Googles Filterblasen sind geplatzt

„Algorithmen transparent machen: Welchen Einfluss hatte Google auf die Bundestagswahl 2017?“ – Diese Frage stand im Mittelpunkt einer im Auftrag einiger Landesmedienanstalten durchgeführten Untersuchung über die Rolle von Algorithmen bei der politischen Meinungsbildung im Internet, die in der Bayerischen Landesvertretung in Berlin vorgestellt wurde. Ergebnis: Die „Theorie“ von der Filterblase ist zwar – zunächst – geplatzt. Zur Entwarnung besteht jedoch nach Meinung von Expert_innen kein Anlass.

Ziel der Studie war es, herauszufinden, „ob und wie Suchergebnisse zu politischen Stichworten bei Google personalisiert werden“, so Projektleiterin Katharina Zweig von der TU Kaiserslautern. Hintergrund ist die seit 2011 umhergeisternde Annahme von der Existenz einer „Filterbubble“ (nach der gleichnamigen Publikation von Eli Pariser). Jeder User drückt mit seinem Klickverhalten im Netz bestimmte Vorlieben aus. Spätestens seit der Einführung eines personalisierten Suchsystems von Google hält sich hartnäckig der Verdacht, die Suchmaschine entscheide aufgrund spezifischer, intransparenter Algorithmen darüber, wer wann und wie welche Nachrichten angezeigt bekommt. Dadurch, so die Vermutung, entstehe ein so genannter Echokammer-Effekt, bei dem Gleichgesinnte unter sich blieben, mit entsprechenden Folgen für die Meinungsvielfalt in der Gesellschaft.

Die im Juli 2017 gestartete Studie basierte auf der freiwilligen „Datenspende“ von 4.384 Teilnehmer_innen, die im Untersuchungszeitraum fast sechs Millionen Suchergebnisse zu einer bestimmten Zahl von Politiker_innen und Parteien auswiesen. Die Auswertung zeigt, dass diese Ergebnisse für die Nutzer_innen wesentlich weniger personalisiert wurden als ursprünglich erwartet. Nur vier bis fünf von 20 Ergebnissen in der Liste der „Google News“ – also gerade mal ein Viertel – unterscheiden sich demnach aufgrund der Personalisierung. In der „Google“-Suche, in der alle Ergebnisse angezeigt werden, fällt die Zahl der Abweichungen noch geringer aus. Zweigs Fazit:  „Die Blase ist geplatzt.“ Aber eben nur, was die sehr konkrete Frage, nämlich die Suche nach einzelnen Politiker_innen und Parteien im Wahlkampf angeht, und zwar auf Basis eines nicht repräsentativen Samples freiwilliger Datenspender_innen.

Anja Zimmer, Direktorin der Auftrag gebenden Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB), gab sich „nicht wirklich überrascht“ vom Ergebnis. Anders als in den USA, wo im Zeichen eines in Demokraten und Republikaner polarisierten Zweiparteiensystems im Netz die berüchtigten Filterblasen längst vorhanden seien, gebe es in Deutschland eine wesentlich vielfältigere Medienlandschaft. Dennoch bestehe „kein Anlass, sich entspannt zurückzulehnen“. Zimmer forderte in der Algorithmenfrage „mehr Transparenz“ ein. Per Gesetz könnten Intermediäre wie Google, Facebook und Co. verpflichtet werden entsprechende Informationen zur Verfügung zu stellen. „Nach welchen Kriterien wird gesucht? Wie werden Inhalte sortiert? Wieso taucht dies oder das in meiner Timeline auf?“ Die MABB-Direktorin machte sich stark für einen stärkeren Informationsaustausch zwischen Aufsichtsbehörden und Informationsintermediären.

Thomas Jarzombek, Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für die Digitale Agenda, bemerkte, die Meinungsmacht von Internetriesen werde dann zum Problem, „wenn sie missbraucht wird“. Im Koalitionsvertrag sei mit der SPD daher eine „Ethik-Kommission für Daten“ verabredet worden. Er plädierte in bestimmten Fällen für einen Revisionsanspruch der Betroffenen: „Wenn sich jemand durch eine Maschine benachteiligt fühlt, muss das revidiert werden.“


Das Projekt #Datenspende wurde finanziert von den Landesmedienanstalten aus Bayern (BLM), Hessen (LPR) Rheinland-Pfalz (LMK), Saarland (LMS), Sachsen (SLM) und der MABB. Kooperationspartner waren die gemeinnützige Initiative für die Kontrolle algorithmischer Entscheidungsfindung (AlgorithmWatch) und die TU Kaiserslautern.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Dreyeckland-Journalist wegen Link angeklagt

Am 18. April beginnt der Prozess gegen den Journalisten Fabian Kienert. Dem Mitarbeiter von Radio Dreyeckland in Freiburg wird die Unterstützung einer verbotenen Vereinigung vorgeworfen, weil er das Archiv eines Onlineportals in einem Artikel verlinkt hat. Das Portal mit Open-Posting-Prinzip war von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) 2017 als kriminelle Vereinigung verboten worden.
mehr »

Türkische Presse im Visier der Justiz

Der Journalist Nedim Türfent berichtet über die Situation von Medienschaffenden in der Türkei. Sein Film "Ihr werdet die Macht der Türken spüren!" über die schikanöse Behandlung kurdischer Bauarbeiter erregte große Aufmerksamkeit und brachte ihm 2015 einen Journalistenpreis ein - und 2016 seine Verhaftung. Er wurde gefoltert und zu acht Jahren und neun Monaten Gefängnis verurteilt. Die meiste Zeit davon verbrachte er im Hochsicherheitsgefängnis in der östlichen Stadt Van. Türfent wurde am 29. November 2022 nach sechs Jahren und sieben Monaten Haft entlassen. Schon wenige Monate später arbeitete er wieder als Journalist. Zurzeit nimmt er an einem Stipendium für bedrohte…
mehr »

Kinostreik über Ostern angekündigt

Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) ruft die Beschäftigten im Kinokonzern CinemaxX noch vor Ostern, zum Warnstreik auf. Grund dafür ist die Verweigerungshaltung von CinemaxX ein konstruktives Angebot vorzulegen. Die Tarifverhandlungen sind ins Stocken geraten. „Auch in der gestrigen dritten Verhandlungsrunde hat die Geschäftsführung von CinemaxX kein substanziell verbessertes Angebot vorgelegt. Die Tarifforderung der Beschäftigten von 14 Euro stellen in der aktuellen Preissteigerungssituation eine notwendige Basis für ein existenzsicherndes Einkommen dar.
mehr »

Filmtipp: One Life

„Was hat das mit uns zu tun?“, fragen sich manche Jugendliche, wenn sie in der Schule mit dem Horror des Holocaust konfrontiert werden. Eine ganz ähnliche Frage stellt der Chefredakteur einer Provinzzeitung, bei der Nicholas Winton 1988 vorstellig wird. Der damals knapp achtzig Jahre alte Rentner ist beim Ausmisten auf ein Album gestoßen, das die Rettung jüdischer Kinder aus Prag dokumentiert. Auf Umwegen landet die Information bei der Frau des Verlegers Robert Maxwell. Sie glaubt zunächst, es habe sich um eine Handvoll Jungen und Mädchen gehandelt, aber Winton hat einst 669 Kindern die Ausreise nach England ermöglicht; und davon erzählt „One Life“.
mehr »