Die Verstümmelung des Markenkerns

Portrait von Günter Herkel

Günter Herkel lebt in Berlin und arbeitet als freier Medienjournalist für Branchenmagazine in Print und Rundfunk.
Foto: Jan-Timo Schaube

Meinung

Eine Protestwelle gegen die „Reform“pläne in der ARD rollt an. Die neue Programmdirektion der ARD beabsichtigt, die Zahl der politischen Magazine im Ersten substantiell zu verringern. Dem Auslandsmagazin Weltspiegel droht die Abschiebung vom frühen Sonntag- auf den späten Montagabend. Dagegen regt sich nun Widerstand. Die Betroffenen wehren sich mit Offenen Briefen gegen diese Verstümmelung des Markenkerns der ARD.

„Wir wollen die politische Berichterstattung im Ersten ausbauen und einen neuen Schwerpunkt ‚investigativen Journalismus‘ schaffen“, verkündet der erst im Mai inthronisierte neue ARD-Chefredakteur Oliver Köhr. Die durchgesickerten Pläne sprechen indes eine andere Sprache.

Oder was bedeutet es, wenn die sechs Politmagazine im Ersten – Panorama, Monitor, Kontraste, Fakt, Report Main und Report München künftig 24 ihrer bislang 90 Sendeplätze verlieren sollen? Was würde passieren, wenn der Weltspiegel, wie offenbar beabsichtigt, Montagnacht erst im Anschluss an die Tagesthemen liefe? Nach Lage der Dinge würde er mehr als ein Drittel der bisherigen Zuschauer*innen verlieren. Das riecht weniger nach Ausbau als nach Eindampfen politischer Berichterstattung.

Natürlich fehlt es nicht an wortreichen Begründungen der Geschäftsleitung für diese Pläne. Es gehe darum, das Erste auf eine Zukunft vorzubereiten, in der die Mediatheken das lineare Fernsehen ablösen. Klassische Magazine funktionierten in der digitalen Welt einfach nicht. Daran ist allenfalls wahr, dass längere Dokumentationen in der Mediathek höhere Abrufzahlen aufweisen als kurze Magazinbeiträge. Andererseits tragen einige Politmagazine dem in jüngster Zeit durch monothematische Sendungen bereits immer häufiger Rechnung.

Doch der Verweis der Programmdirektion auf veränderte Sehgewohnheiten zieht auch aus anderen Gründen nicht. Sollte etwa der Weltspiegel auf Montag 22:50 Uhr gelegt werden, würde er Die Story im Ersten verdrängen, ausgerechnet eine Dokureihe. Also genau einen Sendeplatz des ohnehin nicht üppig vertretenen Genres Dokumentation, das angeblich durch die Reform aufgewertet und gestärkt werden soll. Der bisherige Sendeplatz soll, das nur am Rande, ausgerechnet an die Sportschau gehen.

So drängt sich der Eindruck auf, es könne möglicherweise auch darum gehen, missliebige, unbequeme Redaktionen zu stutzen. Schließlich kämpfen profilierte Investigativjournalist*innen wie Monitor-Leiter Georg Restle seit Jahren um mehr Relevanz für kritische Information in der ARD. Erst 2005 war die Sendezeit aller sechs Magazine nach heftigen Protesten von jeweils 45 Minuten auf je 30 Minuten eingedampft worden. Ob es um Steuertricks großer Immobilienkonzerne geht, um kriminelle Machenschaften im Kontext der Corona-Pandemie oder um Spendenskandale der AfD –solche aktuellen Recherche-Stücke finden sich nahezu exklusiv nur in den jetzt von Kürzung bedrohten Politmagazinen. Für die Tagesthemen sind sie zu lang, für langfristige Dokus zu aktuell. Die drastische Verminderung der Magazin-Sendeplätze, moniert Restle zu Recht, wäre ein „Angriff auf regelmäßige regierungskritische investigative Berichterstattung“.

Eine Position, die auch von ver.di geteilt wird. „Die journalistischen Formate und damit die Informations- und Diskurs-Angebote im ARD-Hauptprogramm müssen erhalten bleiben und in der ARD-Mediathek ergänzend ausgebaut werden“, fordert ver.di-Bundesvorstandsmitglied Christoph Schmitz. Die Mediathek dürfe nicht als Begründung zum Streichen der Programmplätze und zum Honorardumping herhalten.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Das Manifest für die Schublade

Schwein gehabt: Das „Manifest für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland“, (meinungsvielfalt.jetzt) wurde weder ein Fest für die Freunde einer völlig verstrahlten medienpolitischen Debatte, noch eines für die Gegner des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus dem konservativen, neoliberalen und rechts-außen Lager. Ein paar Aufmerksamkeitszeilen in den Medienspalten der Zeitungen und wenige Interviews im Radio – das war’s. Glücklicherweise ist das Manifest fast schon wieder in der Versenkung verschwunden. Dort gehören diese Halbwahrheiten und unausgegorenen Neustartvisionen für meinen Geschmack auch hin.
mehr »

EU-Kommission geht gegen TikTok vor

Mit dem Digital Services Act (DSA), der nun in der gesamten EU gilt, werden vor allem die großen sozialen Netzwerke stärker als bislang reguliert. Zu diesen gehört auch TikTok. Die Plattform hat in der EU mittlerweile 135,9 Millionen monatlich aktive Nutzer*innen und ist vor allem bei Jugendlichen beliebt. Die EU-Kommission hat TikTok daher im April vergangenen Jahres als „sehr große Online-Plattform“ (Very Large Online Plattform, kurz: VLOP) eingestuft. In der Konsequenz muss die Plattform damit beginnen, eine Reihe von Vorgaben umzusetzen, unter anderem zum Schutz vor Minderjährigen.
mehr »

AfD im TV: Demokratie ist kein Boxring

Im Superwahljahr 2024 stellt sich den Medien verschärft die Frage, wie ein angemessener Umgang mit der AfD aussehen könnte. Sie einfach zu ignorieren scheidet als Strategie aus. Zum einen wäre eine solche Verweigerung weitgehend wirkungslos. Mit ihrer Präsenz in den sozialen Netzwerken hat sich die Partei längst eine Bühne geschaffen, von der sie ungefiltert ihr krudes völkisches Weltbild unter den Menschen verbreitet. Zum anderen würde diese Verweigerungshaltung den Informations- und Aufklärungsauftrag der Medien gegenüber einer Partei konterkarieren, die die Zerstörung der Demokratie anstrebt.
mehr »

Preis für respektloses Verhalten

Der seit Februar nicht mehr amtierende Produzent und Vorstandsvorsitzende der Constantin Film Martin Moszkowicz soll im Mai durch die Produktionsallianz und die Stadt Laupheim mit dem Carl Laemmle Preis 2024 für sein Lebenswerk geehrt werden. Empörend findet der Bundesfachausschuss Filmunion die Wahl dieses Preisträgers vor dem Hintergrund des aus einer Constantin Produktion heraus entstandenen „Schweiger-Skandals“ vor nicht mal einem Jahr.
mehr »