Meter weit über Steinboden geschleift

Trotz Vorzeigen des Presseausweises wird die Journalistin auf den Boden gedrückt und grob bedrängt.
Foto: Protestfotografie

Frankfurt/Main: Eine Journalistin berichtet von ihrer Begegnung mit der Polizei

Als ich die Schreie höre, will ich gerade mein Rad aufschließen, um heimzufahren. In diesem Moment ahne ich nicht, dass ich das erst nach einem Krankenhausbesuch und mit Verletzungen tun würde. Es ist heiß für Anfang April. Zäh schieben sich Fußgängermassen am Frankfurter Mainufer aneinander vorbei. Das Grün der Wiese ist vor lauter Picknickdecken kaum zu sehen. Die Abstandsregeln scheinen einigen völlig egal zu sein – so etwa der Polizei.

Anders sieht das bei den rund 400 Menschen in orangefarbener Kleidung aus. Peinlich genau achten sie darauf, dass mindestens 1,50 Meter zwischen jeder einzelnen Person liegen. Markierungen auf dem Asphalt helfen dabei. Sie bilden eine Menschenkette, die sich an beiden Mainseiten sowie über die Alte Brücke und den Eisernen Steg erstreckt. Ein älterer Herr hält ein Plakat hoch, auf dem steht: „Palmsonntag 2020: Hilfe für die Ärmsten der Armen in den griechischen Lagern!“ Auf einem anderen Schild heißt es: „Jeder Mensch verdient medizinischen Schutz, Moria evakuieren!“

Obwohl es weder ein Verbot noch Auflagen für diese von der Organisation „Seebrücke“ angemeldete Versammlung gegeben hat, beginnt die Polizei nach einer Weile, die Demonstration aufzulösen: erst mit Durchsagen, dann mit Platzverweisen. Ich denke, dass ich für meine Recherche im Auftrag der Tageszeitung neues deutschland, zu der Frage, wie Protest in Zeiten von Corona aussehen kann, genug gesehen habe, und will gehen. In meinem Kopf steht der Artikel schon, der Tenor: „Durch neue Protestformen wie diese Menschenkette mit Lücken ist Demonstrieren im Einklang mit den Corona-Schutzregeln möglich, muss es ja auch sein, ist schließlich ein Grundrecht.“

Dann höre ich: „Hey! Hey!“ und „Was soll die Scheiße?“. Ich eile in Richtung der Treppe, die zum Eisernen Steg hinaufführt und aus der die Aufregung kommt. Noch im Laufen zücke ich mein Smartphone und beginne zu filmen: Vier Polizisten mit einer „38“ auf dem Rücken, was bedeutet, dass sie zur Mühlheimer Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) gehören, umzingeln eine Frau in orangefarbenem T-Shirt. Sie steht mit dem Rücken zu einer Steinmauer.

Unangemessen aggressiv

Ich filme von einem Treppenabsatz darunter, aus circa vier Meter Entfernung. Sofort springt einer der Uniformierten auf mich zu, langt mir in die Kamera und versucht, mich zu verscheuchen. Ich teile ihm mit, dass ich von der Presse bin und bitte – so laut, dass es auch seine Kollegen hören – darum, „nicht an der Ausübung meines Berufs gehindert zu werden“. Ich höre gerade noch, wie die junge Frau unter ihrem Mundnasenschutz hervor presst: „Ich habe beobachtet, wie ihre Kollegen…“ Dann verdreht ein Uniformierter ihr den rechten Arm, drückt ihn von hinten gegen ihren Rücken, gleichzeitig reißt ein anderer sie am linken Arm die Treppe hinauf.

Das erscheint mir unangebracht, also gehe ich hinterher, um weiter zu filmen. Dass ich dabei Abstand halte, ist auf einem Video des „Medienkollektivs Frankfurt“ zu sehen, dessen Kameramann mit mir die Treppe hinaufgeht. Oben stehen ungefähr fünf Beamte lose herum. Auch das zeigen die Videoaufnahmen und widerlegen damit die Behauptung, die die Polizei später in der Frankfurter Rundschau aufstellen wird. Demnach soll ich versucht haben, eine „Polizeiabsperrung zu überwinden“.

Als ich von der Treppe auf die Brücke treten will, stürzt sich plötzlich jemand von hinten auf mich. Ich werde an Hals und Armen um die eigene Achse gewirbelt, erkenne eine Polizistin und schreie sofort: „Ich bin von der Presse“. Die Beamtin mit dem blonden Pferdeschwanz trägt nicht einmal eine Corona-Schutzmaske. Ihr Kollege packt mich von der anderen Seite, zusammen schubsen sie mich in Richtung Treppe. Er verlangt meinen Presseausweis und – aus mir unerfindlichen Gründen – auch meinen Personalausweis. Ich zeige beide vor, der Polizist reißt sie mir aus der Hand und verschwindet damit. Ein Journalist neben mir kann seinen Ausweis behalten und wird durchgewinkt. Also stehe ich herum, warte, ärgere mich, gebe spontan einem Filmteam ein Interview und unterhalte mich mit einem Stadtverordneten, der, wie viele andere, entspannt an den Uniformierten vorbei spazieren kann.

Konstruierte Vorwürfe

Als ich frage, was die Schikane gegen mich soll, heißt es, ich hätte nicht ausreichend Abstand gehalten. Doch kurzfristige Unterschreitungen des Abstands im Rahmen einer beruflichen Tätigkeit sind meines Wissens von der Corona-Verordnung ausgenommen – für die Polizei wie für die Presse. Nach einigen Minuten bringt der Beamte mir meine Ausweise zurück, und ich will endlich weiter. Doch er befiehlt: „Sie kommen jetzt mit!“ Ich frage: „Warum?“ und „Was ist die Rechtsgrundlage dafür?“.

Bevor ich aussprechen kann, geschweige denn eine Antwort erhalte, drängen mich drei BFE‘ler gegen eine Mauer am Brückenkopf. Ich verstehe nicht, was passiert. Zwei von ihnen greifen nach meinen Armen – „Was soll das? Ich habe keine Gewalt ausgeübt“, rufe ich – dann reißen sie mich weg, meine Beine geben nach, ich sacke zusammen. Doch sie schleifen meinen Körper einfach weiter über den Steinboden. Meterweit. Leute hinter mir schreien Worte wie „Pressefreiheit“, aber ich sehe nur noch Stiefel und Schlagstöcke. Die Gurte meiner schweren Umhängetasche schneiden tief in meinen Hals. Ich kriege kaum noch Luft. Panik erfasst mich.

Sie wird immer weiter gezerrt, bis es glingt wieder auf die Beine zu kommen.
Foto: Privat

Die Schreie werden schriller

Dann liege ich plötzlich auf dem Boden. Über mir sehe ich fünf, sechs Uniformierte. Reflexartig kauere ich mich in Embryohaltung zusammen. Die Schreie der Leute werden schriller. Auch ich schreie, denke „jetzt ist alles vorbei“. Ich schließe meine Augen. Dann spüre ich, wie Handschuhe nach mir greifen, verstehe, dass ich aufstehen muss, und schaffe das sogar. Meine Beine trippeln in die Richtung hinterher, in die die Polizisten meine Arme längst gerissen haben. Ihre Finger bohren sich in meine Oberarme, wie Schmirgel-papier scheuern ihre Handschuhe meine Haut blutig. Ich bitte darum, dass sie mich lockerer anfassen. Weise darauf hin, dass ich Erfahrungen und Probleme mit Gewaltsituationen habe. Dass es keinen Grund gibt, mich so grob zu behandeln, da ich doch mitlaufe, wie sie es wollen. Doch sie zerren und zerren, immer weiter. Meine Hose ist heruntergerutscht, mein Gesäß entblößt. Ich bitte darum, meine Jeans hochziehen zu dürfen. „Nein, die Hose ist okay so“, sagt einer der Polizisten – und lacht.

Dann stoppen sie und drängen mich gegen das Geländer der Brücke, das nicht besonders hoch ist. Erneut bekomme ich Panik. Erst da bemerke ich, dass sich meine Finger noch immer um mein Handy und meinen Geldbeutel krallen. Ich flehe, beides in meine Tasche stecken zu dürfen. Erst werde ich ignoriert, dann nimmt ein Polizist mir beides einfach weg. Als Nächstes klicken Handschellen.

Foto: Ökologisch Radikal Links

Glück im Unglück

Als ich auf der anderen Main-Seite ankomme, begrüßt mich eine Menschenmenge mit Applaus. Das fühlt sich schön und peinlich zugleich an. Wie eine Kriminelle muss ich mit dem Gesicht zu einer Hauswand stehen. Neben mir harren andere Festgenommene aus, doch ich bin die Einzige, die gefesselt ist. Mehrfach kommen Polizisten mir unnötig nah. Sie sagen, ich bekäme eine Anzeige. Nur wofür, das scheinen sie nicht so recht zu wissen. Mal heißt es Abstand, mal Widerstand. Als ich endlich gehen darf, fahre ich ins Krankenhaus, wo ein Arzt unzählige Schürfwunden, Hämatome und einen akuten Schockzustand feststellt.

Glück im Unglück ist für mich die große öffentliche Aufmerksamkeit. Den Vorfall haben mehrere Kameras gefilmt. Eine Reihe Medien berichten darüber, etwa ARD Kontraste und die Hessenschau. Viele sichern mir auch ihre kollegiale Unterstützung zu. Die dju in ver.di kritisiert die „Behinderung von Journalistinnen und Journalisten durch Polizeibeamte“ bei der Seebrücke-Demonstration. Sie fordert von der Polizeiführung die „Aufklärung der Vorgänge und auch disziplinarische Maßnahmen gegen Beamte, die sich an Übergriffen beteiligt haben“. Von der Linksfraktion darauf angesprochen, besitzt der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) die Chuzpe zu behaupten, die Presse hätte berichten können. Seine Begründung: „Ein Pressesprecher der Polizei war vor Ort“. Eine Stellungnahme der Polizei gibt es bislang nicht. Das Amtsgericht prüft nun die Rechtmäßigkeit meiner Festnahme. Das habe ich mit einem Anwalt beantragt, den ich von ver.di vermittelt und bezahlt bekommen habe.

All die Solidarität tut sehr gut. Von Gespräch zu Gespräch wird mir klarer: Ich bin nicht die Einzige, die angegangen wurde. Etwa Frank Rumpenhorst, der für die dpa vor Ort war, erzählt, dass ein Beamter seinem Kollegen grundlos das Fotografieren untersagt habe. Später habe er einen Polizisten sagen gehört: „Alle, die aussehen wie Demonstranten oder eine Kamera haben, sollen weg!“ Die „massive Eskalation“ durch die Uniformierten nennt der erfahrene Fotograf „absurd“. Er betont: „Die ganze Nähe entstand ja erst durch die Polizei.“ Sogar eine Mitarbeiterin der Bild schreibt mir, sie sei nicht auf den Eisernen Steg gelassen worden. Auch was einem weiteren Journalisten passiert ist, lässt sich nicht mit der Viruspandemie rechtfertigen: Er sei von Beamten fäkalsprachlich beleidigt worden, wie er es in seinen 35 Berufsjahren noch nicht erlebt habe. Viele Kollegen beschweren sich, die Polizei habe die Corona-Krise ausgenutzt, um die Pressefreiheit einzuschränken.

Nur eines, das will bis auf Rumpenhorst niemand von ihnen: mir ihre Erlebnisse „unter 1“, also unter echtem Namen, schildern. Ich verstehe das. Vielen fehlt die Hoffnung, dass es etwas nützt. Andere haben keine Zeit oder keine Kraft für solche Auseinandersetzungen. Dennoch enttäuscht es mich. Ihr Schweigen ist zugleich die Ursache und die Folge, dass unrechtmäßige Polizeigewalt so selten vor Gericht landet. Wieder andere Medienleute sind schlicht opportunistisch: Sie wollen ihr gutes Verhältnis zur Polizei nicht aufs Spiel setzen, um weiter an wichtige Informationen zu kommen. Doch so sollte das nicht sein, Behörden haben eine Auskunftspflicht. Was die Presse erfährt, darf nicht davon abhängen, wie kritisch sie berichtet. Genau das ist schließlich eine ihrer zentralen Aufgaben: staatlichen Stellen auf die Finger schauen. Bei mir ist diese Motivation gerade noch einmal gewachsen.

Lotte Laloire ist freie Journalistin in Frankfurt/Main, vorher Redakteurin @ndaktuell, Mitherausgeberin von „Trouble on the far right“


Flyer der dju: Journalismus und Polizeiarbeit


Aktualisierung am 21. August 2020

Vorgehen der Polizei rechtswidrig

Das Frankfurter Amtsgericht hat am 17. August 2020 festgestellt, dass die Festnahme der Journalistin Lotte Laloire am Rande der „Seebrücke“-Kundgebung rechtswidrig war. Im Beschluss des Amtsgerichts heißt es, dass keine Voraussetzungen für eine Festnahme der Journalistin in Frankfurt vorgelegen hätten. Laloire habe den Beamten, die sie kontrollieren wollten, ihren Presseausweis gegeben und sich damit eindeutig ausgewiesen. Eine Festnahme sei deshalb juristisch nicht in Betracht gekommen, urteilte das Gericht.

Laloire sagte der „Frankfurter Rundschau“ gegenüber, sie fühle sich durch den Gerichtsbeschluss bestärkt. „Schon als die Uniformierten sich auf mich gestürzt und mich über den Asphalt gezerrt haben, war mir klar, dass diese Gewalt jeglicher Rechtsgrundlage entbehrt“, sagte sie. „Ich freue mich, dass das Amtsgericht dies nun offiziell bestätigt hat.“ Aus ihrer Sicht müsse es jetzt eigentlich Konsequenzen für die beteiligten Beamten geben, sagte die Journalistin. „Und ihrem Dienstherrn, Innenminister Peter Beuth, stünde es gut zu Gesicht, sich endlich für derartige Fehltritte seiner Truppe zu entschuldigen.“

 

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