Medien und AfD: Mehr Reflexion als Reflexe

Alle Otto-Brenner-Preisträger 2018 nach der Verleihung
Foto: Christian von Polentz

Die Wissenschaftsstiftung der IG Metall hat am 19. November in Berlin zum 14. Mal den Otto-Brenner-Preis für kritischen Journalismus verliehen. Prämiert wurden 2018 Arbeiten, die das Motto „Gründliche Recherche statt bestellter Wahrheiten“ vorbildlich umsetzten. Zugleich wurde auf einer Medientagung eine neue Studie der Otto-Brenner-Stiftung zum Verhältnis von Medien und AfD vorgestellt und debattiert. Zum Abschluss stellte Cornelia Berger, Bundesgeschäftsführerin der dju in ver.di, aus gewerkschaftlicher Sicht drei Thesen dazu vor.

Die Otto-Brenner-Stiftung (OBS) hat eine weitere Publikation zum Thema „AfD und Medien“ vorgelegt. Schon im Sommer 2017, kurz vor der Bundestagswahl, erschien ein Diskussionspapier mit „Analysen und Handreichungen“ für die journalistische Arbeit. In dem jetzt vorgelegten OBS-Arbeitsheft 95 gehe es vor allem darum, die mittlerweile gewonnenen journalistischen Erfahrungen kritisch auszuwerten und daraus „Lehren für die Praxis“ zu ziehen, so Medienwissenschaftler Prof. Bernd Gäbler, Autor beider Studien, in seinem Impulsreferat: „Insgesamt lässt sich konstatieren, dass die Berichterstattung über die AfD besonders in den überregionalen Medien etwas besser geworden ist“, sagte Gäbler. Es werde weniger unfreiwillige PR für die AfD gemacht, zudem werde kontinuierlicher und weniger sprunghaft berichtet. Statt reflexhaft auf Äußerungen von AfD-Politikern zu reagieren, gebe es mehr Reflexion, also bewusste Entscheidung, was berichtenswert ist und wie die Themen eingeordnet werden. Große Schwächen, so ein Ergebnis der dreimonatigen Analyse von Nürnberger Nachrichten und Oberhessischer Presse, lägen vor allem in der Berichterstattung der regionalen Abo-Zeitungen. Hier werde zu wenig eigenständig über das unmittelbare Umfeld berichtet: „Schaut man nicht nur auf die Leuchttürme, sondern auch ins Kellergeschoss der deutschen Printlandschaft, dann merkt man: Sie bröckelt an der Basis“, so der Referent. Er sah auch gerade bei jungen Journalisten mangelnden „Mut zum Allgemeinen“, zum Nachdenken über die Gesellschaft insgesamt, statt nur über das eigene Befinden.

Thesen aus gewerkschaftlicher Sicht

Für den medialen Umgang mit der AfD stellte dju-Bundesgeschäftsführerin Cornelia Berger aus gewerkschaftlicher Sicht drei Thesen vor.

Erstens: Es gehe nur gemeinsam: Kolleginnen und Kollegen, Journalistengewerkschaften, Sender und Verlage müssten gemeinsam die Herausforderung annehmen, die die AfD mit ihren Versuchen liefert, die Medien mundtot zu machen oder zu diffamieren. „Dazu gehört es natürlich, Haltung zu zeigen, wie zum Beispiel Georg Restle auf der #unteilbar-Demonstration, der deutlich gemacht hat, dass Pressefreiheit unverzichtbarer Teil einer offenen, solidarischen und demokratischen Gesellschaft ist. Was nicht passieren darf, hat gerade der NDR gezeigt und eine fiktionale Sendung – den Polizeiruf 110 vom 11. November 2018 – zensiert, nur, weil die AfD sich aufgeplustert hat. Da kann ich nur sagen: Wehret den Anfängen!“, so Berger. Statt in vorauseilendem Gehorsam einzuknicken, müssten Verlage, Rundfunkanstalten und Gewerkschaft den Journalistinnen und Journalisten Rückendeckung und juristische Unterstützung geben, wo immer es solcher bedarf. Die AfD bediene sich geltenden Rechts, um etwa über Abmahnungen und einstweilige Verfügungen Berichterstattung einzuschränken. „Besonders Freie brauchen Unterstützung von uns als Gewerkschaft, aber auch die Auftraggeber müssen ihre Verantwortung übernehmen, selbst in Fällen, wo es nicht um Medien-, sondern um Verwaltungsrecht geht, mit dem Zugänge beschränkt werden sollen.“ Als Beispiele führte Berger den Ausschluss von Medien von Versammlungen und Parteitagen an. Eine wichtige Rolle spielten auch die Einsatzkräfte, die sich ebenfalls nicht von Pegida, AfD und Co. vor den Karren spannen lassen dürften: „Die Pressefreiheit gilt im gesamten Geltungsbereich des Grundgesetzes ohne Ausnahme; Medienschaffende üben ihre Arbeit im öffentlichen Interesse abgesichert durch eben dieses Grundgesetz aus und sind nicht als Störenfriede zu behandeln!“

Zweitens: Nur eine personell gut aufgestellte, ausreichend qualifizierte und kompetente regionale Berichterstattung könne die Verflechtungen der AfD zu Neonazi-Gruppierungen und dubiosen Geldgebern aufdecken und damit der Rolle der Medien als vierter Gewalt in der Demokratie gerecht werden. Professionelle Journalist_innen sollten Themen selbst setzen, Hintergründe aufdecken und sich nichts diktieren lassen, forderte die Bundesgeschäftsführerin. Es sei daher einerseits gut und richtig, dass immer mehr starke Investigativ-Teams gemeinsam Missstände aufdeckten. Von der Kompetenz, mit der die Kolleginnen und Kollegen in diesen Teams ihr Wissen und ihre Verbindungen zusammentragen, profitieren privatwirtschaftlich-organisierte Medien ebenso wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk, letztlich vor allem aber die Bürgerinnen und Bürger. Andererseits dürfe der Aufbau von Investigativ-Teams und Zentralredaktionen jedoch nicht zulasten der regionalen und lokalen Medienangebote gehen. „Hier ist ein dramatischer Einbruch an Vielfalt zu beklagen, der ganz bestimmt nicht am Engagement der Kolleginnen und Kollegen liegt: Nein, wenn große Regionalredaktionen auf die Hälfte zusammengeschrumpft werden, dann entstehen Lücken in der Berichterstattung, die wir uns nicht mehr leisten können angesichts des Vormarschs der Populisten, die über digitale Plattformen strategisch genau in diese Lücken vorstoßen und darin ihre eigenen Wahrheiten verbreiten“, so Berger. Es gelte einen fatalen Trend zu stoppen. Vor allem die Verlage müssten mehr publizistische Verantwortung für die Demokratie übernehmen. Aber auch der Gesetzgeber sei gefragt, zum Beispiel bei der Ausgestaltung des Telemedienauftrags und der Rolle des Lokalen in den öffentlich-rechtlichen Medien.

Drittens schließlich seien in der Auseinandersetzung mit der AfD alle zivilgesellschaftlichen Kräfte gefordert, natürlich auch die Gewerkschaften, meint die dju-Bundesgeschäftsführerin: „Wir machen uns fit für diese Auseinandersetzung, zum Beispiel durch die Schulungen unserer Kolleginnen und Kollegen in Seminaren, wo die Auseinandersetzung mit AfD-Menschen in alltäglichen Situationen, am Arbeitsplatz ebenso wie in der Kita oder beim Bäcker, geprobt wird. Auf diese Auseinandersetzungen kommt es ganz wesentlich an: Nicht zu schweigen, wenn die Kollegin, der Kollege AfD-Material verteilt, sondern den Vorgang öffentlich zu machen und zu hinterfragen. Dazu bieten wir mit ver.di eine Gewerkschaft mit starkem Rückgrat!“

Preise für kritischen Journalismus 2018

Die Jury des Otto-Brenner-Preises für kritischen Journalismus 2018 hatte den mit 10.000 Euro dotierten 1. Preis den Autorinnen Pascale Müller und Stefania Prandi für ihre Recherchen „Vergewaltigt auf Europas Feldern“/“Er kommt am Abend“ (BuzzFeed News/Correctiv) zuerkannt. Der 2. Preis ging an Frederik Bombosch für „Station 37 ist überall“. Die exemplarische Analyse des Pflegenotstands erschien in der Berliner Zeitung. Mit dem 3. Preis wurde ein Team der Kooperative Berlin im Auftrag von funk, dem Content-Netzwerk von ARD und ZDF, um YouTuber Rayk Anders und Journalist Patrick Stegemann für „Lösch Dich! So organisiert ist der Hass im Netz“ ausgezeichnet. Informationen zu weiteren Preisträgern und Gewinnern von Recherchestipendien hier.

 

 

 

 

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