In Deutschland angekommen

Das Wandbild an der Berliner Schillingbrücke verkündet seit 2015 eine eindeutige Position! Die Botschaft wird von einem großen Teil der Gesellschaft weiterhin getragen, aber sie hat auch zunehmend polarisiert.
Foto: Hermann Haubrich

Auch sie kamen in den Jahren 2014 oder 2015 in erheblicher Zahl nach Deutschland: Arabische Medienmacher*innen. Ich traf im Herbst 2015 vor allem syrische Journalist*innen und portraitierte sie für verschiedene Medien und ein eigenes Buch. Mit vielen von ihnen und ihren deutschen Unterstützer*innen blieb ich seitdem in Kontakt. Für „Menschen Machen Medien“ traf ich sie jetzt in Berlin und Frankfurt wieder und fragte, wie es  ihnen seitdem beruflich und persönlich in Deutschland ergangen ist.

Hamzah Jarjanazi Foto: Olaf Selchow

Hamzah Jarjanazi ist heute 30. Mit 19 begann er am journalistischen Fachbereich der Uni Damaskus zu studieren, arbeitete kurz darauf noch einige Zeit vor Ort, floh dann aber, als er zum Militär geholt werden sollte, in die Türkei. Auch dort arbeitete er journalistisch. Dann ging es über die Balkan-Route nach Europa. Sein Boot kenterte im Frühjahr 2015 in der Ägäis, dennoch schaffte er es bis Berlin. Über Menschen in seiner Flüchtlingsunterkunft wurde er Peter Huth, Chefredakteur der „B.Z.“ und Stellvertreter des Chefredakteurs von „Bild“, vorgestellt. Der schickte ihn bereits im September 2015 im Tandem mit einem deutschen Kollegen für die Springer-Medien zu Flüchtlingsthemen durch Berlin. Das sprach sich über Landesgrenzen hinweg rum. Selbst die „New York Times“ berichtete über ihn und seine Tätigkeit in Deutschland. Als ich Hamzah Jarjanazi im Sommer 2016 erstmals traf, hatte er gerade einen Brief vom Jobcenter erhalten. Ihm wurde beschieden, dass er bereits so viel verdiene, dass er kein Geld mehr erhalten würde. Er ist bei Springer geblieben, absolvierte gerade die Axel Springer-Akademie und hatte sein Volontariat bei „Bild“ bereits weitgehend durchlaufen. Heute ist arabische Clan-Kriminalität eines seiner Themen. Er fühle sich hier angekommen, sagt er. Aber mit seiner Mutter in Damaskus telefoniere er täglich.

Amloud Alamir Foto: Benny Golm

Amloud Alamir arbeitete in Syrien als Journalistin für verschiedene Nachrichtenagenturen. Sie ging mit ihrem Mann nach Saudi-Arabien, wo sie als Moderatorin arbeitete. Zu Beginn des Bürgerkrieges 2011 kehrte sie nach Syrien zurück. Als die Lage zusehends gefährlicher wurde, ging das Paar zurück nach Saudi-Arabien. Doch auch dort waren sie nicht sicher und flohen weiter nach Deutschland. Hier begann sie bald wieder als Journalistin zu arbeiten, machte ein Praktikum beim Rundfunk Berlin-Brandenburg und nahm am Mentoring-Programm der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM) teil. Wie viele andere Flüchtlings-Journalist*innen schrieb sie einen Beitrag in der Sonder-Ausgabe:  #jetztschreibenwir des „Tagesspiegel“ vom 15. Oktober 2016. Als im September 2016 das Projekt Amal, Berlin! der Evangelischen Journalistenschule Berlins begann, gehörte sie zum Gründungsteam. Im März 2017 startete die Online-Zeitung mit Lokalnachrichten aus Berlin. Sie richtet sich an die arabisch- und farsi/dari-sprachige Bevölkerung der Stadt. Julia Gerlach, Projektleiterin von Amal, Berlin!, beschreibt mit einem Beispiel die Entwicklung seitdem: Vor Jahren sei Amloud Alamir noch von der Redaktion geschickt worden, um über eine Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) zu berichten. In diesen Tagen sei sie selbst Sprecherin auf einer solchen FES-Veranstaltung. Inzwischen hat Amloud Alamir auch einen Kurs zur Journalistentrainerin bei der Deutschen Welle Akademie absolviert.

Yahya Alaous Foto: Erhard Brunn

Auch Yahya Alaous fand 2015 schnell den Anschluss an deutsche Medien. Als bekannter kritischer Journalist saß er mehrere Jahre in Syrien im Gefängnis, konnte später weiter als Journalist arbeiten bis er das Land verlassen musste. Er kam – wie viele andere – mithilfe von Reporter ohne Grenzen (RSF) nach Deutschland. Sie vermittelten auch, dass er – bis heute – regelmäßig eine syrische Sicht auf deutsche Verhältnisse mit seiner Kolumne in die „Süddeutsche Zeitung“ einbringen kann. Themen seiner letzten Kolumnen war Corona. Schon früh hatte er ein erstes Buch in Deutschland beendet, aber bis heute keinen Verlag dafür gefunden. Wie viele andere hofft er darauf, dass es seinen Kindern, die nach Deutschland folgen konnten, bessergehen wird. Auch mit ihren Augen thematisiert er in der „SZ“ aus arabischer Sicht das Fremde, das er in Deutschland sieht und dem man sich annähern will. Er glaubt aber nicht, in absehbarer Zeit das deutsche Sprachniveau zu erreichen, um eine Chance für eine feste publizistische Tätigkeit zu bekommen. Er könne sich eher eine sozialpädagogische Zukunft vorstellen, in die er auch seine speziellen Sprach- und Kulturkenntnisse einbringen kann.

Natheer Henafe Alali Foto: Erhard Brunn

Immer wieder in Berlin aber auch einige Jahre in Frankfurt, jetzt Göttingen, ist Natheer Henafe Alali seit sechs Jahren in Deutschland unterwegs. Im Sommer 2016 wurde er vom stellvertretenden Chefredakteur des „Spiegel“, Dirk Kurbjuweit, als eine neue arabische Stimme des Magazins vorgestellt. Dort konnte er mehrere Monate regelmäßig Beiträge publizieren. In Frankfurt lernte er die Chefredakteurin der „Frankfurter Rundschau“ (FR), Bascha Mika, kennen und bekam dann ebenfalls über das Programm der Neuen deutschen Medienmacher Unterstützung von der damals für die FR arbeitenden Redakteurin Marie-Sophie Adeoso. Letztlich hat er aber nicht im Journalismus sein Hauptinteresse gesehen. Wie viele andere die zwischen 2015 und 2017 journalistisch tätig waren, ging er mehr den literarischen Weg. Sein Debütroman „Raum ohne Fenster“ erschien im Jahr 2018 beim S-Fischer-Verlag. Wichtig ist ihm dabei, keine Exilliteratur zu schreiben und nicht allein um syrische Entwicklungen zu kreisen: Er wolle für eine weltoffene Leserschaft schreiben. Schwierig ist hierfür allerdings zwischen der deutschen, englischen und arabischen Sprache wechselnd kein ganz festes sprachliches Fundament und zudem keinen festen Verlag zu haben. So setzt er als Standbein an etwas an, was er in Syrien begonnen hat: Er studiert wieder Zahnmedizin in Göttingen.

In jenem Sommer 2016 konnte ich auch die syrische Journalistin Riham Alkousaa portraitieren. Sie arbeitete in Deutschland sehr bald für verschiedene Medien wie „Cicero“, „Spiegel“ und berichtete gleichzeitig aus Deutschland für US-Medien. Bald darauf erhielt sie ein Stipendium in den USA. Auch Mahmoud Serhan bekam bald die Möglichkeit eines Praktikums bei einer großen Redaktion, dem „Handelsblatt“. Er war einer derjenigen, die von Anfang an darauf drangen, sich nicht in Deutschland einzurichten und den Konflikt in Syrien zu vergessen. Stattdessen sieht er es auch als seine Aufgabe – wie auch Khalid Al Aboud, der heute ebenso wie er bei Amal Berlin arbeitet – weiter über den syrischen Konflikt aufzuklären.

Vielfältiges Engagement

In Deutschland engagierten sich staatliche Institutionen, Stiftungen, Medien und Medienorganisationen relativ schnell und auf vielfache Weise für geflüchtete Medienmacher und Künstler*innen. Manches Projekt wurde dafür neu geschaffen, andere angesichts des aktuellen Ansturms ausgebaut. Gerade am Anfang entwickelte sich ein breites Fortbildungsangebot, mit dem auf die spezielle Situation des deutschen Medienmarktes vorbereitet werden sollte. Praktika gaben weitere Einsicht und Einstiegsmöglichkeiten. Tandembildung und Mentor*innen konnten weiterhelfen. Mehrere arabisch-sprachige Medien entstanden.

Die Heinrich-Böll-Stiftung hatte 2014/2015 verschiedene Stipendiaten aus Syrien in Deutschland und bot ihnen Unterstützung an, als sie entschieden, nicht mehr nach Syrien zurückzukehren. Für das im Dezember 2015 erstmals erschienene und bis heute bestehende Journal ABWAB war das von Nutzen. Sowohl der erste Chefredakteur, Ramy Al-Asheq, als auch die heutige Chefredakteurin, Souad Abbas, gehörten zu dieser Gruppe.

Die Neuen deutschen Medienmacher*innen erweiterten 2016 ihr Angebot für Journalist*innen mit Migrationshintergrund für solche mit Fluchterfahrung und konnten es auch ausbauen. Die bis heute dafür zuständige Rebecca Roth zieht ein positives Resümee des Mentoringprogramms: Ein Großteil der Teilnehmer*innen mit Fluchtgeschichte sei erfolgreich. Die meisten hätten einen Weg gefunden, sich beruflich weiterzuentwickeln. Einigen von ihnen sei es gelungen, sich entweder als feste oder freie Journalist*innen in der deutschen Medienlandschaft zu etablieren bei der Deutschen Welle, Deutschlandradio, MDR, ARD, WDR Cosmo, NDR, in Produktionsfirmen wie Weltrecorder oder in Projekten, wie zum Beispiel AMAL oder auch im NdM-Projekt Handbook Germany. Die Neuen deutschen Medienmacher*innen beschäftigten beim Handbook Germany vier ehemalige Teilnehmer*innen des Mentoringprogramms und darüber hinaus weitere festangestellte Redakteur*innen mit Fluchterfahrung.

Bemerkenswert ist die Dynamik, die von Amal Berlin! ausgeht. Für die momentane 3-jährige Projektphase konnten in Berlin 10 Mitarbeiter*innen eingestellt werden. Bei Amal Hamburg, durchgeführt in Kooperation mit der Körber-Stiftung, sind bereits 4 Mitarbeiter*innen tätig, die in der Redaktion des „Hamburger Abendblatts“ angesiedelt sind. Diese Redakteur*innen hatten zuvor alle eine Weiterbildung absolviert an der Hamburg Media School „Digitale Medien für geflüchtete Medienschaffende“ (DMF). Und das Projekt soll Blaupause für andere Teile Deutschlands sein. Gespräche, Amal in anderen Städten zu etablieren, laufen bereits.

Die Universität der Künste Berlin (DUK) hatte 2016 noch in ihrem Artist Training: Refugee Class neben Künstler*innen auch Medienschaffende gefördert. Später hat sie sich ganz auf Künstler*innen konzentriert. Auch bei den Künstler*innen gäbe es, so Melanie Waldheim von der DUK, viele Erfolgsgeschichten.


Über alle Grenzen hinweg – Flucht und Hilfe. Berichte und Meinungen aus dem In- und Ausland. Dehm-Verlag 2017. Erhard Brunn. Vorwort: Prof. Udo Steinbach

 

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