Journalisten umgarnt von Daimler & Co.

Stand von Mercedes auf der Automesse 2017 in Shanghai
Foto: IMAG GmbH

Unternehmen zahlt für Berichterstattung Business-Class-Flug und Fünf-Sterne-Hotel

Das Auto ist des Deutschen liebstes Kind, heißt es. Überträgt man das auf den Autojournalismus, dürften Motorjournalist_innen eine besonders interessante Zielgruppe für das Marketing von Automobilkonzernen sein. Nicht erst nach dem Diesel- und Abgasskandal. Dass Journalisten von Unternehmen zu Events eingeladen werden, ist nichts Neues, auch nicht im Autojournalismus. Doch in der Frage, wozu eingeladen wird und wie seitens der Redaktionen mit Einladungen umgegangen wird, gibt es erhebliche Abstufungen.

Am 18. April 2017 erschienen in der Schwäbischen Zeitung gleich zwei Berichte, die sich mit Daimler-Modellen auf der Automesse in Shanghai befassten: „Mercedes präsentiert neuen Golf-Konkurrenten“ und „Daimler will Erfolg der S-Klasse fortschreiben“. Unter beiden Texten findet sich der Hinweis: „Der Reporter reiste auf Einladung von Daimler nach Schanghai.“ Auf Anfrage, was diese Einladung genau beinhaltete, gibt sich der Autor beider Texte, Wirtschaftsressortleiter Benjamin Wagener, schmallippig, teilt mit, „die Schwäbische Zeitung ist auf Einladung von Daimler nach Schanghai gereist. Um Transparenz zu garantieren, drucken wir den Hinweis, wer die Reise gezahlt hat.“ Wagner erklärte auch: „In unserer Unabhängigkeit sind wir in keinster Weise beschränkt.“

Auf die Frage, wie viele Journalist_innen Daimler nach Shanghai eingeladen hat und was die Einladung jeweils genau beinhaltete, teilt Ute Wüest von Vellberg, Senior Manager Integrity and Legal Affairs bei der Daimler AG, nähere Details mit. So hätten an der Vorstellung der neuen S-Klasse auf der Automesse in Shanghai „69 Journalisten, bei denen wir die Reise organisiert haben“, teilgenommen. Die „erbrachten Leistungen“ hätten einen „Langstreckenflug in der Business Class“, die „Unterbringung in einem 5-Sterne-Hotel“ sowie Verpflegung umfasst. Zudem gab es ein Vor-Ort-Programm, das „neben der S-Klasse Präsentation einen individuellen Besuch der Messe sowie die VDA-Pressekonferenz“, also einen Pressevent des Lobbyverbandes der Automobilindustrie, umfasste. „Zusätzlich wurden bei der S-Klasse Präsentation mit Mercedes-Benz gebrandete Sticks verteilt, auf denen vorproduziertes Footage-Material ebenfalls mit der Fahrzeug-Kennzeichnung gespeichert war.“

Fehlende Kennzeichnung

Auch beim Focus ließ man sich von Daimler zur Automesse nach Shanghai einladen. „Dieser Termin ist ein wichtiger Termin für die Branche und für unser Auto-Ressort, daher hatte die Redaktion die Anreise ohnehin geplant. Es ist durchaus branchenüblich für Pressereisen ins Ausland, dass der Aussteller die Reisekosten übernimmt. In diesem Fall war dies auch so“, so Katharina Kirsch von Hubert Burda Media. „Die Focus-Online-Redaktion kennzeichnet solche Artikel aus der Redaktion dann entsprechend mit dem Hinweis: ‚Der Autor reiste auf Einladung des Herstellers‘.“ Bei einem Text jedoch („Bulle statt Elch: Die neue A-Klasse bekommt pralle Muskeln, Focus Online vom 18. April 2017) „fehlte der Hinweis auf die Einladung leider, was ganz klar eine bedauerliche Ausnahme und ein Versehen ist. Wir haben das umgehend nachgebessert.“ Unter dem Text wurde eingefügt: „Anm. d. Red.: Der Autor reiste auf Einladung des Herstellers. Bei Veröffentlichung des Artikels fehlte dieser Hinweis. Wir bitten das zu entschuldigen.“

Im österreichischen Standard wurde im Juli ebenfalls ein Text über „Die überarbeitete S-Klasse von Mercedes-Benz“ veröffentlicht. Unter dem Text findet sich für den Leser der „Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Die Teilnahme an internationalen Fahrzeug- und Technikpräsentationen erfolgt großteils auf Basis von Einladungen seitens der Automobilimporteure oder Hersteller. Diese stellen auch die hier zur Besprechung kommenden Testfahrzeuge zur Verfügung.“ Der Autor des Textes, Andreas Stockinger, teilt auf Nachfrage mit, „der Standard“ sei „nicht in Schanghai“ gewesen, „sondern bei der Europa-Präsentation in der Schweiz, und zwar auf Einladung des Importeurs“. Ein „Hinweis“ finde sich jeden Freitag in der Automobil-Ausgabe, „um auf den Umstand zu verweisen, dass die meisten Berichte über Neuvorstellungen eben aufgrund von Einladungen der jeweiligen Importeure (oder direkt vom Hersteller) zustande kommen. Automobilsalons in Europa bestreitet der Standard ausschließlich selbst, interkontinentale wie Detroit, Schanghai, Tokyo etc. erfolgen auf Einladung unterschiedlicher Hersteller/Importeure.“

Auch Porsche lud ein

Daimler ist indes nicht der einzige Autohersteller, der Journalisten umgarnt. Ein auf n-tv veröffentlichter Bericht „Facelift für den Luxusliner – Mercedes erhöht bei S-Klasse den Druck“ befasst sich ebenfalls mit der neuen S-Klasse. Zudem gab es auf n-tv.de einen Beitrag in dem die „Top 10 – Seltenheiten von der Auto Shanghai“ vom selben Autor, Michael Gebhardt, vorgestellt wurden. Auf die Frage, ob der Autor auch von Daimler eingeladen wurde, erklärt Bettina Klauser von der n-tv-Pressestelle: „Es ist durchaus üblich, dass Motorjournalisten auf Einladung der Hersteller zu Messen reisen. Wichtig ist hierbei, dass die Einladungen den sogenannten Compliance-Regeln unterliegen, die besagen, ‚dass die Einladung nicht mit der Zielerreichung ausgesprochen wird, Ihre journalistische Unabhängigkeit zu beeinflussen oder auf andere Weise zu bewirken, dass gesetzliche Vorschriften verletzt werden, die den Wettbewerb verzerren können‘.“ Unter dieser Maßgabe erfolge auch die Berichterstattung bei n-tv und auf n-tv.de. Erst auf weitere Nachfrage teilt n-tv mit, dass der Autor des Textes „auf Einladung von Porsche in Shanghai“ war.

Weder n-tv.de noch der Autobauer wollten mitteilen, ob im Rahmen der Einladung des n-tv.de-Autors auch Reisekosten von Porsche übernommen wurden. Bei Porsche hieß es nur: „Porsche lädt zum Zwecke der Berichterstattung über neue Produkte Journalisten zu Messen und Fahrveranstaltungen ein und bietet in diesem Rahmen die Übernahme der Reise- und Übernachtungskosten an. Über die Annahme des Angebots entscheidet der Eingeladene“, so Anja Wasserteurer, Leiterin der Produktkommunikation. Auch bei Porsche hebt man hervor, dass dies „in Übereinstimmung mit den Compliance-Regeln des Unternehmens“ geschehe.

Günter Weigel, einer der beiden Chefs der Agentur SP-X, die unter anderem n-tv.de mit Autotexten beliefert, erklärt, warum sich Journalisten von Autoherstellern einladen lassen. Würde man dies nicht machen, würde dies „bedeuten, dass wir dann gar nicht berichten können“. Man werde von verschiedensten Herstellern eingeladen. „Wenn wir Einladungen annehmen, ist es tatsächlich so, dass wir uns den Flug bezahlen lassen“, so Agenturchef Weigel. Man habe jedoch – schließlich wolle man auch noch „in den Spiegel gucken“ können – klare journalistische Kriterien und sei „sicherlich kein Dienst, der sich davon beeinflussen lässt“. Das Problem, dass man „von der Industrie in die Ecke gedrängt werde“, stelle sich „im Alltag nicht“, so Weigel weiter. Man habe sogar „genug Ärger mit der Industrie“ gehabt. So habe es Fälle gegeben, „wo uns die Industrie gedroht hat, das wäre aktienrelevant, kursrelevant und so“, sagt Weigel. Und seine Agentur habe schon gesagt: „dann eben nicht“. Ob Daimler dem n-tv.de-Autor Flug und Hotel bezahlt hat? „Dazu werd‘ ich nichts sagen“, so Weigel.

Einladungen an der Tagesordnung

Autoredaktionen stehen bei der Berichterstattung über Fahrzeuge in einem Dilemma. Einerseits wollen sie für ihre Leserinnen und Leser über möglichst viel berichten, andererseits ist dies auch damit verbunden, dass Autoren zu bestimmten Produktpräsentationen reisen müssen. Diese finden mitunter im Ausland statt. Das ist kostenintensiv. Doch die Frage ist auch, ob es wirklich von gesellschaftlicher Relevanz ist, über jedes neue Automodell zu berichten und damit indirekt das Marketing von Autokonzernen im redaktionellen Teil zu unterstützen; die Grenze zwischen Anspruch und Notwendigkeit ist hier fließend. Doch Einladungen zu Pressereisen durch Autokonzerne sind an der Tagesordnung.

Die Folgen solcher Presseinladungen sind Näheverhältnisse zwischen denen, über die berichtet wird, und den Berichtenden. Es ist menschlich, dass Nähe auch Rücksichtnahme produziert. Wenn regelmäßig Einladungen erfolgen, entsteht längerfristige Zusammenarbeit, bei der man sich abspricht und es potentiell schwerfällt, kritisch zu berichten. Zudem droht stets, dass die nächste Reise nicht vom Autohersteller bezahlt wird und dem eigenen Verlag hohe Kosten entstehen. Es kommt zu finanziellen Abhängigkeiten. Die Gefahr von Interessenkonflikten steigt.

In den seltensten Fällen artet Berichterstattung in platte Lobhudelei aus. Leichte Kritik in der Sache gibt es, aber keine Kritik am System. An der deutschen Automobilindustrie hängen viele Arbeitsplätze und letztlich auch der Wohlstand Deutschlands. Es fällt auf, dass die Autoberichte von Eingeladenen etwa Vorteile an der Ausstattung von Automodellen hervorheben, aber nicht zum Beispiel auf die Abgaswerte zu sprechen kommen. Wenn von China die Rede ist, dann werden für hiesige Leser_innen Überlegungen über die Daimler-Käuferschaft in China angestellt, Fragen wie die, ob von über einer Milliarde Chines_innen jeder ein Fahrzeug braucht, das in der höchsten Ausstattung 630 PS hat, werden aber nicht aufgeworfen.

Es geht auch anders

Dass es auch anders geht, als sich als Journalist vom Objekt der Berichterstattung in ein Fünf-Sterne-Hotel einladen zu lassen, zeigen die Beispiele Süddeutsche Zeitung und Handelsblatt. Auch die Süddeutsche Zeitung berichtete von der Automesse in Shanghai. SZ-Co-Autor Christoph Giesen erklärt: „Die Kosten für meine Reise nach Shanghai hat die SZ vollständig übernommen.“

Für das Handelsblatt fuhren Lukas Bay auf Einladung von Daimler und Stefan Menzel auf Einladung von VW nach Shanghai. In beiden Fällen habe das Handelsblatt „die Reisekosten wie Flug und Hotel gezahlt“, erklärte Verlagssprecherin Kerstin Jaumann. Bei der Verlagsgruppe Handelsblatt würden, so Jaumann, „Einladungen zu Pressereisen – gemäß den journalistischen Standesregeln – nur im Einzelfall und nach vorheriger Genehmigung durch die Chefredaktion angenommen, wenn sie einen Nachrichtenwert besitzen und die Unabhängigkeit und Objektivität der Berichterstattung gewährleistet sind.“

Auch Welt.de berichtete im Motorteil über Daimler und Shanghai. Julia Sommerfeld von Axel Springer erklärt auf Nachfrage: „Die „Leitlinien zur Sicherung der journalistischen Unabhängigkeit bei Axel Springer“ sähen in Bezug auf Pressereisen vor: „Die Journalisten bei Axel Springer tragen dafür Sorge, dass alle Kosten (Reisekosten, Bewirtungen etc.), die im Zusammenhang mit Recherchen entstehen, grundsätzlich durch die Redaktion übernommen werden. Ausnahmen sind von der Chefredaktion zu genehmigen und in der Berichterstattung entsprechend kenntlich zu machen.“ Die „Auto Bild“ habe „übereinstimmend mit dieser Leitlinie die Reisekosten (Flug, Hotel, etc.) für den teilnehmenden Journalisten selbst übernommen, die im Rahmen der Autoshow in Shanghai anfielen.“

Innerhalb desselben Hauses wurde jedoch in einem anderen, aber vergleichbaren Fall genau umgekehrt entschieden. „Die Reise zur Präsentation der Mercedes S-Klasse wurde unterstützt von Daimler“, so Sommerfeld. Die „Welt“-Chefredaktion habe „in Übereinstimmung mit der Leitlinie … die Übernahme der Reisekosten des teilnehmenden Journalisten durch Dritte genehmigt. Dies wurde, wie vorgesehen, durch einen Abbinder unter dem Artikel transparent gemacht.“ Unter dem Text auf Welt.de steht: „Die Reise zur Präsentation der Mercedes S-Klasse wurde unterstützt von Daimler. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter www.axelspringer.de/unabhaengigkeit“. Sommerfeld weiter: „Selbstverständlich hat die Chefredaktion darauf geachtet, dass die journalistischen Sorgfaltspflichten beachtet werden.“

Unbeantwortete Fragen  

Bei anderen Medien, die über Daimler-Produkte und die Automesse in Shanghai berichteten, bleibt unklar, ob man auf Kosten der Schwaben flog und logierte. Für die Stuttgarter Zeitung berichtete Anne Guhlich, Ressortleiterin Wirtschaft bei der Stuttgarter Zeitung und den Stuttgarter Nachrichten. Auf eine entsprechende Anfrage meldete sich Guhlich zwar kurz telefonisch, beantwortete jedoch die Fragen nicht. Kerstin Pradel von der Südwestdeutschen Medienholding, zu der auch die Stuttgarter Nachrichten gehören, teilte dann lediglich mit: „Die Stuttgarter Zeitung und die Stuttgarter Nachrichten nehmen Einladungen nur an, wenn das Thema eine besondere journalistische Relevanz besitzt und wir in der Berichterstattung nicht eingeschränkt sind. Die Freigabe erfolgt nach einer Einzelfallprüfung durch die Chefredaktion. Ausnahmeregelungen für bestimmte Branchen wie die Autoindustrie gibt es nicht. Die Voraussetzungen waren bei der Einladung von Daimler nach Shanghai erfüllt“. Ob Guhlich auf Einladung von Daimler in Shanghai war, bleibt offen.

Für die FAZ berichtete eine freie Mitarbeiterin im Ressort Technik und Motor. Auch dort keine klare Auskunft: „Wie wir es mit Einladungen halten, machen wir seit Jahren durch einen entsprechenden redaktionellen Hinweis auf den Seiten des Ressorts Technik und Motor kenntlich, der da lautet: ‚Ein Teil der in Technik und Motor besprochenen Produkte wurde der Redaktion von den Unternehmen zu Testzwecken zur Verfügung gestellt oder auf Reisen, zu denen Journalisten eingeladen wurden, präsentiert.‘, so Holger Appel, Leiter Technik und Motor. Auf erneute Nachfrage heißt es lediglich: „Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.“

Die einschlägigen Fachpublikationen Auto Motor und Sport und Automobilwoche („S-Klasse: S wie Superlativ“), aber auch die Neue Zürcher Zeitung und der Mannheimer Morgen, die allesamt über die S-Klasse, Daimler und Shanghai berichteten, reagierten gar nicht auf entsprechende Anfragen. Bei der Autozeitung hieß es: „Über interne Abläufe bzw. Betriebsinterna geben wir keine Auskunft“, so Andreas Rogotzki, Redaktionsleiter Autozeitung.de.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Preis für behinderte Medienschaffende

Zum zweiten Mal schreibt in diesem Jahr die gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung zwei Preise und Stipendien für Journalist*innen mit Behinderung aus. Damit soll „ein klares Signal für die Förderung von Diversität als unverzichtbaren Wert in unserer demokratischen Gesellschaft“ gesetzt werden, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung. 
mehr »

KI darf keine KI-Texte nutzen

Die Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen der KI im eigenen Metier wird Journalist*innen noch lange weiter beschäftigen. Bei der jüngsten ver.di-KI-Online-Veranstaltung ging es um den Anspruch an Gute Arbeit und Qualität. ver.di hat zum Einsatz von KI Positionen und ethische Leitlinien entwickelt. Bettina Hesse, Referentin für Medienpolitik, stellte das Papier vor, das die Bundesfachgruppe Medien, Journalismus und Film zum Einsatz von generativer Künstlicher Intelligenz im Journalismus erarbeitet hat.
mehr »

Unabhängige Medien in Gefahr

Beim ver.di-Medientag Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen diskutierten am 20. April rund 50 Teilnehmende im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig die aktuelle Entwicklungen in der Medienlandschaft, die Diversität in den Medien und Angriffe auf Medienschaffende. Das alles auch vor dem Hintergrund, dass bei den kommenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg die AfD laut Umfragen stark profitiert. 
mehr »

Wie prekär ist der Journalismus?

„Daten statt Anekdoten“, das war das Ziel des Forschungsprojekts „Prekarisierung im Journalismus“ an der LMU München, das nun nach fast fünf Jahren mit einem internationalen Symposium in München endete. Zu den Daten aus Europa hatte auch die dju in ver.di ihren Beitrag geleistet, als sie ihre Mitglieder um Teilnahme an der Online-Befragung bat und in M über die Ergebnisse berichtete.
mehr »