In Unkenntnis der eigenen Sprache

Internet, Talkshow, Teaser, Service – es gibt eine Menge akzeptabler Anglizismen. Die Zahl der inakzeptablen ist aber weit größer und wird gerade auch durch den Journalismus ständig erhöht, fehlerhaften Gebrauch inbegriffen. Fremdwörter haben ihren Wert, wenn sie etwas bezeichnen, für das es noch keinen Begriff gibt. Wenn die weltweite Vernetzung von Computern historisch zuerst Internet genannt wird, und wenn eine grassierende Krankheit ein englisches Kürzel wie AIDS bekommt, dann ist es nicht nötig, Begriffe wie „Weltnetz“ herbeizuzwingen. Doch derzeit wird unser Alltag mit Anglizismen überschwemmt, die normale Wörter ersetzen, die weder sperrig noch unbekannt sind.

Ralf Hutter
Foto: Privat

Typisch ist das für Milieus, die keine Ländergrenzen kennen. So gilt es in der Modewelt vermutlich als peinlich, von Stiefeln und Stöckelschuhen zu sprechen. Heute heißt das Buhts und Haihihls. Es ist unmöglich, ein paar Stunden Popmusikradio zu hören, ohne etwas über Songs, Träcks oder Ivents erzählt zu bekommen. Kinofilme haben einen Plott, ein Setting, einen Kast und einen Skohr. Bei Internetthemen geht es um Kontent, Tuhls und Mänüals, in der Geschäftswelt um Päiments, Schopps, Inwestments und Hai Potenschels. In der Politik kann der Anderdog, wenn er sich nur richtig kommittet, mit einem guten Stäitment sein Ständing verbessern. Und nicht nur in Sachen Lifestyle (was übrigens ein akzeptabler Anglizsismus ist) halten unnötige englische Wörter Einzug in die Alltagssprache.

Manche Begriffe erleben eine zweite Einwanderung ins Deutsche, oft nach dem Französischen nun aus dem Englischen (wie bei Investition und Investment). Kaum jemand reagiert noch schockiert auf eine Tätowierung, die Leute werden höchstens von so manchem Tättuh geschockt. Sogar manch Wiederkehr, ein Kambäck, gibt es durch den englischen Einfluss. In Deutschland werden heutzutage nicht mehr nur Briefe und Pakete, sondern, wie im englischen Sprachraum, auch Themen und Menschen adressiert. Mein Fremdsprachenlexikon (2001) vermerkt vier Bedeutungen dieses Verbs. Die letzte, und somit wohl seltenste, war demnach: „sich an jemanden wenden; gezielt ansprechen; Gebrauch: veraltet”. Wer adressiert wird, wird übrigens im Zuge dessen oft gleich gebrieft. All diese unnötigen Begriffe kommen auch im qualitätsorientierten Journalismus vor.

Wenn der Publisher das Lookalike supportet

Einige Beispiele aus der „taz“: Am 9. Januar stand in einer biografischen Information, die Person „graduierte in Fach X an der Uni Y“. Normal wäre: Sie studierte X an der Uni Y. An anderer Stelle bezeichnete man einen Gitarristen „als ZZ-Top-Lookalike“, statt etwas wie „ähnlich“ zu schreiben, oder zitierte Wikileaks-Gründer Julian Assange: „Es gelte, ‚NGOs und Start-ups’ zu supporten”. Das Zitat ist völlig unnötig, dennoch hat es niemanden gestört, dass mit ihm auf engstem Raum drei (oder zweieinhalb, wenn wir Start-up als unübersetzbar ansehen) unnötige Anglizismen herumstehen.

Dass statt NGO nicht deutsch NRO gesagt wird, ist seltsam wie das Kürzel DNA, von dem ich in der Schule gelernt habe, dass das A auf Englisch für Säure steht; weshalb wir auf Deutsch DNS sag(t)en. Interessanterweise werden in Spanien diese englischen Kürzel nicht akzeptiert, obwohl sie auf Grund der gemeinsamen sprachlichen Wurzeln fast identisch mit der spanischen Version sind: AIDS heißt SIDA, die DNA ADN und eine NGO ist eine ONG. Dort werden aber auch Eigennamen an die spanische Sprache angepasst, was ich nicht befürworte: Die NATO wird zur OTAN, die UNO zur ONU.

Bei uns hingegen wird oft ohne Rücksicht auf Verluste eingedeutscht oder schlicht kopiert. So war in einer Unterzeile der „taz“ über einen Verlag zu lesen, er sei „Publisher, Veranstalter, Talentschmiede”. „Publish“ heißt veröffentlichen. Wird hier ausgedrückt, dass ein Verlag etwas veröffentlicht? Das wäre als Nullaussage schlimm genug, doch handelt es sich bei „Publisher“ um eine bloße Übersetzung, sozusagen einen tautologischen Anglizismus.

Ein Beispiel für unfreiwillige Komik lieferte das „Neue Deutschland“. Über Alan Greenspan, den ehemaligen Chef der US-Notenbank, hieß es, er „puschte die US-Wirtschaft, bis sie heiß lief”. Andernorts schrieb die Zeitung über ein Projekt, das „die ökologische Landwirtschaft puschen” will. Spätere Generationen werden sich vielleicht fragen, warum es „in die Puschen kommen“ heißt, und nicht „ins Puschen kommen“.

„Der Tagesspiegel“ schreibt von jemandem „auf der Payroll des Landes”, heise.de meint, dass der Massenmord von Paris im vergangenen November „die bezweckte mediale und politische Dauerwerbung getriggert” habe. Die Wochenzeitung Freitag kündigte in ihrem „Newsletter“ (deutsch: Rundbrief) vom 10. Februar einen Artikel zum US-Wahlkampf an, der erkläre, „wieso es bei den Wählerinnen einen deutlich erkennbaren Generationen-Gap gibt”. Und das Linux-Magazin wirbt schon auf der Startseite: „Artikelserien und interessante Workshops aus dem Magazin können Sie hier als Bundle erwerben”. Darunter steht die Auflistung der „Pakete”, wie die Bandels ja schlicht auf Deutsch heißen.

Manipulative und missverständliche Begriffe

Im Radio sind Anglizismen noch gefährlicher fürs Verständnis, weil das Ohr womöglich nicht auf ein fremdsprachiges Wort eingestellt ist und das Schriftbild für das nötige Verweilen beim unverstandenen Begriff fehlt. Völlig skrupellos war die Moderatorin der abendlichen Kultursendung „Fazit“ im Deutschlandfunk vom 13. Januar. Sie sprach von Stars der vergangenen Jahrzehnte, die den Klabb Tuentisäven bilden und guten Stoff für ein Baiopick bieten. Den nächsten Kinofilm kündigte sie an mit: „Der Kast kann sich sehen lassen.“

Für den Journalismus bedenklich sind Anglizismen zusätzlich, wenn sie verschleiern. Wenn ich „autgesorst“ sage, spare ich mir die Erwähnung, dass es um Lohnminderung geht. Ein Propaganda-Institut kann ich mit dem Sammelbegriff „Sinktänk“ adeln (vermutlich ist vielen Millionen Deutschen nicht bewusst, dass das englische „tank“ neben Tank auch Armeepanzer bedeutet), und jeglicher Skandal lässt sich ohne Benennung der Schuldigen und des Delikts – und somit ohne eigene Positionierung – mit der Endsilbe „gäit“ zusammenfassen, wie zuletzt bei „Dieselgate“.

Dass Anglizismen auch dazu dienen, das Publikum zu übertölpeln, ist ohnehin offensichtlich. Die Titelseite des Frauenmagazins „Petra“ vom Mai 2015 versprach: „Mit Extra-Heft: Food-Tabelle, Workouts und Fatburner-Tipps“.

Unnötige Anglizismen können zusätzlich zu Missverständnissen führen. So berichtete die Moderatorin einer abendlichen Musiksendung des RBB-Senders Radio Eins am 31. März über das neue Album eines Musikers: „Von ihm sind auch die Strings und die Orchester-Aräindschments.“ Der zweite Anglizismus ist ein zum zweiten Mal eingewandertes Wort, der erste wird nur von denjenigen Menschen verstanden, die wissen, dass „strings“ nicht nur Schnüre bedeutet, sondern auch für Streichinstrumente steht. Vielen anderen ist das Wort wohl nur als Abkürzung für String-Tanga geläufig, diese Unterhose, die den Hintern unbedeckt lässt, was dem Satz eine unfreiwillige Komik verleiht.

Das vielleicht beste Beispiel für mangelnde journalistische Geistesgegenwart bei der Verwendung von Anglizismen ist die Titulierung der jährlichen „Re:publica“ als „Webkonferenz“. So manch ältere/r Leser_in dürfte sich über die scheinbare Wiederbelebung des textilen Handwerks freuen.

Bei Godfather – Fehler bleiben nicht aus

Bei so viel journalistischer Unachtsamkeit bleiben Fehler nicht aus. So schrieb die so häufig zum unnötigen Anglizismus greifende „taz“ in einem Artikel von einem „Warm-up für Schwennickes Gig bei Illner”. Zwei unnötige Anglizismen, von denen einer sogar falsch ist, denn „gig“ wird zwar mit Auftritt übersetzt, aber laut meinem dicken „Oxford“-Wörterbuch (Erscheinungsjahr: 1995), sind damit nur Konzerte von Jazz- und Pop-Gruppen gemeint. Das Sitzen in einer Talkshow (ein berechtigter Anglizismus) ist etwas anderes.

Besonders grober Unfug ist manchmal im Radio zu hören, weil da viel frei gesprochen wird. So etwa bei „Radio Eins“. Tagesthema war deutsche Musik, und der Moderator sagte zwei Mal, der Sänger Rio Reiser sei „der Godfather deutschsprachiger Musik“. „Godfather“ bedeutet Pate. Wenn jemand in künstlerischer Hinsicht als Pate bezeichnet wird, heißt das, dass es eine bestimmte künstlerische Richtung vor ihm nicht gegeben hat, oder dass sie zumindest sehr unbekannt war. Die Behauptung des Moderators ist also Unfug. Kurz darauf leitete er zu einem Interview mit der Sängerin Nena über: „Und nun zur Goddess deutschsprachiger Musik.“ „Goddess“ bedeutet Göttin, also nicht das Gegenstück zu „godfather“. Was die Göttin deutschsprachiger Musik und warum gerade Nena dies sein soll, ist offen. Vermutlich wollte der Sprecher einfach nur seine Bewunderung ausdrücken.

Falsche Übernahmen aus dem Englischen allgegenwärtig

Falsche Übernahmen aus dem Englischen gibt es auch prinzipieller Art. Administration heißt vor allem Verwaltung, wie mein Fremdwörterbuch festhält. Im Journalismus ist das Wort aber mittlerweile ein häufiger „Amerikanismus“, wie Wolf Schneider und Paul-Josef Raue es in ihrem zuletzt 2003 erschienenen „Neuen Handbuch des Journalismus“ nennen. In den USA steht das Wort nämlich für die Regierung, während mit „government“ der Behördenapparat gemeint ist. Deshalb hören wir ständig von der „Obama-Administration“. Ein ebenfalls im Journalismus häufig anzutreffender Fehler ist das Wort „in“ vor einer Jahreszahl, was nur im Englischen richtig ist.

Allgegenwärtige falsche Anglizismen sind das „Handy“ und die dazugehörige „Mailbox“. Diese Wörter gibt es zwar im Englischen, sie haben dort aber eine andere Bedeutung. Da sind wir als Journalist_innen freilich macht- und schuldlos, ebenso wie am Begriff „Wellness“. Gegen die allgegenwärtige falsche Eindeutschung von „website“ als „Webseite“ können wir aber sehr wohl andere Begriffe setzen. „Site“ bedeutet Ort, und so ein Ort im Internet besteht aus mehreren Seiten. Die heißen dann auch „Webpages“, eben Netzseiten. Auf Deutsch wird für einen ganzen Internetauftritt „Webseite“ gesagt, weil es wie „website“ klingt.

Eine Unsitte, an deren eventueller Verbreitung ein Teil unserer Branche mitschuldig wäre, ist das Ersetzen von „und“ durch ein Komma. Es sieht für uns erst mal fürchterlich aus, wenn vor dem letzten Wort eines Satzes ein Komma steht, im Englischen wird das aus Gründen der Kürze gemacht. Bei uns mittlerweile auch. So in einer Kurznachricht des Südwestrundfunks: „Nach dem Anschlag in #Ankara hat ein Gericht die Sperrung von Facebook, Twitter angeordnet”. Häufig sehe ich diese Unsitte in Kurznachrichten des „Neuen Deutschland“. Ein Beispiel: „CSU-Innenminister ruft nach Verschärfung von Strafrecht, Aufenthaltsrecht.” Es ist aber kein reines Online-Phänomen. Auch „Der Spiegel“ bringt Bildunterschriften, in denen dieser unsinnige Satzbau-Anglizismus übernommen wurde, etwa: „Merkel, Netanyahu gemeinsam in der Gedenkstätte…”.

Die nächste Unsitte wird womöglich sein, bei Katastrophenmeldungen die Opfer nur durch Zahlen auszudrücken, ohne ein Substantiv zu verwenden. Sind doch im Englischen Überschriften üblich wie: „Attentäter tötet 17 und verletzt 55“, oder „9 tot wegen defekter Heizung“.

 Dass sich Schreiberlinge unnötigerweise mit Fremdwörtern spreizen, ist alles andere als neu. Latein scheint auf dem Rückzug. Französisch hält sich besser. Es gibt in deutschen Redaktionen immer noch Leute, die es onwohg (manche auch anwohg) finden, „Schappoh!“ zu rufen, wenn die Ottwoleh ihr Fäbl dafür zeigt, onpassoh mit Akkuratess aufs Trottoar zu steigen.

Das Misstrauen gegen „die Medien“ ist in letzter Zeit in Deutschland stark angewachsen. Schon deshalb muss sich die Branche fragen, für wen sie eigentlich schreibt. Ein Vokabular, das nur von bestimmten Kreisen verstanden wird, wirkt schnell elitär, auch wenn es gar nicht so gemeint ist. Zwar sind Anglizismen geradezu anti-elitär, da junge Leute sie eventuell besser verstehen als die deutschen Übersetzungen. Die Mitteilung: „Pet Shop Boys releasen Single mit neuen Tracks“, kommt bei ihnen sofort an, obwohl sie mehr Englisch als Deutsch enthält. Menschen ohne Zugang zu den Sphären, in denen so gesprochen wird, haben dagegen kaum eine Chance.

Publikumsmedien sollten darauf achten, welches Vokabular die große Mehrheit versteht. Und wie gut sie selbst eigentlich noch diese Sprache kennen. Denn faktisch wird heutzutage immer mehr in Unkenntnis der eigenen Sprache veröffentlicht und kommuniziert.

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