Zwischen staatlicher Zensur und entfesselter Marktwirtschaft

Eastside Gallery Berlin
Robert Harding/Eric Nathan

30 Jahre nach der Wende bietet die Medienlandschaft im Osten Deutschlands ein zwiespältiges Bild. Nach wie vor verlieren die von westdeutschen Großverlagen kontrollierten ehemaligen DDR-Traditionstitel überdurchschnittlich an Auflage. Der aufgelöste staatliche DDR-Rundfunk ist erfolgreich in ARD und ZDF integriert. Gescheitert war indes früh der Traum von einem „Dritten“ Medienweg.

Staatsunabhängige Medien, eine von der Lizenzierungspflicht befreite Presse, ein öffentlich-rechtliches Rundfunksystem – solche in den meisten demokratischen Gesellschaften selbstverständlichen Einrichtungen – sollte es nach dem Fall der Mauer auch im Osten Deutschlands geben. Tatsächlich schickte sich noch die alte DDR-Volkskammer bereits Anfang 1990 an, auf den Trümmern der SED-Diktatur die Medien zu demokratisieren. Grundlage war der „Beschluss über die Gewährleistung der Meinungs-, Informations- und Medienfreiheit“. Der Kernsatz dieses Dekrets: „Jegliche Zensur der Medien ist untersagt.“

Zeitschriften und Zeitungen der DDR, fotografiert im Museum „Zeitreise“ in Radebeul, dass 2016 verkauft und als Museum „Die Welt der DDR“ am 29. Januar 2017 in Dresden neueröffnet wurde.
Foto: Stefan Kühn

Formal war auch in der DDR-Verfassung die Freiheit von Presse und Rundfunk gewährleistet. Mit dem westlichen Demokratiebegriff hatte dies freilich wenig zu tun. Die sozialistische Definition forderte Freiheit nicht als Individualrecht, sondern als „Recht einer Klasse“, im Zweifel selbstredend der Partei der Arbeiterklasse. Wie dies gehandhabt wurde, zeigte sich gerade in der Agoniephase des SED-Regimes besonders drastisch. Der damalige ZK-Sekretär für Agitation und Propaganda Joachim Herrmann, verantwortlich für die penible Überwachung der Medieninhalte, drangsalierte die Beschäftigten nahezu täglich mit absurden Direktiven. Etwa vom Schlage „Tiefflüge sind kein Thema für uns“ oder „Wir beschäftigen uns nicht mit der Ausreiseproblematik“. Auch Eingriffe in laufende Sendungen der „Aktuellen Kamera“ waren keine Seltenheit. Damit sollte nun Schluss sein. Eine wichtige Rolle spielte seinerzeit der rund 40köpfige Medienkontrollrat, ein vom Runden Tisch vorgeschlagenes und von der Volkskammer eingesetztes Gremium staatsunabhängiger, gesellschaftlich relevanter Gruppen. In diesem Rat tummelten sich unter anderem Bürgerrechtler vom Neuen Forum, dem Unabhängigen Frauenverband und der Initiative für eine Vereinigte Linke. Der bunte Haufen sollte die Medien-entwicklung kritisch begleiten und bei der Umsetzung des Medienbeschlusses der Volkskammer helfen. Eines Beschlusses, der manch brisanten Programmpunkt enthielt. „Zur Sicherung der Eigenständigkeit der Medien unseres Landes“, hieß es da beispielsweise, „bedarf jede Eigentumsbeteiligung an Medien der DDR durch Ausländer der Genehmigung des Medienkon-trollrates“. Ein klarer Schuss vor den Bug von Springer, Burda, Bertelmann & Co. Die scharrten schon vernehmlich mit den Hufen, um ihre Claims bei der -anstehenden Eroberung des ostdeutschen Zeitungsmarktes abzustecken.

Idee: Rundfunk in Volkseigentum

Nachrichtenraum der „Aktuellen Kamera“ 1990 in Berlin-Adlershof
Foto: Paul Glaser

Der DDR-Rundfunk, da bestand durchaus Konsens, sollte zwar in ein öffentlich-rechtliches System überführt werden. Abweichend von den Verhältnissen bei ARD und ZDF sollten die elektronischen Medien nach den Vorstellungen der Bürgerrechtler jedoch „Volkseigentum“ sein und von allerdings nicht näher definier-ten „gesellschaftlichen Räten“ kontrolliert werden. Jedem Anfang, so heißt es bei Hermann Hesse, wohnt ein Zauber inne. Es herrschte „eine unheimliche Aufbruchsstimmung“, erinnerte sich später Buchverleger und Publizist Christoph Links, der am 1. Dezember 1989, den Ch. Links Verlag gründete. Es war das „wunderbare Jahr der Anarchie“, eine kurze historische Phase, in der alles möglich schien. Sogar Westjournalisten seien in den Osten gekommen, „um sowas mal zu erleben, weil sie das aus ihren verfestigten Anstalten nicht kannten“. In neuen Formaten wie dem Jugendmagazin „Elf 99“ und Live-Sendungen erprobten die Mitarbeiter*innen des DDR-Rundfunks nun erstmals einen freien und kontroversen Journalismus. Bärbel Romanowski, damals Redakteurin beim DDR-Fernsehen, heute PR-Beraterin und Mitglied im Medienrat Berlin-Brandenburg, bekam seinerzeit im „Deutschen Fernsehfunk“ (DFF) eine eigene Frauensendung: „Ungeschminkt“. Anfangs konnte sie es kaum fassen, unkontrolliert, ohne Interventionen von Funktionären der Staatspartei arbeiten zu können. „Keiner sagte, was willst du den Minister fragen, keiner wollte wissen, wie strukturierst du die Sendung. So haben wir zwei Jahre lang Fernsehen gemacht, völlig frei.“

Doch für die Anhänger eines „dritten“ Medienwegs zwischen staatlicher Zensur und entfesselter Marktwirtschaft dauerte dieser Zauber nur kurz. Für die Printmedien der DDR schlug schon am 1. April 1990 die Stunde der Wahrheit. Damals wurden die Zeitungen und Zeitschriften recht abrupt in die raue Welt der freien Marktwirtschaft entlassen. Der Wegfall staatlicher Subventionen löste sofort eine rasante Pressekonzentration aus. Die ersten Opfer waren vor allem die überregionalen Zentralblätter und der größte Teil der Neugründungen aus der Nachwendezeit.

Besonders schlecht erging es den ehemaligen nationalen Sprachrohren der SED, der Blockparteien und der Massenorganisationen. Bis 1992 eingestellt wurden das Deutsche Sportecho, Der Morgen (zwischenzeitlich im Besitz von Springer), die Berliner Allgemeine (früher: Nationalzeitung), das Deutsche Landblatt (früher: Bauern-Echo) sowie das einstige FDGB-Organ Tribüne. Zwei Jahre später erwischte es auch das frühere CDU-Blatt Neue Zeit (zwischenzeitlich unter Kontrolle der FAZ). Nur das ehemalige SED-Zentralorgan Neues Deutschland (ND) und das einstige zentrale Blatt der Freien Deutschen Jugend (FDJ) Junge Welt (JW) überlebten bis heute. Beide erreichen allerdings mit Auf-lagen von etwa 24.000 (ND) bzw. geschätzten 15.000 Exemplaren (JW) nur noch einen Bruchteil ihrer früheren Massenauflage von insgesamt 2,6 Millionen.

Auflagenentwicklung der früheren SED-Bezirkszeitungen Verkaufte Auflage in Tsd. Exemplaren (Gerundet auf volle Tausend). Quellen: Media Perspektiven, Meedia, IVW I/2019
Auflagenentwicklung der früheren SED-Bezirkszeitungen Verkaufte Auflage in Tsd. Exemplaren (Gerundet auf volle Tausend). Quellen: Media Perspektiven, Meedia, IVW I/2019

Günstige Politik für Westverlage

Auch die im Gefolge der Wende gegründeten unabhängigen Zeitungen der Bürgerrechtsbewegung verschwanden vom Markt. Übrig blieben vor allem die ehemaligen SED-Bezirkszeitungen. Diese auflagenstarken Blätter verfügten schon zu DDR-Zeiten über ein fast vollständiges Monopol orts- und kreisbezogener Berichterstattung. Dass dieser Zustand schon wenige Jahre nach dem gesellschaftlichen Umbruch wiederhergestellt war, ist vor allem dem erfolgreichen Lobbyismus westdeutscher Großverlage, dem Stillhalten der Bundesregierung und der kurzsichtigen Politik der Treuhandanstalt zu verdanken. Letztere hatte im April 1991 die begehrten Bezirkszeitungen an Konzerne verkauft. Eine – vorsichtig ausgedrückt – den Interessen der Westverlage sehr entgegenkommende Politik und die Untätigkeit der Kartellämter beförderten eine Art „urspüngliche Akkumulation“ des Verlagskapitals im Osten der Republik.

Gegen die Wucht, mit der die Westverlage ihren eigenen Zeitungs- und Zeitschriftenvertrieb etablierten, war das veraltete, bürokratische Vertriebssystem der DDR-Post hoffnungslos unterlegen. „Die Flut der Pressetitel von drüben … verstopft Weg und Kanäle, durch die sich die landeseigene Presse ihren Weg zum Leser suchen muss“, klagte im Mai 1990 DDR-Medienminister Gottfried Müller – ja, sowas gab es wirklich, wenn auch nur ein halbes Jahr lang. Müller: „Es ist nicht selten so, dass an Kiosken die Pakete mit den grauen DDR-Produkten gar nicht mehr ausgepackt werden, weil man ja allen Platz zur Präsentation der bunten West-Titel braucht.“

Plakatreklame für die DDR-Illustrierte „F.F. dabei“ am 20. Februar 1996 in Berlin. Die einzige Programmzeitschrift für das Fernsehen der DDR wurde noch im Jahr 1996 eingestellt. Foto: Toni Nemes

Von den in der DDR lizenzierten 543 Zeitschriften überlebte nur eine Handvoll. Zu den bekannteren zählen das Verbrauchermagazin Guter Rat, die Satirezeitschrift Eulenspiegel sowie das einst wegen freizügiger Erotikaufnahmen populäre und als „Bückware“ gehandelte Magazin. Einzige erfolgreiche Zeitschriftenneugründung ist das Wochenblatt Super Illu, ein bunter Digest mit hohem Nostalgiekonzentrat – laut Branchenspott das „Blatt für die geschundene Ost-Seele“.

Bereits kurz darauf war der „Zeitungsfrühling“ beendet, die zeitweilig beachtliche Vielfalt drastisch reduziert. Ironie der Geschichte: Der Marktanteil der verhökerten Bezirkszeitungen an der Auflage aller regionalen Aboblätter liegt heute höher als zur Zeit der SED-Diktatur. Allerdings verzeichnen alle Blätter einen dramatischen Auflagenschwund. So hat sich ihre Gesamtauflage innerhalb der vergangenen 30 Jahre im Schnitt etwa um mehr als zwei Drittel reduziert. (vgl. Grafik)

Deutscher Fernsehfunk aufgelöst

Auch im Rundfunk gelang es den Befürwortern des Dritten Weges nicht, eigene Akzente zu setzen. An der Eingliederung in öffentlich-rechtliche Strukturen nach dem Vorbild von ARD und ZDF führte kein Weg vorbei. Als Rundfunkbeauftragter für die neuen Bundesländer agierte bis Ende 1991 Rudolf Mühlfenzl, der ehemalige Chefredakteur des damals noch erzkonservativen Bayerischen Rundfunks. Ihm eilte seinerzeit der Ruf eines gnadenlosen Abwicklers, eines Wessi mit Konquistadorenmentalität voraus. Der Deutsche Fernsehfunk wurde aufgelöst. Von den zentralen DDR-Hörfunkstationen überlebte nur „Deutschlandsender DS Kultur“ im Schoße des neu gegründeten Deutschlandradios. DS Kultur, 1994 mit dem Westberliner RIAS zum Deutschlandradio Berlin (heute: DLF Kultur) fusioniert, profitierte von der politischen Entscheidung der Ministerpräsidenten der Länder, neben dem Deutschlandfunk einen weiteren werbefreien nationalen Hörfunkkanal zu betreiben.

Besonders kontrovers verlief die Neugestaltung beim Aufbau öffentlich-rechtlicher Strukturen in den einzelnen Ländern. Die Idee einiger Ostpolitiker, in den fünf neuen Ländern eine gemeinsame dritte öffentlich-rechtliche TV-Anstalt neben ARD und ZDF zu bilden, stieß auf wenig Gegenliebe. Dieser auch von der Medienlinken favorisierte Ansatz wurde durch egoistisches Gezerre innerhalb der ARD und der Länder vertan. Am Ende schloss sich Mecklenburg-Vorpommern dem NDR an. Das 2,5-Millionen-Land Brandenburg leistete sich zunächst aus der nicht ganz unbegründeten Furcht vor einer Dominanz des Hauptstadt-Senders Freies Berlin (SFB) mit dem Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg (ORB) einen eigenen Sender. Eine umstrittene Entscheidung, die mit der 2003 erfolgten Fusion von ORB und SFB zum Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) korrigiert wurde. Dagegen gründeten Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt bereits 1991 den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR). Der Dreiländerverbund ist heute die fünftgrößte ARD-Anstalt. Ein Konstrukt, das Chefabwickler Mühlfenzl später als größten Erfolg seiner Tätigkeit ansah. Vom ehemaligen DDR-Rundfunk blieb nicht viel mehr als „Unser Sandmännchen“.

Kein Gehör fand auch eine andere zentrale Forderung der Medienopposition: die Rundfunkaufsicht durch staatsferne, gesellschaftliche Räte. In Abgrenzung zur damals schon umstrittenen Zusammensetzung einiger Rundfunkräte in der ARD und des ZDF-Fernsehrates forderte etwa die Medienwissenschaftlerin Edith Spielhagen als Mitglied des Medienkontrollrats die Präsenz von „mehr Medienexperten“ und „weniger Vertretern aus Staat, Regierung und Parteien“. Eine nach wie vor aktuelle Problematik, wie der folgende jahrelange und bis in die Gegenwart reichende Streit um eine allzu große Staatsnähe vor allem der ZDF-Gremien zeigt.

Viele Chancen verspielt

Die „Medienwende“ von 1989/90 war, so lässt sich im Rückblick resümieren, keine Wende ausschließlich zum Guten. Das gilt vor allem für die Printmedien. Verspielt wurde „die große Chance auf eine dicht gewebte, feingliedrige, von unten gewachsene Presselandschaft“, urteilt der Leipziger Kommunikationswissenschaftler Uwe Krüger. Eine Landschaft, die die spezifischen lokalen und regionalen Wahrnehmungen, Bedürfnisse und Interessen mit viel Bürgerbeteiligung hätte ausdrücken, verhandeln und in den gesamtdeutschen politischen Diskurs einspeisen können“. Was wäre, fragt Krüger, wenn die Keime einer solchen Printmedien-Flora nicht „von den mächtigsten Akteuren in einem unregulierten Markt zerstört worden wären?“ Und er gibt selbst die Antwort: „Vielleicht wäre der Osten heute weniger rechts, weniger anfällig für Demagogen, fühlte sich weniger abgehängt und bedroht, vielleicht wäre er stärker, selbstbewusster, demokratischer.“

 

 

 

 

 

 

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