Aus‘m Maschinenraum des Journalismus

Marie Gediehn ist Journalistin, seit mehr als 20 Jahren, Redakteurin und Moderatorin fürs Radio, erst MDR, dann SWR
Foto: privat

Meinung

Es gibt gar keinen Professor Börne, klar, wissen alle. Nur: „Die-Medien-und-die-Politik“ gibt es auch nicht, und das sollten auch alle langsam wissen. Zumindest alle, die, wie Jan Josef Liefers vor einer Woche im Video „Die-Medien-und-die-Politik“ als eine Art Sammelbegriff nutzen. Schon lange und jetzt erst recht zeigt sich in Debatten, dass es einfacher ist, zu pauschalisieren, als sachlich zu diskutieren. Das mag ich so nicht mehr hinnehmen.

Die Pandemie macht alle mürbe, das ist vermutlich der einzige Konsens eine Woche und rund 50 Videoclips später. Aber ansonsten? Sind wir schlauer? Ich frage mich seit einer Woche, was solche Kritiker*innen sehen, lesen und hören, im Fernsehen, online, im Radio, in der Zeitung? Denn ich bin ja Journalistin, seit mehr als 20 Jahren, Redakteurin und Moderatorin fürs Radio, erst MDR, dann SWR. Und ich bin damit offenbar Teil des Problems. Meine Arbeit ist wohl schuld daran, dass Menschen wie unser Tatortkommissar und andere sagen, sie fühlten sich schlecht oder falsch informiert, sie hätten Angst.

Wenn jemand in die Bäckerei kommt und sagt: „Ihre Brötchen sind einfach nur ungenießbar, die machen mich fertig“, dann geht das doch auch an keinem Bäcker spurlos vorbei, da fragt der doch nach. Also, was genau an meiner Arbeit, an der Arbeit meiner Kolleg*innen macht die Kritiker*innen bitte so fertig? Liefers sagt jetzt in der „Zeit“, erst habe er ganz viel gelesen, gesehen, gehört und wurde immer „meschuggener“, dann habe er „alles abbestellt, einfach nichts mehr angeguckt oder gelesen“ vor Weihnachten, dann sei es ihm besser gegangen. Also wenn jemand erst alle Brötchen auf einmal isst, und dann monatelang gar nix, dann ist ihm erst ziemlich schlecht und dann irgendwann hat er Hunger und wird unzufrieden. Aber ist da nur der Bäcker schuld? Ich komm da nicht mit. Ich bin nicht schlauer als vor einer Woche. Aber viele scheinen ordentlich bestärkt in dem, was sie schon immer dachten, nicht über Brötchen, aber über Corona und Medien.

Was ist denn, ganz konkret, das Problem? Dass zu viel über Corona berichtet wird? Ernsthaft? Ich soll künftig denken: „Hm, nee, nicht so ausführlich über Nizza und die Attentäter berichten, ich mach den Leuten sonst Angst? Nee, komm, dieser Anschlag von Halle, ist ja nochmal gut gegangen, dann jetzt nicht den dritten Tag da nochmal nachhaken, das macht den Leuten sonst Angst?“ Die Frage, wem könnte ich Angst machen mit einem Thema, sollte das als Nachrichtenkriterium taugen? Und brauchen wir, denken ja eh alle, dass es das schon gibt, brauchen wir eine Art bundesweit einheitliche Berichts- und Themen-Regeln? Immer was Ulkiges am Ende, immer etwas Positives am Anfang, und maximal ein Drittel der Themen Corona, pro Ausgabe. Eine Art goldener Schnitt?

Natürlich machen Journalist*innen Fehler, klar. Kleinere, Flüchtigkeitsfehler, manchmal größere, in einer Livesendung, bei der Planung, man/frau übersieht etwas, schätzt was falsch ein. Passiert alles, unter Zeitdruck, Kostendruck, Konkurrenzdruck erst recht. Neulich schrieb eine Hörerin direkt nach der Sendung, ich hätte von Corona-Selbsttests für „jedermann“ gesprochen, das sei keine gendergerechte Sprache, von einer guten Moderatorin würde sie mehr erwarten, sie sei sehr enttäuscht. Andere Hörer*innen schimpfen, meist per Mail, manchmal am Telefon. Dem Russlandkritiker bin ich zu selten ins Wort gefallen, der Russlandkennerin zu oft, und umgekehrt. Wenn ich schnell zurückschreibe, sind die Leute manchmal überrascht. Eine Hörerin schrieb, sie hätte gar nicht gedacht, dass ich solche Mails lesen würde.

Was denken denn viele, die jetzt auf den Zug aufspringen und über DIE Medien herfallen, wie das Gros der Journalist*innen arbeitet? Mit Vorzimmer? Mit Menschen in Vorzimmern, die unsere Mails beantworten? Wir sind tausende von Nachrichten- und Aktuell-Redakteur*innen, in Großraumbüros beim Radio, beim Fernsehen, privat, oder öffentlich-rechtlich, in den großen Newsräumen der Agenturen, Zeitungen, den Online-Portalen. Die allermeisten nicht in Berlin Mitte sondern in Baden-Baden, Halle, Saarbrücken, Mannheim, Brandenburg, Kiel, Magdeburg, usw. Mit sieben-Tage-Woche, Früh-Spät- und Nachtschichten. Und niemand hat mir oder irgendeiner Kolleg*in, mit der ich je zu tun hatte, zu irgendeinem Zeitpunkt oder zu einem Thema gesagt, was wie wann berichtet werden soll.

Wir alle ringen um die Themen, die wachsende Themenvielfalt, nehmen wahr, beruflich und auch privat, dass Corona-Politik die Gesellschaft zunehmend spaltet. Wir berichten darüber, sprechen mit Wissenschaftlern, die bei identischen Zahlen zu komplett verschiedenen Ansichten kommen. Berichten über die Opposition, über Verfassungsbedenken, über Gastwirte, Künstler*innen, deren Nöte, deren Proteste, reden mit Kita-Erzieher*innen, Kinderärzt*innen, die zunehmend verzweifeln. Aber das wird offenbar nicht wahrgenommen. Hängen bleibt: Die sagen, was „die“ Regierung sagt, es geht immer nur um Corona und das alles so muss wie es muss. Das ist nachweislich Quatsch. Kann man schnell nachprüfen. Aber dazu hat offenbar kaum noch jemand Lust oder Kraft. Und das macht mich endgültig ratlos. Wenn Jan Josef Liefers jetzt, gut 50 Videos und eine Woche später, der „Zeit“ sagt, er wisse, dass sich viele Journalist*innen in diesem Land um Neutralität bemühten, dann hilft das, fürchte ich, nur noch wenig.

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