DOK-Film: Rüge für Öffentlich-Rechtliche

Foto: pixabay

Das humanistische Projekt Demokratie braucht runderneuerte ARD und ZDF

Zum Auftakt einer Reihe mit Filmen des Enthüllungsjournalisten Günter Wallraff richtete die Deutsche Akademie für Fernsehen (DAfF) mit der AG DOK am 4. Dezember im Berliner Kino Babylon Mitte ein Werkstattgespräch über die aktuelle, gesellschaftliche Rolle des dokumentarischen Fernsehens aus. Der Titel: „Mut zur Wirklichkeit“. Zentrales Ergebnis: ARD und ZDF haben sich aus ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gestohlen.

Die Diskussion darum, wo im öffentlich-rechtlichem Programm eigentlich der kritische, in die Tiefe gehende Dokumentarfilm geblieben sei und dass seine kümmerlichen Reste katastrophal unterfinanziert seien, ist nicht neu. Jedoch wurden die erschreckenden Auswirkungen, die dies auf  Gesellschaft und Demokratie habe, in ihrer Tragweite bislang wohl noch nie so deutlich wie bei dieser Runde ausgesprochen.

Leider konnte nicht geklärt werden, warum die Sender so handeln. Das wäre wahrscheinlich auch dann nicht möglich gewesen, wenn der Vertreter des Rundfunks Berlin-Brandenburg nicht in letzter Minute abgesagt hätte. Beschrieben wurde jedoch, was passiert: „Der Spielraum für Dokumentarfilmer bei den öffentlich-rechtlichen Sendern wird immer geringer“, konstatiert Günter Wallraff. „Und wenn, dann läuft der Dok-Film nur noch als Alibi um Mitternacht rum.“ Dietmar Post, Dokumentarfilmregisseur und Produzent, sieht in dem Verhalten von ARD und ZDF gar ein demokratieschädliches Verhalten: „Wenn man zurück möchte in die 50er, die Demokratie abschaffen will, dann spielt es natürlich eine Rolle, wenn man ein Programm macht, dass sich nur an Leute wendet, die keine großen Ansprüche haben und die weder gefordert werden wollen noch vom Programm gefordert werden.“

Dass kritischer Journalismus, der keine Lücken lässt, unterschiedliche Sichtweisen und auch in die Tiefe gehende Dokumentarfilme einen Mainstream-Journalismus und dessen Folgen verhindern, erklärte Prof. Dr. Ulrich Teusch, Politikwissenschaftler, Publizist, Sachbuchautor („Lückenpresse“). Lücken, also Auslassungen, führten zu einem bestimmten Narrativ, so Teusch. Habe sich dieses erst etabliert, könne man darauf basierend Kampagnen, gar Propaganda, machen. Und bedienten Medien den Mainstream, würden sie zu Establishment-Medien. Im Falle der öffentlich-rechtlichen Medien werden sie dadurch in Frage gestellt. Und das geschieht im Augenblick ganz massiv.

Doch während die einen ein „schlaffes“, „mutloses“, „absurdes“ System durch eine grundlegende Reform und ein neues, zutiefst verändertes Selbstverständnis revitalisieren wollten, um das „humanistische Projekt Demokratie“, so Moderator Thorolf Lipp, der zugleich Vorstand der AG DOK ist, zu stärken, wollten es andere abschaffen. Und dafür fänden sie Rückhalt in den Teilen der Bevölkerung, denen ARD und ZDF nichts geben. „Die Diskussion um ARD und ZDF wird zusehend unangenehm“, sagt Malte Krückels, Staatssekretär für Medien des Freistaates Thüringen, „da die AfD überall in den Länderparlamenten Anträge stellt, die Öffentlich-Rechtlichen abzuschaffen.“

Man könnte zu dem Schluss kommen, dass ein mangelnder Wille zu tiefgreifender Reform zu einem Bärendienst an sich selbst führt. Denn wie solle sich die Politik gegenüber der AfD-Forderung bzw. den Sendern verhalten, wenn die nächste Gebührenperiode am 1. Januar 2021 beginnt, fragt Krückels, und die Diskussion um eine Gebührenanpassung genau dann stattfinde, wenn 2020 in Sachsen-Anhalt Wahlkampf ist – in einem Land, wo die AfD mit über 24 Prozent im Landtag sitzt.

Doch wie kann man für einen Rundfunk argumentieren, seine Existenz und Gebühren legitimieren, wenn er offenbar seinem Auftrag nicht nachkommt? Denn das, so der Vorwurf des Panels, tue er nicht. Günter Wallraff etwa ist ein Journalist, der gerne für die öffentlich-rechtlichen Sender gearbeitet hat. Doch sie haben ihn vertrieben. Sein „Team Wallraff deckt auf“ fand bei RTL Bedingungen, die ARD und ZDF Dokumentarfilmern systematisch verweigern: beispielsweise juristische Rückendeckung bis in die letzte Instanz. Tatsächlich führt RTL drei durch die Sendereihe entstandene Prozesse. „Die Öffentlich-Rechtlichen lassen schon im Vorfeld keine Prozesse zu“, sagt Wallraff und merkt noch an: „Außerdem erreiche ich bei RTL auch die jungen Zuschauer, die es bei ARD und ZDF längst nicht mehr gibt.“ Dietmar Post, Dokumentarfilmregisseur und Produzent, berichtete, dass sich das ZDF strikt geweigert habe, ihm bei einem Film über rechtspopulistische Rockmusik Rechtsschutz zu gewähren. Allein das Anspielen der teilweise illegalen Songs habe das Risiko von Abmahnungen beinhaltet. „Mit einem solchen Verhalten“, so Post, „lässt sich Gesellschaft nicht mehr diskutieren.“ Ein gravierendes, wenn nicht sogar demokratiefeindliches Problem, wenn aus Angst vor Kosten oder gerichtlich geführten Auseinandersetzungen Themen nicht mehr möglich sind.

Dabei waren ARD und ZDF gar nicht immer so wie heute. „Wir haben ihnen als Gesellschaft viel zu verdanken“, erinnert Günter Wallraff. Und da, so ist sich das Panel einig, will man wieder hin: zu einem System, das den demokratischen Willensbildungsprozess unterstützt, Wissensasymmetrien nivelliert und dem Bonum Commune, also dem Gemeinwohl, dient.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

KI: Menschen wollen Regeln

Rund drei Viertel der Menschen in Deutschland sorgen sich einer Umfrage zufolge um die Glaubwürdigkeit der Medien, wenn Künstliche Intelligenz (KI) im Spiel ist. 90 Prozent der Befragten fordern dazu klare Regeln und Kennzeichnungen. Dies ergab eine am Mittwoch in Berlin veröffentlichte Studie der Medienanstalten. Für die repräsentative Erhebung "Transparenz-Check. Wahrnehmung von KI-Journalismus" wurden online 3.013 Internetnutzer*innen befragt.
mehr »

Lokaljournalismus: Die Wüste droht

Noch sei es nicht so weit, aber von einer "Steppe" könne man durchaus schon sprechen, sagt Christian Wellbrock von der Hamburg Media School. Wellbrock ist Leiter von "Wüstenradar", einer Studie, die zum ersten Mal die bundesweite Verbreitung und zahlenmäßige Entwicklung von Lokalzeitungen in den letzten 30 Jahren unter die Lupe genommen hat. Sie erhebt, wie stark der Rückgang lokaler Medien inzwischen tatsächlich ist und warnt: In etlichen Regionen droht tatsächlich die Verbreitung von "Nachrichtenwüsten".
mehr »

Altersdiskriminierung beim WDR?

Der WDR serviert freie Mitarbeiter*innen ab, die im Rentenalter für den Sender arbeiten wollen. Damit tut er genau das Gegenteil von dem, was in der öffentlichen Diskussion derzeit geraten wird. Während Angestellte sich also über Jahre hinweg auf einen Termin für ihren Ruhestand vorbereiten konnten, wird langjährigen freien Mitarbeiter*innen nun mit kurzer Frist mitgeteilt, wann für sie angeblich Schluss sein soll. Altersdiskriminierung will man beim WDR aber nicht erkennen – für den Sender gehe es vielmehr darum, jüngeren Mitarbeitenden nicht den Einstieg zu blockieren.
mehr »

Buchtipp: Das Prinzip Trotzdem

Wie könnte ein selbstbewusster Journalismus aussehen, der sich gegen die aktuelle Medienkrise zu behaupten weiß und sich auf seine zentrale Rolle für funktionierende demokratischen Gesellschaften besinnt? Roger de Weck war Zeit-Chefredakteur, Generaldirektor des Schweizer Radios und Fernsehens sowie Mitglied des Zukunftsrats für Reformen des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks in Deutschland. In seinem jüngst erschienenen Essay „Das Prinzip Trotzdem. Warum wir den Journalismus vor den Medien retten müssen“ beschäftigt er sich mit genau diesen Fragen.
mehr »