Kindergeschichten: Als ich stark wurde

Maya Götz (in der Mitte) während eines Seminars im Libanon
Foto: Fadi Taher

Ein Medienprojekt soll Kindern helfen, psychische Widerstandskräfte aufzubauen

„Starke Geschichten für starke Kinder“ ist der Titel eines Projekts der Medienwissenschaftlerin Maya Götz. Es basiert auf dem Konzept der Resilienz: Junge Zuschauer_innen in aller Welt sollen aus den Erfahrungen anderer Kinder eigene Kraft gewinnen. Zu diesem Zweck sammelte Götz in Workshops für Kinderfernsehmacher_innen und in Seminaren für Flüchtlingskinder Hunderte von Geschichten.

Götz, die mit dem „Prix Jeunesse“ auch das international renommierteste Festival für Kinderfernsehen leitet, hat den Workshop mittlerweile für 600 Teilnehmer_innen aus 35 Ländern veranstaltet und entsprechend viele starke Geschichten gesammelt. Also kam sie als nächstes auf die Idee, eine internationale Kurzfilmreihe zu initiieren. Jeder Sender, der mitmacht, steuert eine Sendung bei und darf im Gegenzug alle anderen kostenlos ausstrahlen. Der Produktionsaufwand ist überschaubar, es soll so wenig Dialog wie möglich geben, damit die vier bis fünf Minuten langen Filme nicht synchronisiert werden müssen; die deutschen Stimmen werden über die Originalstimmen gelegt. Die Filme werden derzeit produziert und beim nächsten „Prix Jeunesse“ im Mai 2018 vorgeführt. In vielen Ländern gibt es allerdings überhaupt kein Kinderfernsehen. Hier hilft das Netzwerk, das Götz weltweit geknüpft hat. Dank ihrer Vermittlung waren europäische und nordamerikanische Kinderfernsehmacher_innen bereit, ihr Wissen an Kolleg_innen in Vietnam, Namibia oder der Mongolei weiterzugeben. Im Auftrag des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen UNICEF hat Götz zudem ein Curriculum zur Resilienz entwickelt: Im Rahmen von Seminaren, die sie in Beirut, Kuba oder Taipeh selbst geleitet hat, sollen Kinder lernen, sich ihrer eigenen Stärke bewusst zu werden.

Viele der Geschichten, die die Wissenschaftlerin gerade im Beiruter Flüchtlingscamp gehört hat, ließen sich jedoch gar nicht fürs Kinderfernsehen adaptieren, „weil sie zu tragisch und deprimierend sind, selbst wenn sie ein gutes Ende genommen haben“. Die Kurzfilme erzählen eher von alltäglichen Ereignissen, bei denen die Kinder gezwungen waren, Handlungskompetenz zu entwickeln. Charakteristisch für das Konzept ist das Abenteuer eines achtjährigen Ägypters, der ein Geschwisterkind bekommt und mit einer Mischung aus Faszination und Ekel beobachtet, wie die Mutter die stinkenden Windeln des Babys wechselt ohne dabei in Ohnmacht zu fallen. Sie verrät ihm das Geheimnis – durch den Mund atmen – und versichert ihm, das sei nur was für echte Männer. Als er vorübergehend mit dem Baby allein zuhause ist, beschließt er, ein Mann zu werden, und genießt anschließend voller Stolz das Lob der Mutter. Typisch ist auch das Element der Grenzüberschreitung, wobei die jeweiligen Grenzen für Mitglieder anderer Kulturen oft gar nicht sichtbar sind. In Ägypten, versichert Götz, würde normalerweise kaum ein Mann eine volle Windel anfassen.

Die Bedeutung des Projekts ist offenkundig, die Botschaft der starken Geschichten ebenfalls. Trotzdem tut sich das hiesige Kinderfernsehen schwer damit, einen Sendeplatz zu finden. Selbst der öffentlich-rechtliche Kinderkanal (Kika) gehorcht den gleichen Mechanismen wie die Vollprogramme fürs erwachsene Publikum: Jeder Sendetag ist durchgetaktet, damit die Zielgruppe jederzeit genau weiß, was sie wann zu erwarten hat. Mit Ausnahme der vielfach ausgezeichneten Reihen „Schau in meine Welt!“ (Kika) und „Stark!“ (ZDF) gibt es ohnehin kaum dokumentarische Formate für Kinder. Dabei sei die Realität von Kindern „so spannend und detailreich“, findet Götz: „Es gibt viele kleine Momente, in denen Kinder für sich eine ganze Welt erobern, Herausforderungen bewältigen oder lernen, mit Schmerzen umzugehen.“ Das industrialisierte westliche Kinderfernsehen erzähle jedoch gerade im seriellen Bereich lieber die immergleichen Geschichten à la „Power Rangers“ oder „Ninja Turtles“: „Ein Grüner, ein Gelber und ein Blauer kämpfen gegen den bösen Roten.“ Sie will diesen Serien nicht die Berechtigung absprechen, „aber mit der Lebenswirklichkeit der Kinder haben sie nichts zu tun“.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

KI darf keine KI-Texte nutzen

Die Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen der KI im eigenen Metier wird Journalist*innen noch lange weiter beschäftigen. Bei der jüngsten ver.di-KI-Online-Veranstaltung ging es um den Anspruch an Gute Arbeit und Qualität. ver.di hat zum Einsatz von KI Positionen und ethische Leitlinien entwickelt. Bettina Hesse, Referentin für Medienpolitik, stellte das Papier vor, das die Bundesfachgruppe Medien, Journalismus und Film zum Einsatz von generativer Künstlicher Intelligenz im Journalismus erarbeitet hat.
mehr »

Unabhängige Medien in Gefahr

Beim ver.di-Medientag Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen diskutierten am 20. April rund 50 Teilnehmende im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig die aktuelle Entwicklungen in der Medienlandschaft, die Diversität in den Medien und Angriffe auf Medienschaffende. Das alles auch vor dem Hintergrund, dass bei den kommenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg die AfD laut Umfragen stark profitiert. 
mehr »

Wie prekär ist der Journalismus?

„Daten statt Anekdoten“, das war das Ziel des Forschungsprojekts „Prekarisierung im Journalismus“ an der LMU München, das nun nach fast fünf Jahren mit einem internationalen Symposium in München endete. Zu den Daten aus Europa hatte auch die dju in ver.di ihren Beitrag geleistet, als sie ihre Mitglieder um Teilnahme an der Online-Befragung bat und in M über die Ergebnisse berichtete.
mehr »

Pokerspiele der Süddeutschen Zeitung

Bei einer Betriebsversammlung des Süddeutschen Verlags am vergangenen Dienstag ruderte Geschäftsführer Dr. Christian Wegner etwas zurück. Er deutete an, dass der Stellenabbau in der Redaktion der Süddeutschen Zeitung (SZ) nicht ganz so dramatisch ausfallen könnte wie bislang befürchtet. In der vergangenen Woche war bekannt geworden, dass der Verlag in München für das laufende Jahr mit einem Abbau von 30 Vollzeitstellen plant. Die dju in ver.di kritisiert das Vorhaben scharf.
mehr »