EU: Besserer Schutz für Whistleblower

Die EU setzt jetzt durch, wofür Aktivisten bereits 2013 auch vor dem Bundeskanzleramt demonstrierten.
Foto: Picture Alliance/ David von Blohn

Gute Nachricht für Whistleblower und alle Menschen, die Interesse an Aufdeckung von Missständen in der Gesellschaft haben: Soeben hat der EU-Ministerrat die EU-Richtlinie zum Schutz von Hinweisgebern abschließend verabschiedet. Diese regelt künftig die Meldewege für Whistleblowing und schützt Hinweisgeber vor Vergeltungsmaßnahmen ihrer Arbeitgeber.

Whistleblower haben auch in jüngerer Vergangenheit vielfach zur Aufdeckung von Skandalen und gesellschaftlichen Missständen beigetragen. Etwa bei der Schilderung von katastrophalen Zuständen in der Pflege, dem Handel mit gepanschten Krebsmedikamenten oder massenhaftem Steuerbetrug. Aktuell steckt US-Präsident Trump infolge der mutigen Tat eines Whistleblowers in ernsthaften Schwierigkeiten. Bislang gingen bei internen – innerbetrieblichen – Meldungen Hinweisgeber*innen ein hohes Risiko ein. Das Unternehmen konnte sich entscheiden, ob es den Missstand beseitigt oder doch lieber die Whistle­blower. In der Vergangenheit setzten die Geschäftsleitungen lieber auf die zweite Variante. Laut einer von der Zeit beauftragten Umfrage des Whistleblower Netzwerks unter 20 deutschen Whistleblowern haben zwei Drittel der Befragten nach den Enthüllungen ihren Job verloren oder wurden „in den Ruhestand versetzt“.

Mit dieser Repression soll jetzt Schluss sein. Die verabschiedete EU-Richtlinie schreibt die Implementierung eines internen Meldeprozesses vor, der es Unternehmensbeschäftigten wie Externen ermöglicht, Verstöße gegen Unionsrecht zu melden. Zugleich ist regulativ sichergestellt, dass auf solche Meldungen reagiert wird.

Umstritten waren bis zuletzt die Kanäle, über die eine Whistleblower*in Missstände aufzeigen darf. Ausgerechnet Deutschland unter seiner damaligen Justizministerin Katarina Barley präferierte einen dreistufigen Meldeprozess, wonach zunächst ein interner Beschwerdeweg vorgeschrieben sein sollte. Erst danach, so der Plan, könnten sich Whistleblower an eine Behörde wenden. Nach diesen beiden Schritten dürfe schließlich die Öffentlichkeit informiert werden. Nur in Ausnahmefällen, so Barley, könnten Whistleblower*innen auch direkt an die Öffentlichkeit gehen: etwa dann, wenn es wenig Aussicht gebe, dass das Unternehmen die Verstöße abstelle oder bei einer „erheblichen Gefahr für öffentliche Interessen“. In einem Offenen Brief der Vorsitzenden des Whistleblower-Netzwerks, Annegret Falter, an die Ministerin heißt es:

Dieses „abgestufte Meldeverfahren’“ mache das empirisch unbegründete Misstrauen deutlich, das allen Hinweisgebern gegenüber in Wirtschaft und Behörden vorherrsche. „Letztlich soll dieser erzwungene Meldeweg deren Erstzugriff auf brisante Informationen sicherstellen. Unter dem Vorwand möglicher unlauterer Motive aller Whistleblower schafft er die höchste Hürde für öffentliche Aufklärung. Die grundsätzliche Annahme über die Motivlage der Hinweisgeber*innen ist deren Schädigungsabsicht“.

Diese auch von Grünen und der Linken als unzureichend kritisierte Regelung fand im Europaparlament keine Mehrheit. Stattdessen wurde vereinbart und am 16. April beschlossen, dass eine interne Meldung im Unternehmen vor allen anderen Wegen nicht immer verpflichtend ist. Grundsätzlich gilt zwar ein dreistufiges Meldesystem in der Reihenfolge Betrieb – Behörde – Öffentlichkeit. Im Einzelfall können Stufen aber auch übersprungen werden.

Der Weg zu betriebsinternen Meldestellen ist nur vorgeschrieben, wenn das Problem so auch tatsächlich wirksam angegangen werden kann und der Hinweisgeber keine Vergeltungsmaßnahmen riskiert. Anderenfalls kann er sich direkt an die zuständige nationale Behörde oder die zuständigen Organe, Einrichtungen, Ämter und Agenturen der EU wenden. In bestimmten Fällen dürfen Whistleblower auch an die Öffentlichkeit gehen, etwa über die Medien. Das ist denkbar, wenn die Behörde nicht angemessen auf einen gemeldeten Missstand reagiert oder der Informant zum Beispiel herausfindet, dass Behörde und Unternehmen kollaborieren.

Die Richtlinie schützt Whistleblower*innen nicht nur im ersten Schritt, wenn es darum geht, die problematischen Zustände aufzudecken und an die richtigen Ansprechpartner heranzutragen. Sie will den Informanten ihrer Aktion schützend zur Seite stehen, indem sie Vergeltungsmaßnahmen wie Kündigung oder Diskriminierung verbietet. Zugleich sollen Verstöße dagegen geahndet werden.  Hinweisgeber haben Anspruch auf kostenlose Beratung und Unterstützung bei Abwehrmaßnahmen sowie Hilfe bei der Befreiung von vertraglichen oder gesetzlichen Geheimhaltungsverboten.

Auch für deutsche Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten beginnt jetzt eine zweijährige Frist für die Umsetzung der EU-Richtlinie. Firmen ab 50 Beschäftigte haben dazu noch weitere zwei Jahre Zeit.

Da die neue Richtlinie lediglich Verstöße gegen EU-Recht erfasst, müssen potentielle Whistleblower stets einschätzen, ob ihre Meldung im konkreten Fall zulässig und damit geschützt ist. Nötig bleibt deshalb, den Anwendungsbereich des Hinweisgeberschutzes umfassend auch auf nationale Regelungsbereiche auszuweiten. Da ist weiter die Bundesregierung gefordert.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Von Erbsensuppe und neuen Geschichten

„Vielfalt schützen, Freiheit sichern – 40 Jahre duale Medienordnung im föderalen Deutschland“. Dies war das Thema des Symposiums, das am 23.  April in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften stattfand. Ausrichter war die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM).  Teilnehmer waren Verantwortliche aus Medienpolitik und -wissenschaft, Rundfunkregulierung und Medienunternehmen.
mehr »

Preis für behinderte Medienschaffende

Zum zweiten Mal schreibt in diesem Jahr die gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung zwei Preise und Stipendien für Journalist*innen mit Behinderung aus. Damit soll „ein klares Signal für die Förderung von Diversität als unverzichtbaren Wert in unserer demokratischen Gesellschaft“ gesetzt werden, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung. 
mehr »

Italien: Neun Jahre Haft für Recherche?

Drei Reporter*innen der italienischen Tageszeitung Domani müssen mit bis zu neun Jahren Gefängnis rechnen. Die Staatsanwaltschaft Perugia ermittelt gegen sie, weil sie vertrauliche Dokumente von einem Beamten angefordert und erhalten und das Geheimhaltungsprinzip der Ermittlungen verletzt haben sollen. Die dju-Bundesvorsitzende Tina Groll kritisierte, dass „hier investigative Berichterstattung über Mitglieder der italienischen Regierung unterdrückt werden soll."
mehr »

KI darf keine KI-Texte nutzen

Die Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen der KI im eigenen Metier wird Journalist*innen noch lange weiter beschäftigen. Bei der jüngsten ver.di-KI-Online-Veranstaltung ging es um den Anspruch an Gute Arbeit und Qualität. ver.di hat zum Einsatz von KI Positionen und ethische Leitlinien entwickelt. Bettina Hesse, Referentin für Medienpolitik, stellte das Papier vor, das die Bundesfachgruppe Medien, Journalismus und Film zum Einsatz von generativer Künstlicher Intelligenz im Journalismus erarbeitet hat.
mehr »