Desillusion der Wendezeit

Mandy Tröger promovierte 2018 mit der Arbeit „On Unregulated Markets and the Freedom of Media. The Transition of the East German Press after 1989” an der University of Illinois. Eine bearbeitete Fassung wird in Kürze unter dem Titel „Pressefrühling und Profit: Wie westdeutsche Verlage 1989/1990 den Osten eroberten“ in Buchform erscheinen.
Foto Christl Metzenrath

Interview mit Mandy Tröger, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilian-Universität München

M | Noch Anfang 1990 war in der untergehenden DDR von einem „Zeitungsfrühling“ die Rede. Mehr als 100 neugegründete Blätter sorgten für eine nie gekannte Pressevielfalt. Kurz darauf war davon nichts mehr übrig. Was ist da passiert?

Mandy Tröger | Schon im März 1990 wurden von den Großverlagen der BRD massiv westdeutsche Presseprodukte auf den DDR-Markt gedrückt. Das gelang mit Hilfe von Preisdumping. Eigentlich war der Umtauschkurs 1 DM zu 3 Mark. Im Bestreben, möglichst früh neue Leser zu gewinnen, wanderten die Presseerzeugnisse zum 1:1-Kurs über die Theke. Das war faktisch ein Minusgeschäft. Es ging aber zunächst vor allem zu Lasten kleinerer westdeutscher Verlage und der DDR-Verlage. Letztere arbeiteten noch unter den Bedingungen der Planwirtschaft. Das heißt, sie waren immer noch auf Subventionen angewiesen. Springer, Burda, Bauer und G+J dagegen teilten das Verbreitungsgebiet DDR unter sich auf und errichteten einen verlagseigenen Pressevertrieb. Am 1. April fielen dann die Subventionen für die DDR-Presse weg. Die DDR-?Verlage verfügten über keine Infrastruktur, keine Werbung, kein Marketing. Das knappe Papier mussten sie weiter im Preisverhältnis 1:3 kaufen. Was Vertriebsstrukturen und Qualität anging, waren die DDR-Blätter mit den Produkten der Westverlage nicht konkurrenzfähig. Auch die Neugründungen konnten in diesem Umfeld nicht lange mithalten. Obwohl die DDR zu diesem Zeitpunkt formal noch ein souveräner Staat war, hatte sich faktisch bereits ein gesamtdeutscher Printmarkt etabliert.

Gleichzeitig liefen schon seit Ende 1989 intensive Kooperationsgespräche von westdeutschen und DDR-Verlagen. War das nicht illegal?

Die Aufteilung der DDR-Medien unter den westdeutschen Großverlagen war im Prinzip spätestens im Mai 1990 schon durch. Es zirkulierten Listen ostdeutscher Zeitungen mit potentiellen Käufern oder mit klaren Kooperationsvereinbarungen. Die reichten von Büroausstattungen über Druckaufträge bis zur Inhalteproduktion im Westen. Allein die Ostsee-Zeitung bekam schon im Dezember 1989 fünf Anfragen innerhalb einer Woche. Hoch im Kurs stand auch der Berliner Verlag (siehe auch S.??16?–?18), da gaben sich sämtliche Großverlage die Klinke in die Hand. Besonders scharf waren die finanzstarken Großverlage, vor allem Bauer und später Springer, auf die vierzehn SED-Bezirkszeitungen sowie den Berliner Verlag samt Berliner Zeitung. Im Gegensatz zum Neuen Deutschland und der Jungen Welt, denen die institutionellen Großabnehmer wegbrachen, konnten diese Blätter ihre Auflagen stabil behaupten. Mit Auflagen zwischen 200.000 und 600.000 Exemplaren hatten sie quasi eine Monopolstellung in den jeweiligen Bezirken.

Auch die Treuhand spielte in dieser historischen Situation eine höchst unrühmliche Rolle. Nach dem Verkauf der SED-Bezirkszeitungen an die westdeutschen Großverlage war die Presse?vielfalt geringer als noch zu Zeiten der DDR-Diktatur. Ist das nicht ein Treppenwitz der Mediengeschichte?

Was die Presse angeht, da ist die Treuhand eigentlich nur der Sündenbock. Das eigentliche Problem lag bei der Bundesregierung. Der größte Teil der bestehenden Kooperationen wurde faktisch 1991 von der Treuhand nachträglich nur offiziell genehmigt. Natürlich hätte es die Möglichkeit gegeben, das zu unterbinden. Am Ende bestand aber kein Interesse daran, die Monopolisierung zu verhindern. Birgit Breuel, seit 1991 Präsidentin der Treuhand, sagte später: Die Großverlage wussten um ihre Macht. Die Treuhand hatte kaum Alternativen und keinen politischen Auftrag, für Pressevielfalt zu sorgen. Man brauchte finanzstarke Verlage. Daher war im Prinzip die Übernahme der Zeitungen im Mai/Juni 1990 bereits abgeschlossen. Es kam nur noch zu einigen Verschiebungen.

Die Kohl-Regierung ließ die Westverlage also offenbar gewähren?

Die Rolle der Bundesregierung und speziell des Bundesinnenministeriums ist in der historischen Betrachtung einigermaßen unterbelichtet. Ja, das Bundesinnenministerium ließ westdeutsche Verlage Anfang 1990 gewähren. Ziel war, Informationen für die März-Wahlen in die DDR zu bekommen. Was kaum bekannt ist: Schon Ende 1990 gab das BMI eine Studie in Auftrag mit dem Ziel, die Pressekonzentration in der DDR und später in den Neuen Ländern zu dokumentieren. Als die Ergebnisse Ende 1991/92 publiziert wurden, gab es einen Aufschrei. Weil man da das ganze Ausmaß der Monopolisierung allmählich überblickte. Aber während des ganzen Prozesses hat die Politik mehr oder weniger tatenlos zugesehen.

Und die Ostpolitiker? Immerhin hatte die DDR für kurze Zeit sogar einen eigenen Medienminister. Und dann gab es noch den Medienkontrollrat …

Der Medienkontrollrat wurde am 5. Februar 1990 auf Grundlage des Medienbeschlusses basisdemokratisch geschaffen, hatte aber keine exekutive Gewalt. Er formulierte Plädoyers, Beschwerden, mischte sich ein, versuchte, die Expansion der Westverlage zu stoppen, wurde aber letztlich immer wieder übergangen. Der CDU-Mann und Theologe Gottfried Müller, Medienminister im Kabinett von Lothar de Maizière, wollte die Monopolstrukturen der DDR-Presse zerschlagen. Ihm schwebten zum Beispiel mittelständische, verlagsunabhängige Grossisten nach dem Vorbild der Bundesrepublik vor. Die Pressevertriebsverordnung von Mai 1990 richtete sich entsprechend gegen den verlagsabhängigen Vertrieb der großen Vier. Darin hieß es ganz klar: Verlage dürfen nicht selbst in den Vertrieb von Presseprodukten involviert sein. Aber zu dem Zeitpunkt gab es schon eine komplette Infrastruktur mit 3.000 Verkaufsstellen, die konnten nicht mehr durch politisches Handeln abgebaut werden. Der Staat war schwach. Das Vakuum wurde durch die Verlage genutzt, um Tatsachen zu schaffen und ihren Exklusivvertrieb aufzubauen.

Warum schritten die Kartellämter seinerzeit nicht ein?

Das Amt für Wettbewerbsschutz wurde schon zu Zeiten der Modrow-Regierung nach dem Vorbild des Bundeskartellamtes am 20. März 1990 gegründet. Es fing aber erst Monate später mit der Arbeit an. Zu spät, um noch einzugreifen. Das in der Noch-DDR eingeführte Kartellrecht war außerdem wesentlich marktfreundlicher als das Recht in der alten Bundesrepublik. In der Vertriebsfrage war das Bundeskartellamt zuständig, es schritt nach der Einheit ein und löste das Verlagskartell im Pressevertrieb auf. Ziel war, bestehende Strukturen in der BRD nicht zu gefährden. Am Ende hat die Bundesregierung im Osten aber auf den freien Markt gesetzt.

Waren die DDR-Bürger vom Hochglanz westdeutscher Verlagsprodukte geblendet oder hat die Gier nach der D-Mark am Ende alle basisdemokratischen Bedürfnisse plattgemacht?

Es gab politischen Druck, den DDR-Bürgern den Zugang zur Westpresse zu geben. Trotzdem hielten die DDR-Bürger an ihren ehemaligen Bezirksblättern fest. Viele wollten schließlich die D-Mark, klar. Aber die ersten Wahlen wurden ja ganz krass von der Kohl-Regierung beeinflusst. Allein das Ministerium für innerdeutsche Beziehungen hat 7,5 Mil?lionen Mark in den Wahlkampf gesteckt. Das Bundesinnenministerium hatte noch im Februar 1990 die Westverlage gewarnt, sie agierten in einer rechtlichen Grauzone. Aber im anlaufenden Wahlkampf hat es dann die Verlage geradezu ermutigt, diese Grauzone zu nutzen und nach Osten zu expandieren.

Bürgerrechtler und der Medienkontrollrat träumten eine Weile den Traum vom „dritten“ Weg, einem Weg zwischen kapitalistischem Markt und staatlicher Zensur. War dieser Traum von vornherein illusionär?

Viele denken heute, nach dem Fall der Mauer sei der Zug direkt in Richtung Einheit gefahren. So war es ja nicht. Es gab basisdemokratische Reformbestrebungen, es war nicht von vornherein klar, dass es zur Vereinigung kommen würde. Das wurde erst durch die Parteien und Wirtschaftsinteressen aus der alten Bundesrepublik kanalisiert. Der Medienkontrollrat wurde mit der deutschen Einheit begraben. Daher konnte die Noch-DDR in den Verhandlungen zur „Medieneinheit“ kaum eigenständige Vorstellungen beitragen.

Wie beurteilen Sie den aktuellen Zustand der ostdeutschen Medienlandschaft?

Der ist traurig. Derzeit stecken wir allerdings ganz allgemein in einer „Medienkrise“, die ist nicht nur digitaler, sondern struktureller Natur. Auf den Osten bezogen heißt das, es gibt beispielweise keine oder kaum ostdeutsche Stimmen in den Medien. Über Ostdeutsche wird gesprochen, sie sprechen selten selbst, es sei denn sie bedienen bereits bekannte Stereotypen. In einer Studie im Auftrag des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) aus dem Jahr 2017 wird die Frage nach der Qualität der Berichterstattung über Ostdeutschland gestellt. Ergebnis: Es überwiegt Negativberichterstattung. Das hat lange Tradition. Es gibt mehrere Studien, die belegen, dass in der BRD über die DDR vor allem negativ berichtet wurde. Politische Unterdrückung und Mangelgesellschaft standen im Vordergrund, nicht die Menschen. Das wirkt sich bis heute aus mit schwerwiegenden Folgen. Wie soll jemand in Bayern ein Gefühl dafür bekommen, wie vielschichtig die Menschen im Osten ticken?

„Lügenpresse in die Fresse!“ Solche Rufe ertönen vor allem bei Demonstrationen im Osten Deutschlands. Könnte es sein, dass diese medienfeindliche Haltung auch eine Spätfolge der in der Wendezeit erlebten Desillusionierung ist?

Wenn jetzt diese Parolen von der „Lügenpresse“ ertönen, heißt es oft, sie seien Folge der DDR-Erfahrung. Menschen im Osten hätten kein Demokratieverständnis. Ich denke, es ist tatsächlich eher eine Folge der Desillusion der Wendezeit. Man erlebte eine strukturelle Ausgrenzung, in der die eigene Stimme nicht zählte. Die Bürgerzeitungen, die sich damals formiert hatten, gingen den Bach runter. Die diskutierten Ideen über alternative Finanzierungskonzepte, von einer auch auf innerer Pressefreiheit beruhenden unabhängigen Presse. All die zahlreichen Initiativen für demokratische Reformen wurden abgewürgt. Und zugunsten politischer Interessen der alten Bundesregierung und Wirtschaftsinteressen der Großverlage beerdigt. Das wirkt bis heute nach.

 

 

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Fünfter Streik beim Bundesanzeiger

Mit rund 130 Millionen Euro Jahresumsatz und einer stattlichen Gewinnmarge von 18 bis 20 Millionen Euro ist der Bundesanzeiger Verlag die Cash Cow der DuMont Verlagsgruppe. Doch der Verlag verweigert Tarifverhandlungen. Dabei, so formuliert es Bundesanzeiger-Betriebsrat Gerhard Treinen, befindet sich ein großer Teil der rund 560 Beschäftigten und der bis zu 280 Leiharbeitenden in prekären Arbeitsverhältnissen. Daher hat ver.di jetzt zum fünften Mal in diesem Jahr zu einem Warnstreik aufgerufen. Rund 100 Streikende hatten sich dann auch vor dem DuMont Gebäude in Köln versammelt und verliehen ihrem Unmut hörbar Ausdruck als sie „Tarifvertrag jetzt“ skandierten. „Ich habe…
mehr »

Die Verantwortung der Redaktionen

Auf die mentale Gesundheit zu achten, ist keine individuelle Aufgabe. Auch Arbeitgeber*innen können und sollten etwas für psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter*innen tun. Wie funktioniert das in einer Branche, die so geprägt ist von Zeit und Leistungsdruck und belastenden Inhalten wie der Journalismus? Wir haben uns in zwei Redaktionen umgehört, die sich dazu Gedanken gemacht haben: das Magazin Neue Narrative und der Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag (SHZ).
mehr »

Gewalterfahrung im Lokaljournalismus

In Deutschland hat sich die Zahl der gewalttätigen Übergriffe auf Journalist*innen deutlich erhöht. Viele der Übergriffe finden am Rande von Demonstrationen statt. Der Thüringer Journalist Fabian Klaus recherchiert zu Rechtsextremismus und wird deshalb bedroht. Mit M sprach er über zunehmende Bedrohungslagen im Lokaljournalismus und die Unterstützung aus den Redaktionen.
mehr »

Media Hub Riga: Ein sicherer Ort

Wer den Media Hub Riga besuchen will, bekommt vorab von Leiterin Sabīne Sīle die Anweisung, die Adresse nicht weiterzugeben und keine Fotos zu machen, die seine Lage preisgeben. Drinnen wartet die alltägliche Atmosphäre eines Büros. Der Media Hub wirkt wie ein gewöhnlicher Co Working-Space – nur freundlicher. An den Wänden hängen Fotos von lächelnden Menschen am Strand, eine Girlande aus Orangenscheiben schmückt den Flur. Luftballons, auf denen „Happy Birthday“ steht, zeugen von einer Geburtstagsparty.
mehr »