Harte Recherche für die weiche Nachricht

ddp-Nachrichtenagentur: Vom Verlautbarungsjournalismus zur gezielten Nachrichtenauswahl – Konsequente Verknüpfung von Bild und Text

Nach der Eingliederung in die ProSieben-Gruppe wurde das Angebot der ddp im April 2000 grundlegend umstrukturiert. Ein gutes Jahr später präsentiert sich die ddp nach Mitarbeiterzahlen als zweitgrößte Agentur in Deutschland. Doch nicht nur die Strukturen sind neu, sondern auch die Inhalte.

„Die modernste Nachrichtenagentur Deutschlands wollen wir schon werden“ verkündete Lutz Schumacher, als er vor über einem Jahr zum alleinigen Geschäftsführer der seit 1999 zur ProSieben-Gruppe (heute ProSiebenSat.1-Gruppe) gehörigen ddp-Nachrichtenagentur bestellt wurde. Bernd von Jutrczenka, seit 1999 Chefredakteur und seit März 2001 Leiter des Berliner Bundesbüros, bilanziert heute, dass die ddp quantitativ und qualitativ große Sprünge gemacht habe. Innerhalb eines Jahres sei die Kundenzahl mehr als verdoppelt worden. Statt 110 beziehen inzwischen rund 240 Medien und Unternehmen regelmäßig die Text- und Bildangebote der Agentur.

Das Bundesbüro der Agentur sitzt an der Berliner Friedrichstraße im neuen Zentrum des politischen Geschehens. 40 feste Redakteure und vier Fotografen arbeiten in dem futuristisch anmutenden Neubau. Im Gegensatz zu anderen Agenturen musste ddp nicht erst nach Berlin ziehen. Der ADN, 1992 mit dem Deutschen Depeschen Dienst (ddp) fusioniert, hatte seinen Sitz schon seit 1947 an der Spree. Diese Erfahrung könnte ein Wettbewerbsvorteil sein. Denn nach Ansicht von Jutrczenka, der nach eineinhalb Jahren Aufbauarbeit am Bilderdienst in der Münchener Zentrale in die Hauptstadt zurück gekommen ist, spielt im Gegensatz zu Bonn in Berlin die Musik nicht nur in der Politik. „Die Metropole Berlin wird immer wichtiger.“

Hinzu kommt, dass sich im Zuge eines allgemeinen Trends auch die Position der Nachrichtenagenturen innerhalb der Medienlandschaft ändert. Haftete ihnen bislang der Ruf des trockenen Verlautbarungsjournalismus an, so betont der 34-jährige Chefredakteur nun vor allem die Nachrichtenauswahl: „Die essentielle Aufgabe ist, das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen“. Jutrczenka setzt dabei auf eine „Gleichberechtigung von Politik, Vermischtem, Ratgeber und Wirtschaft“, und seine Agentur ist der Konkurrenz mit ihrem nach Modulen gegliederten Angebot einen Schritt voraus.

Neben dem Basisdienst, der Politik, Wirtschaft, Kultur und Vermischtes umfasst, können die Kunden ebenso nur bestimmte Sparten abonnieren, beispielsweise lediglich Kultur oder Vermischtes. Eine weitere Besonderheit sind Themendienste, wie Entertainment, Computer oder Lifestyle/Frauen. Die Möglichkeit, gezielt einzelne Module zu abonnieren, erlaubt auch freien Journalisten und wenig finanzkräftigen Onlinediensten den Rückgriff auf Agenturmeldungen. Die Internetanbieter bilden nach den Tageszeitungen bereits den zweitgrößten Kundenkreis der ddp. Angesichts der stagnierenden Nachfrage seitens der Tageszeitungen buhlen die Agenturen derzeit um die Gunst der Onlinekunden. Für die ddp, die bei der ProSieben-Tochter Digital Media angesiedelt ist, scheint diese Entwicklung nur konsequent. Jutrczenka hat allerdings die Erfahrung gemacht, dass neben den Online-Kunden auch die Zeitungen in der Nachrichtenauswahl nicht mehr so konservativ sind. Diesem Wandel in der Nachfrage versuchen Jutrczenka und seine Kollegen mit einem gewandelten Angebot gerecht zu werden. Neben den klassischen Agenturmeldungen bietet die ddp Wortlautinterviews, Portraits, Analysen und Hintergrundberichte. Dabei sei es ein ungeschriebenes Gesetz, dass ein Feature nur mit Bild über den Ticker gehe, betont Jutrczenka: „Wir sind die Agentur, die am konsequentesten Wort und Bild verknüpft“. Besonders den Bedürfnissen der Onlinedienste kommt man mit dieser Kombination entgegen.

Doch nicht nur die Angebotsstruktur, sondern auch die Form der Berichterstattung hat sich geändert. Dem Leserinteresse folgend baut die ddp in der Politik die weichen, eher persönlichen Themen aus. „Ich kann witzig, pfiffig, intelligent leichte Themen aufgreifen“, erläutert der 34-Jährige. Die Ressorts Ratgeber und Entertainment erhalten immer mehr Gewicht. Böse Zungen sprechen bereits von einer „Boulevardisierung“ der Agenturberichterstattung. Doch Jutrczenka sieht das gelassen und beruft sich auf das Interesse der Leser: „Die Zeitungen haben sich ja auch gewandelt. Die Zeitungen gehen mehr in Richtung Boulevard. Für mich hat Boulevard nichts Negatives.“ Und die weicheren Themen erforderten umso härtere Recherche, ergänzt der Chefredakteur, der früher bei „Bild“ und „Die Welt“ tätig war.

Im Bundesbüro der ddp gehen täglich etwa 500 Faxe mit Pressemitteilungen ein, die der Chef vom Dienst (CvD) auswertet. Während dessen eilen die Kollegen von Pressekonferenz zu Pressekonferenz und schicken ihre Texte von unterwegs auf den Rechner des CvDs, denn Nachrichten sind äußerst schnell verderbliche Ware. Telefonisch werden Hintergründe erfragt und Quellen überprüft. Schließlich lebt die Agentur von der eigenen Recherche, und das heißt: bei jedem Termin vom Anfang bis zum Ende dabei sein, sonst verpasst man vielleicht gerade das entscheidende Ereignis. Der Agenturjournalist muss wie jeder Journalist „schreiben können, gute Quellen haben, gut mit Leuten umgehen können“, so der Chefredakteur zu den Anforderungen. Selbst der Stil hat sich gewandelt. Vorbei ist es mit Agenturfloskeln, stattdessen fordert Jutrczenka: „Aktive und kurze Sätze machen deine Sprache spannend.“ Außerdem muss der Agenturredakteur vor allem schnell und flexibel sein. Steht ein Termin des nachts auf dem Programm, so kann ein Arbeitstag auch mal sehr lang werden. Der Betriebsratsvorsitzende der ddp, Wolfgang Leifheit versichert jedoch, dass Freizeitausgleich oder Nachtzuschlag „ganz unkompliziert“ geregelt würden. Es sei alles gut organisiert und die Arbeitsbedingungen seien gut bis sehr gut. „Ich glaube nicht, dass es eine negative Stimme unter den Kollegen gibt.“ Leifheit, der seit 1990 die Wandlungen der Agentur als Betriebsratsvorsitzender verfolgt, bestätigt: „Es geht nach vorne.“ Betriebsrat und Geschäftsführung treffen sich regelmäßig und zusätzlich finden Vier-Augen-Gespräche statt, um auf unterschiedlichen Ebenen Übereinkunft zu erzielen. „Wir haben als Betriebsrat das Credo einer konstruktiven Zusammenarbeit mit der Geschäftsführung“, erläutert Leifheit, und das zahlt sich auch in bar aus, denn seit Januar 2001 sind die Gehälter in den 32 Korrespondentenbüros der neuen und alten Länder angeglichen.

 


 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »

KI beinflusst Vielfalt in den Medien

Künstliche Intelligenz kann journalistische Texte in verschiedene Sprachen übersetzen und damit viel mehr Nutzer*innen ansprechen. Gleichzeitig kann sie aber auch Stereotype, die in diesen Texten enthalten sind, verfestigen. Gefahren und Chancen von KI-Anwendungen im Journalismus standen im Fokus der diesjährigen NxMedienkonferenz der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM), die sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzen.
mehr »

ARD & ZDF legen Verfassungsbeschwerde ein

Nachdem die Ministerpräsident*innen auf ihrer Jahreskonferenz Ende Oktober keinen Beschluss zur Anpassung des Rundfunkbeitrags ab 2025 fassten, haben heute ARD und ZDF Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingelegt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di begrüßt die Initiative.
mehr »

AfD als Social Media Partei überschätzt

Eng vernetzt mit dem extrem- und neurechten Vorfeld und gezielt provozierend mit rassistischem Content: Die Landtagswahlkämpfe der AfD in Sachsen, Thüringen und Brandenburg waren von einer hohen Mobilisierung geprägt, auch über die sozialen Medien. Eine aktuelle Studie der Otto Brenner Stiftung (OBS) in Frankfurt am Main zeigt nun aber: die Auftritte der AfD auf Social Media sind weit weniger professionell als zuletzt häufig kolportiert und es gibt deutliche regionale Unterschiede.
mehr »