„Typischer Journalist“ ist Zeitungsredakteur

Pressecenter
Foto: Hermann Haubrich

Der „typische Journalist“ in Deutschland ist weiterhin Zeitungsredakteur, doch in seinem Berufsalltag und im Kollegenkreis hat sich in den vergangenen zehn Jahren durch die Digitalisierung der Medien und gesellschaftliche Umbrüche vieles verändert. Das sind Ergebnisse der aktuellen Studie “Journalismus in Deutschland“, die jüngst veröffentlicht wurde.

Orientiert an den beiden repräsentativen Untersuchungen „Journalismus in Deutschland“ von 1993 und 2005 erforschten die Münchner Kommunikationswissenschaftler_innen Nina Steindl, Corinna Lauerer und Thomas Hanitzsch die Berufssituation von bundesweit 775 Journalist_innen, die hauptberuflich für Rundfunk, Print- und Online-Medien arbeiten. Diese wurden zwischen November 2014 und August 2015 entweder per Online-Fragebogen oder am Telefon interviewt.

Weniger Freie, mehr Frauen

Mittels einer qualifizierten Schätzung ermittelte das Forschungsteam zunächst die Zahl der hauptberuflich tätigen Journalist_innen in Deutschland. Ihre Zahl ist von 54.000 im Jahre 1993 und 48.000 in 2005 auf 41.000 im Erhebungsjahr 2015 geschrumpft. Das betrifft vor allem selbstständige Journalist_innen: Mittlerweile gibt es nur noch 9.600 Freie – etwa halb so viele wie 1993–, die ohne Nebenjob in PR oder Öffentlichkeitsarbeit von ihren Honoraren leben können. Ein Großteil von ihnen arbeitet beim relativ gut zahlenden Rundfunk oder findet im wachsenden Onlinesektor einen Job. Der Anteil von Frauen ist auf etwa 40 Prozent gestiegen, weil sie besonders bei den unter 36-Jährigen stark vertreten sind. Jedoch verdienen sie im Durchschnitt weiterhin weniger als ihre männlichen Kollegen und haben seltener Leitungsfunktionen.

Während die Arbeits- und Lebensbedingungen im vergangenen Jahrzehnt besonders für Freie und Frauen prekärer geworden sind, hat sich für alle hauptberuflichen Journalist_innen der Berufsalltag verändert, denn durch die anhaltende Digitalisierung der Medien sind sie nicht mehr „exklusive Informationsanbieter“. Im Prinzip könne jeder Informationen im Internet verbreiten, neue (kostenlose) Medienangebote entstünden und verstärkten damit die Konkurrenz für traditionelle Printverlage und Rundfunkanstalten, beschreiben die Forscher_innen aktuelle Herausforderungen.

Multimedial und flexibel arbeiten

Dem begegneten die Medienhäuser mit Umstrukturierungen und Sparmaßnahmen. Der redaktionelle Arbeitsalltag werde zunehmend geprägt durch „computational journalism“, d.h. der Verschmelzung von journalistischen und technischen Tätigkeiten. Bürgerjournalismus diene als Ideenpool, soziale Netzwerke würden wegen der verstärkten Publikumsorientierung an Bedeutung gewinnen.

Diese Entwicklungen spiegeln sich in den Interviewantworten. Gut 40 Prozent der befragten Journalist_innen verstehen sich als „Generalisten“ ohne spezifische Ressortanbindung. Die Verdoppelung ihres Anteils innerhalb des letzten Jahrzehnts erklärt das Forschungsteam mit der Einführung integrierter Newsrooms. Über ein Viertel der Journalist_innen arbeitet multimedial, mehr als ein Drittel für mehrere Redaktionen. Diese Ergebnisse verwiesen auf eine „Flexibilisierung im Journalismus“, verbunden mit einer Prekarisierung seiner Akteur_innen. Nicht nur über ein Drittel der Freien, sondern auch 14 Prozent der festangestellten Voll- und Teilzeitbeschäftigten hätten einen Zweitjob, um ihren Lebensunterhalt zu sichern.

Profil und Selbstbild wenig verändert

Das Profil des „typischen Journalisten“ hat sich dennoch wenig verändert: Er ist männlich, 45 Jahre alt, politisch eher links eingestellt, Akademiker, verdient zwischen 1800 und 2400 Euro netto im Monat und arbeitet fest angestellt bei einer Zeitung. Zudem schätzen die meisten Journalist_innen ihre professionelle Autonomie immer noch als groß ein und fühlen sich verantwortungsethischen Berufsstandards verpflichtet. Über 80 Prozent verstehen sich vor allem als „neutrale Informationsvermittler“, orientieren sich aber stärker als früher an den Bedürfnissen des Publikums. Gleichzeitig hat der „Lifestyle-Journalismus“ zugelegt, denn vom Anstieg der Zeitschriftentitel in den vergangenen zehn Jahren profitierten vor allem bunte Publikumsblätter.

Die Studie ist Teil des international vergleichenden Forschungsprojekts „The Worlds of Journalism Study“ , das aus München von Professor Thomas Hanitzsch und seiner Mitarbeiterin Corinna Lauerer koordiniert und von verschiedenen Universitäten und Stiftungen finanziert wird. Forscher_innen aus über 60 Ländern beteiligen sich an den Datenerhebungen zur Berufssituation von  Journalist_innen weltweit. In dem Länderbericht über Deutschland finden sich weitere Details zur „massiven Verschlechterung der Arbeitsbedingungen“.

Mehr Profitdruck, weniger Ethik

So berichtet eine Mehrzahl der befragten Journalist_innen, dass ihre durchschnittliche Arbeitszeit zunimmt, sie aber weniger Zeit für Recherchen haben und ihr professioneller Freiraum eingeschränkt sei. Massiv gestiegen seien technische Anforderungen und Fertigkeiten im Umgang mit Suchmaschinen. Durch Social Media, User generierte Inhalte und verstärkten Wettbewerb hätten Markteinflüsse zugenommen: Es gebe mehr Profitdruck, mehr Rücksicht auf Werbung und Publikumsforschung. Außerdem würden sie gedrängt, mehr Sensationsnachrichten zu verfassen und stärker auf Publikumsfeedback zu reagieren. Ethische Standards seien dagegen die einzigen Einflüsse, die in den vergangen fünf Jahren abgenommen hätten. Viele Journalist_innen zeigten sich besorgt über die schwindende Glaubwürdigkeit der Medien und ihrem damit verbundenen Bedeutungsverlust in der Öffentlichkeit.

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