte Denzinger gegenüber M.

Mehr Informationen: beobachternews.de

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

KI darf keine KI-Texte nutzen

Die Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen der KI im eigenen Metier wird Journalist*innen noch lange weiter beschäftigen. Bei der jüngsten ver.di-KI-Online-Veranstaltung ging es um den Anspruch an Gute Arbeit und Qualität. ver.di hat zum Einsatz von KI Positionen und ethische Leitlinien entwickelt. Bettina Hesse, Referentin für Medienpolitik, stellte das Papier vor, das die Bundesfachgruppe Medien, Journalismus und Film zum Einsatz von generativer Künstlicher Intelligenz im Journalismus erarbeitet hat.
mehr »

Unabhängige Medien in Gefahr

Beim ver.di-Medientag Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen diskutierten am 20. April rund 50 Teilnehmende im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig die aktuelle Entwicklungen in der Medienlandschaft, die Diversität in den Medien und Angriffe auf Medienschaffende. Das alles auch vor dem Hintergrund, dass bei den kommenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg die AfD laut Umfragen stark profitiert. 
mehr »

Wie prekär ist der Journalismus?

„Daten statt Anekdoten“, das war das Ziel des Forschungsprojekts „Prekarisierung im Journalismus“ an der LMU München, das nun nach fast fünf Jahren mit einem internationalen Symposium in München endete. Zu den Daten aus Europa hatte auch die dju in ver.di ihren Beitrag geleistet, als sie ihre Mitglieder um Teilnahme an der Online-Befragung bat und in M über die Ergebnisse berichtete.
mehr »

Pokerspiele der Süddeutschen Zeitung

Bei einer Betriebsversammlung des Süddeutschen Verlags am vergangenen Dienstag ruderte Geschäftsführer Dr. Christian Wegner etwas zurück. Er deutete an, dass der Stellenabbau in der Redaktion der Süddeutschen Zeitung (SZ) nicht ganz so dramatisch ausfallen könnte wie bislang befürchtet. In der vergangenen Woche war bekannt geworden, dass der Verlag in München für das laufende Jahr mit einem Abbau von 30 Vollzeitstellen plant. Die dju in ver.di kritisiert das Vorhaben scharf.
mehr »