Daß Medienkompetenz nicht nur digital, sondern auch im real life vermittelt werden kann zeigt ein Projekt aus Berlin. Durch aktive Medienarbeit möchte das Meko Neukölln Kinder und Jugendliche darin stärken, ihre Stimme zu erheben, sich einzubringen und an der Gesellschaft teilzuhaben. Die Angebote sollen die Teilnehmenden befähigen, sich selbst auszudrücken und ihre Sichtweisen und Erfahrungen zu teilen.
Michelle Piorek bringt es im Gespräch mit M auf den Punkt: „Bei Medienkompetenz geht es nie nur darum, die Endnutzer*innen in die Verantwortung zu nehmen.“ Die Medienpädagogin und Koordinatorin des Medienkompetenzzentrums im Berliner Bezirk Neukölln (Meko Neukölln) erklärt, warum der Kampf gegen Desinformation, Verschwörungserzählungen und Hass im Internet einer ist, der auf verschiedenen Ebenen geführt werden muss. „Solange Plattformen, zu deren Geschäft gerade diese Kanäle gehören, nicht stärker reguliert werden, hängen wir immer hinterher.“
Trotzdem, sagt Piorek, sei sie Optimistin und meint diesen Zug auch unter vielen ihrer Kolleg*innen auszumachen. Das mag zum einen daran liegen, dass in ihrem Bereich häufig Menschen arbeiten, die nicht allein ausschließlich über nur eine Qualifikation verfügen und die in ihrer täglichen Arbeit auf vielfältige Kompetenzen verweisen können – Medienpädagogik und soziale Arbeit, Prävention und ständig aufzufrischendes Fachwissen greifen ineinander. Piorek, die Kommunikationswissenschaften und Kinder- und Jugendmedien studiert hat, weiß, warum das sinnvoll ist: „Wir müssen für alle das passende Angebot finden“. Für die Hauptzielgruppe der Kinder und Jugendlichen. Aber eben auch für Eltern und Fachkräfte, die mit den Kids in enger Verbindung stehen.
Schnittstelle und Netzwerk
Wohl auch deshalb strahlt das Meko Neukölln diesen speziellen Schnittstellencharme aus – im riesigen hellen Projektraum basteln gerade 20 Grundschüler*innen an einer bunten „Identitätsblume“, der Flur ist Fachtags-Dokumentation und Kicker-Raum zugleich, zwei Frauen sind auf der Suche nach dem „Szenenwechsel“, dem gleichnamigen Mädchen*zentrum, dass sich im selben Gebäude befindet. Das Büro wird ohnehin multifunktional als Material- und Techniklager, Besprechungsraum und Verwaltungszentrum genutzt. Chaotisch ist es deshalb nicht. Dabei wäre der anstehende Umzug Grund genug. Weil die Landesregierung den Berliner Bezirken großflächige Sparmaßnahmen auferlegt hat, muss das Meko seinen Standort wechseln und in bezirkseigene Räume ziehen. Das ist in dem Fall nicht nur schlecht – denn der neue Ort biete tatsächlich deutlich mehr Platz, erklärt Michelle Piorek. Unter anderem gibt es ein sehr großes Außengelände und endlich genug Raum, um einen „Making Space“ aufzubauen.
Überhaupt hält der Bezirk eher die Hand über die enge Kooperation der Beschäftigten aus Jugendamt und des bundesweit agierenden freien Trägers JFF -Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. „Man sieht uns seitens des Bezirks und unterstützt unsere Arbeit, aber wir haben als Medienkompetenzzentrum eben auch das Alleinstellungsmerkmal“, sagt die Koordinatorin. So leitet das Meko die AG Medien im Bezirk, bildet Fachkräfte der Kinder- und Jugendsozialarbeit in Neukölln durch Beratung, Kooperationen und Qualifizierung weiter und pflegt das weit verzweigte Netzwerk. Die zwei großen Angebotsbereiche mit enormem Spektrum sind ausgelastet: über 50 freiwillige AG-Angebote in Jugendfreizeiteinrichtungen, Betreutem Wohnen und Flüchtlingsunterkünften und dann die Zusammenarbeit mit Schulen und Klassen im Rahmen des Unterrichts. Dazu kommen Eltern-Cafés, Elternabende oder Verweisberatung, wenn sich im Rahmen der Arbeit Fälle von Cybermobbing oder sexualisierter Gewalt auftun.
Alle wollen Medienkompetenz aber nicht dafür bezahlen
Niemals decken die insgesamt fünf Teilzeit-Stellen von Jugendamt und freiem Träger also den Bedarf in einem der größten Berliner Bezirke mit seinen knapp 330.000 Einwohner*innen und davon knapp 28.000 Schüler*innen. Ohne die zahlreichen Studierenden, die hier hochmotiviert arbeiten, wäre man erklärtermaßen aufgeschmissen, meint Michelle Piorek. Und ohne das JFF im Rücken, das als bundesweiter größter medienpädagogischer Träger auch die bundesweiten Entwicklungen in den Berliner Bezirk hineinträgt, ebenfalls.
Der Sozialverband Deutschland fordert mittlerweile ein verpflichtendes Schulfach Medienkompetenz an allen weiterführenden Schulen. Das Fach müsse den kritischen, verantwortungsvollen und datensensiblen Umgang mit digitalen Medien, sozialen Netzwerken und Plattformlogiken vermitteln. Nur so könnten Kinder und Jugendliche die Herausforderungen der digitalisierten Gesellschaft bewältigen.
Denn auch wenn Medienkompetenz grundsätzlich stärker in den Fokus gerückt ist: in der Lehramtsausbildung ist sie nach wie vor nicht fest verankert. Von Politischer Medienbildung, die sich mit Sozialen Medien und Plattformstrategien beschäftigt, ganz zu schweigen. Und angesichts des Personalnotstands in den Berliner Schulen werden auch viel zu wenige Lehrkräfte für die vom Meko angebotenen Fortbildungen zu Medienguides freigestellt – wenn es nicht am Willen mangelt. Andere Orte und Regionen wie Köln oder Erfurt, in denen Medien- oder Filmproduktionen eine besondere Rolle spielen, sind da weiter. Und so haben Thüringen und Nordrhein-Westfalen auch in der Medienbildung schon vorgelegt.
„Ich treffe immer wieder Menschen, die überrascht sind, dass es Orte wie das Meko gibt, die sich mit Verschwörungserzählungen, Fake News, Desinformation und ihrer Verbreitung per Social Media befassen“, sagt Michelle Piorek. Und das überrascht wiederum die Medienpädagogin. Denn es zeigt auch, welch großer Nachholbedarf hier besteht.

