Zukunft hängt von politischen Entscheidungen ab

Keine absolute Bestandsgarantie der Politiker für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Thüringens Ministerpräsident Bernhard Vogel gab sich besorgt: „Wir müssen immer auf die Schwächeren achten, und das sind gegenwärtig die öffentlich-rechtlichen Sender“. Auch NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement bekannte, sie brauchten „eine Bestandsgarantie ohne Wenn und Aber“. Beide Politiker plädierten ausdrücklich für den Erhalt der einheitlichen Rundfunkgebühr. Kurz vor den für Anfang Dezember geplanten Verhandlungen der Ministerpräsidenten über die nächste Staatsvertragsnovellierung sind solche Bekundungen wichtig.

Wäre die rundfunkpolitische Wirklichkeit aber so einfach wie die Bekenntnisse, dann hätte es des gewerkschaftlichen Rundfunk-Kongresses nicht bedurft. Das zeigte sich im öffentlichen Disput, der am Vormittag des zweiten Kongreßtages Politiker, Gewerkschafter und rundfunkpolitische Experten zusammenführte und den Uli Röhm souverän moderierte. Im Detail unterscheiden sich die Auffassungen deutlich von den Forderungen der Gewerkschaften. In Sachen ARD-Strukturreform ist eben nicht an eine absolute Bestandsgarantie gedacht. Wolfgang Clement konnte sich wegen der publizistischen Situation (im Saarland gibt es eine Monopolzeitung) zwar vorstellen, den Saarländischen Rundfunk zu erhalten, aber nur wesentlich verkleinert. Alle Strukturen müßten auf den Prüfstand.

Bernhard Vogel benannte den politischen Druck auf die ARD gleich direkt: „Wer nicht zu einer Strukturreform bereit ist, gefährdet die Einheitsgebühr“. In Sachen Finanzausgleich argumentierte Vogel auf dem Stand deutscher Kleinstaaterei und tat, als sei die Rundfunkgebühr jeweils nur zur Finanzierung der jeweiligen Landessender gedacht, nicht für die ARD insgesamt. Kulturelle Vielfalt und Solidarität zwischen reicheren und ärmeren Ländern gelten offenbar nicht mehr als Kriterien. „Das Ziel kann nicht sein, gleich große und gleich starke Einheiten zu schaffen“, wetterte daraufhin der ehemalige SR-Intendant Manfred Buchwald, das sei ein „Departement-System, aber kein Föderalismus“. Ihm sei das Ziel der ARD-Reform „noch nicht klar geworden“. Wenn es künftig keine kleinen Anstalten mehr geben solle, dann sei das keine Reform, sondern ein Abschaffen. ARD-Vorsitzender Udo Reiter kündigte an, die Intendanten würden den Ministerpräsidenten demnächst Vorschläge zur Strukturreform vorlegen.

Deutliche Unterschiede wurden auch in der Frage innerbetrieblicher Organisation sichtbar. Klaus Berg, Intendant des hr, entwickelte die Philosophie des Senders, so viel wie möglich im Hause selbst zu produzieren und nur in Ausnahmefällen auszulagern. Dies sei nötig, um die Unabhängigkeit der Programmgestaltung zu sichern. Entgegengesetzt argumentierte ARD-Vorsitzender und MDR-Intendant Udo Reiter, Outsourcing helfe den Sendern bei der „Verlagerung der fixen Personalkosten auf disponible Sachkosten“; sie könnten dann flexibler reagieren. Die Ergänzung, eine solche „Verlagerung“ werde von den Beschäftigten mit einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen erkauft, blieb Gerd Nies vom Hauptvorstand der IG Medien vorbehalten. Arbeitsplätze bei öffentlich-rechtlichen Sendern müßten genauso wichtig bewertet werden wie bei den privaten, argumentierte Ernst Elitz, der Intendant von DeutschlandRadio Berlin. Dabei handelt es sich in der Regel auch um höher qualifizierte Arbeitsplätze.

ARD-Reform, Finanzausgleich, Teilhabe an digitaler Technik – an rundfunkpolitischen Aufgaben mangelt es nicht. „Die Zukunftsfähigkeit der öffentlich-rechtlichen Sender“, so Lutz Freitag vom Hauptvorstand der DAG, „hängt in deutlich höherem Maße von politischen Entscheidungen ab“. Was freilich Medienpolitik ist, darüber gehen die Ansichten auseinander. Für Wolfgang Clement ist sie weiterhin eine Sonderform der Wirtschaftspolitik: Bertelsmann oder Bayer Leverkusen, das macht keinen Unterschied. Clement propagiert einen „ganzheitlichen Ansatz“, womit er den Gleichklang von Moral und Geschäft als bereits vollzogen meldet. Ein Gegensatz zwischen „Kommerzieller Marktlogik und demokratischer Kommunikationskultur“ existiert in dieser Sicht nicht mehr. Anders argumentierte Dieter Hooge, der hessische DGB-Vorsitzende. Aus gewerkschaftlicher Perspektive sei Medienpolitik nicht zuallererst Wirtschaftspolitik. Das Manifest der Gewerkschaften, so Detlef Hensche in seinem Schlußwort, sei vor allem dazu gedacht, „den Kreis derer zu vergrößern, die für eine demokratische Rundfunkordnung eintreten“. Die beteiligten Gewerkschaften müßten aus der medienpolitischen Defensive herauskommen. Am Ende gab es noch Zuspruch von ARD-Chef Udo Reiter: „Ich möchte mich ausdrücklich bei den Gewerkschaften bedanken, was sie jetzt getan haben und was sie generell tun. Wir wissen auch, wo unsere Freunde sind und daß deren Zahl ganz überschaubar geworden ist.“

 

Kongress „Zukunft des Rundfunks. Soviel Freiheit muss sein!“ 20./21.11.1998 in Frankfurt

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