Migranten als „Türöffner“

Für mehr interkulturelle Kompetenz in den Medien

„Es regnet!“ – Was für Deutsche schlechtes Wetter bedeutet, empfinden Türken, die in einer von Trockenheit geplagten Landschaft aufgewachsen sind, als Segen. Metin Fakioglu, der im Kindesalter nach Deutschland kam und seit 2000 zusammen mit Petra Diebold als türkisch-deutsche Doppelspitze das Ausländerprogramm im Hörfunk des Hessischen Rundfunks leitet, freut sich noch heute, wenn es regnet. „Bei dem Wort „Regen“ haben wir unterschiedliche Bilder vor Augen und diese unterschiedlichen Bilder müssen wir zulassen, denn Vereinheitlichung schafft Barrieren,“ erklärt Fakioglu.

Diese unterschiedlichen Bilder findet man in deutschen Medien kaum. Seit den 70er Jahren tauchen die sprachlich vom „Gastarbeiter“ zu „Ausländern“ mutierten Migranten zumeist in der Kriminalitätsberichterstattung auf. Der mediale Zerrspiegel hat strukturelle Hintergründe: Während ethnische Minderheiten fast zehn Prozent der Wohnbevölkerung ausmachen, haben nur zwei bis drei Prozent der Journalisten einen Migrationshintergrund. „Filme über Migrantinnen und Migranten werden zu 99 Prozent von besserwissenden Deutschen gemacht“, kritisierte die aus Indien stammende NDR-Redakteurin Navina Sundaram 1998 und bis heute habe sich wenig geändert: Immer noch sei der Umgang mit Vielfalt, sei soziale Heterogenität nicht „normal“, gelte Mehrsprachigkeit – eine besondere Qualifikation vieler Migranten – als „Problem“. Sundaram mit Blick auf über 30 Jahre Berufsleben im deutschen Fernsehen: „Migranten haben keine Lobby!“

Dem kann ihre junge Kollegin Giti Hatef, die im Iran geboren wurde, nur zustimmen. Sie meint, ein Migranten-Netzwerk sei unbedingt notwendig und für den Medienzugang würde sie inzwischen auch für eine Quotierung nach dem Vorbild der Frauengleichstellung plädieren. Hatef hat von 1996 bis 1998 ein Volontariat im Rahmen des Projektes „Mehr Farbe in die Medien“ absolviert, an dem 20 Migrantinnen teilnahmen, und danach als Redakteurin beim WDR gearbeitet. Ihre Erfahrung: Als Frau nicht-deutscher Herkunft wurde sie zumeist auf Nischen (kein Sport, Ausländerprogramm) verwiesen. Jetzt promoviert Giti Hatef über erfolgreiche Migranten-Journalisten.

Mehr Praktika für Kinder

Weil Vorbilder fehlten, erscheine der Journalistenberuf für viele junge Migranten auch wenig attraktiv – meinen jene, die es geschafft haben. Auch Canan Topcu, einzige Redakteurin mit türkischem Pass bei der „Frankfurter Rundschau“ sagt, die Medien sollten mehr Schülerpraktika für Migrantenkinder anbieten. Von einer Quotierung hält sie nichts: „Entscheidend ist die handwerkliche Qualifikation!“ Und Migranten könnten „Türöffner“ sein für die Communities, die bisher aus der Berichterstattung herausfallen. Sie habe als Lokalredakteurin nicht nur Zugang zu den etwa 20 Prozent Frankfurtern türkischer Herkunft, sondern als „Fremde“ könne sie sich auch besser in die Situation anderer Migrantengruppen hineinversetzen als deutsche Kollegen.

In Duisburg versucht eine deutsche Lokalredaktion, ihre Zeitung für die etwa 60.000 türkischen Einwohner der Stadt zu öffnen. André Maßmann, Redaktionsleiter der „Neuen Rhein/Ruhr-Zeitung“ (NRZ) startete das Projekt vor etwa vier Jahren: „Unser journalistischer Ausgangspunkt war es, die Lokalausgabe durch die Einbeziehung der türkischen Lebenswelt in Duisburg interessanter zu machen und zur besseren Integration der türkischen Bürger beizutragen.“ Inzwischen gibt es zwei freie Mitarbeiter türkischer Herkunft. Unter den organisierten Deutsch sprechenden Migranten der zweiten und dritten Generation will die „NRZ“ eine neue Lesergruppe – besonders neue Abonnenten – gewinnen

Kein großes Interesse

„In Nordrhein-Westfalen leben zwei Millionen Migranten und die Zeitungen müssen sich darauf einstellen,“ erklärt Sabine Roschke, Ausbildungsredakteurin in der Journalistenschule Ruhr JSR, die vor zehn Jahren vom WAZ-Konzern gegründet wurde. Die JSR veranstaltet Dialogseminare mit „Experten“ aus dem interkulturellen Bereich zum „Feindbild Islam“ oder „Jüdischem Leben“, die oft eine „Türöffnerfunktion für die deutschen Journalisten“ hätten. Seminare für Migranten zum Verfassen von Pressemitteilungen helfen ihren Organisationen bei der Öffentlichkeitsarbeit und erleichtern den Zeitungsjournalisten das Redigieren. Auf die Frage, warum nicht mehr Migranten in den Redaktionen beschäftigt würden, meint Roschke, sie zeigten „kein großes Interesse“ am Journalistenberuf.

„Wir haben immer viele Bewerbungen für ein Praktikum. Das Interesse ist sehr, sehr groß“, berichtet dagegen Petra Diebold, Metin Fakioglus, HR-Kollegin. Über die Hälfte des 30köpfigen Teams freier Mitarbeiter im HR-Ausländerprogramm hat einen Migrationshintergrund. Viele arbeiteten auch für andere Redaktionen des Hauses, die ihre fachliche Kompetenz inzwischen schätzen gelernt hätten.

Ist interkulturelle kompetente Berichterstattung ausschließlich von Migranten leistbar ? „Nein“, meint Fakioglu, auch Deutsche könnten sie erlernen, denn wichtiger als die Herkunft seien „Lebenserfahrung und Empathie“. In diesem heißen Sommer ist vielleicht auch für deutsche JournalistInnen nachfühlbar, wie schön Regen sein kann…

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Preis für behinderte Medienschaffende

Zum zweiten Mal schreibt in diesem Jahr die gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung zwei Preise und Stipendien für Journalist*innen mit Behinderung aus. Damit soll „ein klares Signal für die Förderung von Diversität als unverzichtbaren Wert in unserer demokratischen Gesellschaft“ gesetzt werden, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung. 
mehr »

KI darf keine KI-Texte nutzen

Die Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen der KI im eigenen Metier wird Journalist*innen noch lange weiter beschäftigen. Bei der jüngsten ver.di-KI-Online-Veranstaltung ging es um den Anspruch an Gute Arbeit und Qualität. ver.di hat zum Einsatz von KI Positionen und ethische Leitlinien entwickelt. Bettina Hesse, Referentin für Medienpolitik, stellte das Papier vor, das die Bundesfachgruppe Medien, Journalismus und Film zum Einsatz von generativer Künstlicher Intelligenz im Journalismus erarbeitet hat.
mehr »

Unabhängige Medien in Gefahr

Beim ver.di-Medientag Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen diskutierten am 20. April rund 50 Teilnehmende im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig die aktuelle Entwicklungen in der Medienlandschaft, die Diversität in den Medien und Angriffe auf Medienschaffende. Das alles auch vor dem Hintergrund, dass bei den kommenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg die AfD laut Umfragen stark profitiert. 
mehr »

Wie prekär ist der Journalismus?

„Daten statt Anekdoten“, das war das Ziel des Forschungsprojekts „Prekarisierung im Journalismus“ an der LMU München, das nun nach fast fünf Jahren mit einem internationalen Symposium in München endete. Zu den Daten aus Europa hatte auch die dju in ver.di ihren Beitrag geleistet, als sie ihre Mitglieder um Teilnahme an der Online-Befragung bat und in M über die Ergebnisse berichtete.
mehr »