Filmstab unter Druck

Im Sommer ist Hochsaison beim Dreh in Berlin und Umgebung
Foto: medienboard.de

Arbeitsbelastung treibt Beschäftigte in andere Jobs

Die Filmbranche beklagt einen Nachwuchsmangel in den meisten Gewerken der Filmherstellung. Für die vollen Auftragsbücher der Produzenten fehlt es zusätzlich an ausreichend qualifiziertem Fachpersonal, insbesondere bei den Aufnahmeleiter*innen. Die kehren ihrem Beruf zunehmend den Rücken. Der Arbeitsschutz spielt dabei eine wesentliche Rolle.

Was den Nachwuchsmangel in der Filmbranche betrifft, ist man sich von allen Seiten einig, es liege am demographischen Wandel. Laut ver.di-Publik ist es auch ein hausgemachtes Problem der Produzenten. Es gibt für viele Gewerke keine Ausbildung, es sind vor allem Quereinsteiger, die sich bislang mit zwei Praktika, fünf Assistenzen über etwa vier bis fünf Jahre bis zu ihrem Beruf hochgearbeitet haben. Seitdem auch für Praktikant*innen der Mindestlohn gilt, sparen viele Produzenten und besetzen zu wenige Praktikumsstellen. Das hat nach sich gezogen, dass es heute zu wenige Assistenzen in den Gewerken gibt, dem Pool für die künftigen Fachkräfte. In der Süddeutschen Zeitung gab Bavaria-Film-Geschäftsführer Franckenstein kürzlich zu, dass es auch an den Arbeitsbedingungen in den Berufen liege, denn befristete Arbeitsverträge, lange Arbeitstage und projektbezogene Einsatzorte begünstigten nicht unbedingt eine ausgeglichene Work-Life-Balance.

Gleichzeitig beklagen die Produktionsfirmen einen Fachkräftemangel. Das Schlagwort ist allzu bekannt aus Branchen wie dem Gesundheitswesen. Die Unternehmen nutzen es, um von den überwiegend schlechten Löhnen und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten abzulenken. Das betrifft in der Filmproduktion ebenfalls die Gagen in bestimmten Gewerken, vor allem aber die Überschreitung der Tageshöchstarbeitszeit von zwölf Stunden pro Drehtag. Zuletzt hatte die UFA, die bekannt ist für Produktionen wie „Kudamm 56/59“ und „Charité“, sogar entschieden, die Beitragszahlungen für die Pensionskasse Rundfunk, die paritätische Altersversorgung für Freie bei Film und Rundfunk, zu beenden. Die ver.di FilmUnion konnte die UFA jedoch zu einem Verbleib in der Pensionskasse bewegen.

Gerade die Streaming-Portale machen den Produzenten Konkurrenz: Amazon, Netflix & Co. greifen ihnen das erfahrene Personal ab. Eine Staffel für eine Serie kann bis zu 100 Leute über neun Monate an einen Dreh binden, und das mit geregelteren Arbeitszeiten als bei vielen Spielfilmproduktionen. „Insbesondere in den Gewerken der Aufnahmeleiterberufe, Filmgeschäftsführer, Tonangler und deren Assistenzen herrscht ein Mangel“, sagt Ingo Weerts von der ver.di FilmUnion in Köln. „Dies wird auch aus München bestätigt. Die Gagen sind aufgrund der angespannten Lage hier in Köln sogar gestiegen“, berichtet Weerts. Doch habe sich nicht nur wegen der dünnen Personaldecke die Arbeitsverdichtung für die Filmschaffenden erheblich erhöht. Dies liege auch an der zu kurzen Drehzeit. In der Tat ist die Drehzeit eines Neunzigminüters seit Jahren von 28 Drehtagen auf inzwischen 21 gesunken.

Von allen Seiten hört man, dass sich Filmschaffende um die vierzig aus ihren Berufen zurückzögen, so gingen Filmgeschäftsführer in Steuerkanzleien und Aufnahmeleiter in die Werbung. „Viele Altgediente steigen wegen eines Burnouts aus“, meint Ingo Weerts. Nun fehlen aber gerade die Erfahrenen und Qualifizierten beim Dreh. „Wir kennen das Problem“, sagt Oliver Castendyk, Wissenschaftlicher Direktor und Mitglied der Geschäftsleitung in der Produzentenallianz. „Allerdings sehen wir auch, dass hier ein differenzierter Blick je Gewerk vonnöten ist, um genau an den richtigen Stellen tätig zu werden. Wir denken daher über eine Mitgliederumfrage dazu nach. Um auch in der Politik etwas bewirken zu können, braucht es verlässliche Daten.“

Nun ist der Politik der Mangel an Filmschaffenden für das derzeitige Produktionsvolumen bereits aufgefallen. Und auch deren Ursachen: So sei 2018 die Einhaltung sozialer Standards als Kriterium bei der Produktionsförderung von Filmen aufgenommen worden, vermeldet die MFG Filmförderung Baden-Württemberg. „Seit letztem Mai müssen Antragsteller*innen erklären, ob sie branchentarifvertragliche oder entsprechende soziale Standards einhalten. Falls ihnen dies nicht möglich ist, bedarf es einer Begründung.“ Das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst erklärt, dass dies in Zukunft auch für die Förderung durch die HessenFilm GmbH gelten solle.

„Die Lage in Hamburg ist sehr angespannt, besonders im Bereich Aufnahmeleitung“, berichtet Tina Fritsche von der ver.di FilmUnion. Man hört, dass sich vor allem Aufnahmeleiter*innen aus dem Beruf zurückziehen. Warum? „Die Kollegen verlassen vor allem wegen der schwierigen Arbeitsbedingungen ihren Beruf. Während die Ansprüche an sie seit Jahren steigen, werden die Vorbereitungszeiten im Gegensatz dazu immer kürzer“, sagt Martin Hartmann, der seit 12 Jahren als Erster Aufnahmeleiter (AL) in Köln arbeitet. „Außerdem wird gerade bei uns die Tageshöchstarbeitszeit und die tariflich vereinbarte Mehrarbeitsvergütung oft umgangen.“

Die Berufe in diesem Bereich sind ausgesprochen komplex: Der Erste AL gehört zum Team im Produktionsbüro und ist vor und während der Drehzeit zuständig für die Dispo von Personal und Technik an den verschiedenen Motiven. Logistische und kaufmännische Kompetenz ist entscheidend, immer in Abstimmung mit den künstlerischen Präferenzen der Regie. Deswegen erstellen Erster AL und Regie-Assistenz im Vorfeld gemeinsam den Drehplan. Der Set-AL ist am Drehort präsent und sorgt für den planmäßigen Ablauf der Dreharbeiten. Dagegen kümmert sich der Motiv-AL um Motive, Drehgenehmigungen, Stromanschlüsse und den Fuhrpark. Aufgrund des Mangels an Assistent*innen sind die Übergänge zwischen den Aufgaben heute oft fließend.

Ein Grund, warum die Aufnahmeleitung an Attraktivität verloren hat, scheint die unklare juristische Lage zu sein, wer für den Arbeitsschutz verantwortlich gemacht wird. In der deutschen Filmbranche ist bekannt, dass man es mit dem Arbeitsschutz am Drehort nicht so genau nimmt „In die Entscheidungsfindung, ob nun gedreht wird oder nicht, werden wir häufig nicht einbezogen oder gar nicht gehört“, sagt Hartmann. Dazu muss man wissen, dass die Berufsgenossenschaft (BG) seit Jahren mehr Druck auf die Produktionen ausübt, die Bestimmungen einzuhalten. Wie hat man sich das vorzustellen? Bei einem Unfall am Drehort prüft die BG im Schadensfall, ob das Motiv im Sinne der Arbeitsschutzbestimmungen als sicher gilt. Ist dies nicht der Fall, muss die Produktionsfirma zahlen. Und die nimmt, je nach Schadensart, mitunter von ihr Beschäftigte in Regress. Das können auch Aufnahmeleiter sein, die für die Gefährdungsbeurteilungen zuständig sind, aber nicht darüber entscheiden, ob oder wann weiter gedreht wird.

Es gibt in Deutschland keine eindeutige Definition der Verantwortungsbereiche in der Filmproduktion. Doch das Land hat sich mittlerweile zu einem international gefragten Drehort entwickelt. Die hiesigen Filmschaffenden stellen bei ihren Kolleg*innen aus dem Ausland fest, dass deren Verantwortlichkeiten dort differenziert und bindend verteilt sind. Bei Produktionen in Großbritannien und den USA ist der Einsatz eines qualifizierten „Health und Safety Coordinators“ gesetzlich vorgeschrieben. Hartmann wünscht sich, dass sich das Staatsministerium für Kultur und Medien, Förderanstalten, Produzentenallianz, BG und ver.di an einen Tisch setzen, um Arbeitschutz-Richtlinien für die Filmbranche zu erarbeiten.

Vermutlich würden dann die von der BG angemahnten Qualifikationen für Filmschaffende, wie zum Beispiel Befähigungsscheine für Brandschutzhelfer und Ausbildungslehrgänge für die Beleuchtungsabteilung von den Beschäftigten auch gebucht werden. Das Paradoxe ist, dass wenn sie diese Fortbildungen, zum Teil auf eigene Kosten, wahrnehmen, sie danach die juristische Verantwortung in ihrem Arbeitsbereich tragen, obwohl sie keinen Einfluss auf die Entscheidungen haben. Tina Fritsche von der Hamburger FilmUnion begrüßt einen runden Tisch, findet aber auch, dass man bis dahin die AL nicht alleine in ihrem Dilemma stecken lassen dürfe: „Die Kolleg*innen sollten gewerkeübergreifend die Reißleine ziehen und sagen, so jetzt ist aber Schluss nach 12 Stunden.“

 

 

 

 

 

 

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