Presserat erhielt weniger Beschwerden

Symbolbild: 123rf/M

Trotz eines Jahres mit Krisen wie Corona und dem Krieg gegen die Ukraine ist die Zahl der Beschwerden an den Presserat zurückgegangen: 1733 Eingaben gab es 2022. Im Vorjahr waren es noch 2556 gewesen. Mit 413 Eingaben befassten sich die Ausschüsse, bei der Hälfte der Fälle ging es um die Sorgfaltspflicht. 47 Rügen wurden letztlich ausgesprochen. Mit 14 Rügen lagen die „Bild“-Medien wieder ganz vorn.

„Presseethisch sehr zufrieden“ äußerte sich die Sprecherin des Deutschen Presserats, Kirsten von Hutten, Justitiarin bei Gruner + Jahr, über die gesunkene Zahl der Beschwerden in einem „politisch herausfordernden Jahr“. Es habe nur wenige Eingaben zur Kriegsberichterstattung (vier Prozent) gegeben, und wenn, seien sie unbegründet gewesen, sagte von Hutten. Trotz Clickbaiting und sinkender Anzeigenerlöse hätten die Redaktionen einen „hohen Sorgfaltsgrad eingehalten“.

Um 80 Prozent ist die Beschwerderate beim Thema Corona gesunken, erläuterte Pressesprecherin Sonja Volkmann-Schluck den Jahresbericht 2022, auch die Zahl der Massenbeschwerden zu Artikeln sank von 534 Eingaben im Jahr 2021 auf 93 im vergangenen Jahr. Außerdem erreichten den Presserat weniger Fehlläufer, die Rundfunk oder Werbung betrafen. Von den 47 öffentlichen Rügen betrafen je ein Drittel Schleichwerbung oder die Verletzung des Persönlichkeitsrechts.

Mit 530 galten die meisten der 1733 Beschwerden regionalen und lokalen Tageszeitungen, auf dem zweiten Platz lagen mit 247 Eingaben die Boulevardmedien. 40 der 47 öffentlichen Rügen wurden von den betroffenen Medien bisher veröffentlicht. Das entspricht der gleichen Rate von 80 Prozent wie 2021, als von 60 Rügen elf nicht veröffentlicht wurden. Bei den „Bild“-Medien von 2022 ist bisher nur eine von 14 Rügen noch nicht veröffentlicht. Im vergangenen Jahr hatte „Bild“ 20 Rügen erhalten. Die weiteren Rügen betrafen regionale Tageszeitungen, aber auch überregionale Medien wie die „Welt“, den „Stern“, „Focus“ oder die „Zeit“ sowie Rundfunkzeitschriften und Klatschblätter, allerdings ohne auffällige Häufung. Weiter gab es im vergangenen Jahr 63 Missbilligungen und 96 Hinweise.

Wegen der Angabe der Herkunft gingen 2022 insgesamt 19 Beschwerden ein, eine Rüge gab es für „Bild“. 2016, vor der Überarbeitung der entsprechenden Richtlinie 12.1 des Pressekodex im Jahr 2017, waren es noch 79 Eingaben. Offenbar haben die neuen Leitsätze die Unsicherheit in den Redaktionen reduziert, wann die Herkunft genannt werden dürfe und wann nicht, meinte von Hutten.
Gestiegen ist die Beschwerdezahl beim gesellschaftlich jetzt häufiger diskutierten Thema Transgender. 63 Eingaben gab es zu einem Artikel in „Emma“, in dem die Bundestagsabgeordnete Tessa Ganserer als „Quotenfrau“, die „physisch und rechtlich ein Mann“ sei, bezeichnet wurde. Diese Beschwerde lehnte der Presserat ab, weil es „Spielraum für die Redaktionen“ geben müsse. Eine Erweiterung des Pressekodexes für die Transgender-Thematik hält von Hutten nicht für notwendig, „die Ziffern waren dafür bisher ausreichend“.

Eine Vergleichsstatistik zwischen der Spruchpraxis des Presserats und möglichen Gerichtsurteilen zu den eingesandten Beschwerden erstellt der Presserat nicht, erklärte der Geschäftsführer des Presserats, Roman Portack. Bisweilen seien die Urteile schneller. Wenn sie im Sinne der Beschwerdeführenden ausfielen, würden sie auch nachgereicht, aber eine systematische Erfassung gebe es nicht. Von Hutten wies darauf hin, dass presserechtlich Erlaubtes noch nicht presseethisch vertretbar sein müsse und nannte als Beispiel Fotos von Kindern, die von den Eltern zwar freigegeben wurden, die aber ethisch gesehen trotzdem nicht veröffentlicht werden sollten.

Ein neues Feld, über das der Presserat seit zwei Jahren intensiv diskutiert und das auch Ende März im Plenum wieder auf der Tagesordnung steht, ist der Einsatz von Künstlicher Intelligenz, der sogenannte Roboterjournalismus. Dazu gebe es im Presserat und auch in den Medien, die solche Algorithmen bereits nutzen, noch keine eindeutige Tendenz, ob diese Berichte gekennzeichnet werden müssten, erklärte der stellvertretende Sprecher des Presserats, Sascha Borowski (DJV, „Allgäuer Zeitung“). Letztlich liege die Verantwortung für die Veröffentlichung solcher Texte bei der Redaktion, ebenso wie bei den Texten von freien Journalist*innen. KI-Artikel müssten also von jemandem vor der Veröffentlichung gesichtet werden, wobei Borowski allerdings Probleme in der Redaktionspraxis sieht.

Weitere Themen des Presserats waren im vergangenen Jahr die Sicherheit von Journalist*innen bei Demonstrationen und der Austausch mit anderen europäischen Presseräten. Es gibt ein vom Bundesministerium für Kultur und Medien gefördertes Schulungsprogramm für die Polizei, das auch den Austausch mit Reporter*innen fördern will. Zudem arbeitet der Deutsche Presserat in dem von der Europäischen Kommission geförderten Projekt „Media Councils in the Digital Age“ mit.

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