Künstliche Intelligenz in der Newsproduktion

Presseforum der Produktions- und Technikkommission (PTKO) von ARD und ZDF auf der IFA 2019. Diskussion mit RBB-Moderatorin Sabine Dahl, Jukka Niva und Christian Radler von der ARD, Rainer Tief und Tilman Wagner von der Deutschen Welle und Bobert Bachem vom ZDF (v.l.n.r.).
Foto: Christian von Polentz

„Was hat das Publikum von Avataren, Minern und Datenjournalisten?“ Das Presseforum der Produktions- und Technikkommission (PTKO) von ARD und ZDF auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin widmete sich in diesem Jahr ganz der Rolle von „Künstlicher Intelligenz in der Newsproduktion“. Zentrales Thema des Forums ist seit Jahren die Bedeutung der Digitalisierung für die technischen Veränderungen und die damit verbundene Revolutionierung der Arbeitsbedingungen in den Medien.

Lag 2018 der Fokus auf der Automatisierung und dem Einsatz von Assistenzsystemen, ging es diesmal um Künstliche Intelligenz (KI) in der Nachrichtenproduktion. KI sei „keine Magie“, sagte Birgit Spanner-Ulmer, PTKO-Vorsitzende und Produktions- und Technikdirektorin des Bayerischen Rundfunks. Sie bezeichne vielmehr den „Einsatz von IT-Lösungen und Methoden, die selbstständig Aufgaben erledigen, wobei die der Verarbeitung zugrundeliegenden Regeln nicht explizit durch den Menschen vorgegeben sind“, erläuterte sie mit Verweis auf eine entsprechende Definition des Fraunhofer-Instituts. Der technische Fortschritt habe dem Menschen stets Aufgaben abgenommen und ihm neue reizvolle Möglichkeiten geschaffen, die freigewordene Zeit einzusetzen. Dies sei zwar vielfach auch mit Ängsten verbunden. Niemand müsse sich jedoch Sorgen machen, wenn Technik jetzt „auch einige Teilbereiche menschlichen Denkens übernehmen kann“. Der Mensch in seiner Besonderheit und Vielseitigkeit sei letztlich unersetzbar.

Künstliche Intelligenz stoße ein Tor zu einer komplett neuen Welt auf, sagte Patricia Schlesinger, Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB). Auch der Journalismus sei längst keine „maschinengeschützte Domäne“ mehr. Die riesigen Informationsströme des 21. Jahrhunderts seien „das perfekte Datenfutter für Algorithmen“. Daraus könne KI in Sekundenschnelle automatisierte Texte zusammensetzen. Dies funktioniere besonders gut in Bereichen, wo Daten leicht verfügbar seien: beim Wetter, beim Sport, an der Börse und beim Verkehr. Dort gebe es bereits exzellent trainierte Assistenten, die Redaktionen entlasten könnten. Was die Frage aufwerfe, wie wichtig in einer Welt der Sprachassistenten, der News-Feeds und Content-Hubs menschengemachter Journalismus noch sei. „So wichtig wie nie zuvor“, findet Schlesinger.

Angesichts von gesteuerten Fake-News mit hohem Erregungspotential sei „Qualitätsjournalismus als Gegengewicht unersetzlich“. Er publiziere saubere, glaubwürdige Nachrichten, auf die sich die Menschen verlassen könnten. KI könne zwar auch den Wert einer Nachricht gewichten, die Seriosität der Quellen prüfen, Relevanz beurteilen und sogar Fake-News enttarnen. Der Informationsfluss könne aber auch beeinträchtigt werden, wenn Meldungen durch Algorithmen unterdrückt würden. Wo liegt künftig die digitale Grenze zwischen Filter und Zensur? Wer reguliert das? Für die RBB-Intendantin ist klar: „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat als staatlich und kommerziell unabhängige Instanz im Technologiezeitalter der neuronalen Netze eine neue Gatekeeper-Funktion, eine neue Wächterfunktion“, gab sich Schlesinger überzeugt.

Die Informationsgeschwindigkeit steige, und „dieses Rennen gewinnen definitiv Roboterjournalisten“. Zugleich steige aber auch die „Bedeutung umfassender Berichterstattung, investigativer Recherche und klarer Einordnung“. Ein solcher Qualitätsjournalismus müsse für jeden zugänglich bleiben, forderte Schlesinger: „Weder Regierungen noch globale Unternehmen dürfen mit technologischen Werkzeugen die Informationsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger bedrohen.“ Es gelte, die „Vertrauensmedien in dieser liberalen Demokratie“ zu verteidigen, denn „das Rückgrat der Demokratie ist Meinungsfreiheit“.

„Alles, was automatisierbar ist, wird auch automatisiert“, konstatierte Jukka Niva, Chef des News Lab beim finnischen öffentlich-rechtlichen Sender YLE News in seiner Keynote. Mithilfe von KI würden in seinem Hause vor allem Routineaufgaben erledigt. „Dadurch bekommen unsere Reporter mehr Zeit zum Nachdenken“, sagte Niva. Dem Roboter sei es egal, ob er zwei oder 2.000 Geschichten schreibe, ob für einen oder eine Million Menschen. Mithilfe von personalisierter Information könnten auch unterschiedliche Bedürfnisse befriedigt werden. Jüngere Menschen interessierten sich derzeit vor allem für die Klimakrise, Ältere auch für allgemeine politische Fragen. Wichtig sei auf jeden Fall „größtmögliche Transparenz bei den verwendeten Algorithmen“.

Niva präsentierte bei dieser Gelegenheit den bei YLE eingesetzten Redaktionsroboter „Voitto“. Als Avatar „vermenschliche“ er maschinengenerierte Inhalte. Unter anderem produziere er allein 150 Sport“stories“ pro Woche. Die Arbeitsteilung Mensch-Maschine sehe so aus: Während „Voitto“ sich um die Infografik kümmere, seien die Reporter*innen für vertiefende Analysen und schön geschriebene Berichte zuständig. „Voitto“ sei aber auch als „politischer watchdog“ aktiv. So überprüfe er etwa kontinuierlich die „Tätigkeit“ der finnischen Parlamentsabgeordneten.

Dass KI auch dabei helfen kann, Fake-News zu enttarnen, erläuterte Tilman Wagner, Innovation Manager der Deutschen Welle, anhand des Projekts Truly.Media. Das Kooperationsprojekt unterstützt Medienschaffende und Organisationen der Zivilgesellschaft dabei, digitale Inhalte – vor allem aus sozialen Medien – auf ihre Echtheit zu überprüfen. Die seit Ende 2017 einsatzbereite Verifizierungsplattform ermöglicht es, den Wahrheitsgehalt von Texten, Fotos und Videos in Echtzeit zu ermitteln.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Entlarven und kontern auf TikTok

Rechte und Rechtsextreme verfügen über große Reichweiten auf sozialen Medien, insbesondere auf TikTok. Dort trenden populistische Inhalte und fremdenfeindliche Hashtags. Dagegen regt sich immer mehr Widerstand. Politiker*innen und Institutionen wollen das digitale Feld nicht der AfD überlassen. Doch warum gelingt es den Demokratiefeinden dort offenbar so mühelos, junge Menschen anzusprechen? Antworten erhoffen sich Nachwuchsjournalist*innen der Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft mit ihrem Medienprojekt „Im rechten Licht“.
mehr »

Schon entdeckt? InZeitung

„Das grundsätzliche Problem, dass Menschen mit Migrationsgeschichte nicht zu Wort kommen, gibt es immer noch“, konstatiert Viktoria Balon, Chefredakteurin der InZeitung. Die wurde 2010 in Freiburg vom dortigen Migrationsbeirat gegründet. Das interkulturelle Redaktionsteam mit Autor*innen aus über 40 Ländern will die Freiburger Bevölkerung für Vielfalt und unterschiedliche Perspektiven in der Gesellschaft sensibilisieren. 
mehr »

EU stimmt für Medienfreiheitsgesetz

Das Europäische Parlament hat den European Media Freedom Act (EMFA) mit einer deutlichen Mehrheit angenommen. Das Medienfreiheitsgesetz soll die Unabhängigkeit und Vielfalt von Medien stärken und Besitzstrukturen im Mediensektor transparent machen. Medienorganisationen begrüßten das Gesetz. An der Frage, inwiefern Journalist*innen vor Ausspähung geschützt werden sollen, wäre das Vorhaben fast gescheitert. Einer Überwachung werden nun enge Grenzen gesetzt – doch Bedenken bleiben. 
mehr »

Weiterbildung für Lokaljournalist*innen

Das Lokaljournalistenprogramm der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) und das VOCER Institut für Digitale Resilienz beschäftigen sich mit neuen Anforderungen und Risiken im Digitalen. Digitalisierung und Künstliche Intelligenz (KI) veränderten die Medienlandschaft in nie gekanntem Tempo, heißt es in der Ausschreibung für das Weiterbildungsprogramm. Es zielt auf Lokaljournalist*innen in redaktionellen Schlüssel- und Führungspositionen. 
mehr »