Zwei Agenturen beherrschen den Markt der bewegten Bilder
Selbst ein Tankwart in Beirut scheue nicht davor zurück, sich als Agentur-Journalist auszugeben. Deshalb müsse man besonders vorsichtig sein, keine getricksten und gefälschten Bilder untergeschoben zu bekommen,…
so der Zweite Chefredakteur Patrick Leclercq von ARD-Aktuell: „Wir sind strikt, was die Glaubwürdigkeit von Agenturen angeht. Wir haben den journalistischen Rückgriff, können jederzeit unsere Zweifel anmelden“. Bewegte Bilder von Agenturen für das Fernsehen: über jeden Zweifel erhaben?
Den Agentur-Markt für Fernsehbilder in Deutschland teilen sich, nach Auskunft verantwortlicher Nachrichtenredakteure in öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Sendern, zwei Agenturen: APTN-News Service und Reuters Television News. ARD und ZDF beziehen deren Bilder über „Eurovision“ – es sind dieselben Bilder, die auch die privaten Sender im Abonnement haben. Rund 50 Prozent der Nachrichtenbilder im Fernsehen seien Agenturbilder, schätzt Kerstin Sopke, Producerin bei APTN. Ihr Kollege von der Konkurrenz „Reuters-TV“, Senior-Producer Martin Schmidt-Bleek meint, kleinere Fernsehanstalten, wie etwa Vox und RTL, sendeten mehr als 50 Prozent Agenturbilder, größere hingegen – „alles eine reine Geldfrage!“ – nur bis zu 30 Prozent. Entscheidet also einzig die wirtschaftliche Prosperität der Sender darüber, welche Bilder wir zu sehen bekommen und wie stark dementsprechend die Vereinheitlichung der politischen Berichterstattung fortschreitet?
Es ist bekannt, daß im Fernsehen mit Bildern einflußreich Politik gemacht wird, das Wort demgegenüber eine vergleichbar geringe Rolle spielt. Die Sender halten sich – wohl weil sie darum wissen – tunlichst bedeckt, wie hoch der Anteil an Agenturbildern im eigenen Nachrichtenprogramm ist. Es wird gemauert. Untersuchungen gebe es nicht. Stereotype wie unbefriedigende Auskunft von ARD bis Sat.1: So viel Eigenproduktion wie möglich! Im Gegensatz zum amerikanischen Sender CNN machen deutsche Sender Agenturbilder für den Zuschauer selten kenntlich.
Fast ein Monopol
Herrscht Konkurrenz zwischen den beiden großen Anbietern, die beide jeweils rund 350 Journalisten beschäftigen? Bei nationalen Geschichten weniger, Reuters hat nahezu eine Monopolstellung. Von 150 Kameras weltweit sind 11 national im Einsatz. 30 feste und freie Mitarbeiter versorgen die Nachrichtenredaktionen in aller Welt mit Bildern aus der Bundesrepublik. APTN ist hingegen nur mit zwei Kameras in Deutschland unterwegs, konzentriert sich weitgehend auf Ereignisse von internationalem Interesse.
Sieht man also beim Zappen überall das gleiche Bild, etwa „Bundeskanzler Schröder steigt aus dem Wagen und geht ins Kanzleramt“, heißt das übrigens keineswegs, daß es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um ein „Reuters“-Bild handelt. Damit es kein Riesengedränge gibt, werde bei vielen Angelegenheiten ein Pool gebildet, berichtet Leclercq. Die immergleichen Bilder seien bei vielen Anlässen sowieso unvermeidlich: „Allein wenn Sie zu einer mickrigen Bonner Pressekonferenz gehen, gibt es nur bestimmte Positionen. Läuft Prinz Charles über einen roten Teppich, gibt es ebenso meist nur eine Pressetribüne, die Perspektive ist gleichbleibend“, so der ARD-Mann.
Stets auf der Suche nach „exclusivstem Agenturmaterial“ ist auch Catrin Glücksmann (n-tv). Während des Kosovo-Kriegs wurden beim Nachrichtenfernsehen n-tv die Nato-Briefings von Reuters überspielt, täglich eine Stunde. Zuschauer hätten prompt nachgefragt, als man die Pressekonferenzen nicht übertragen habe. Der ARD-Mann Leclercq ist anderer Ansicht: Er hält es nicht für sinnvoll, in Kriegszeiten solch einseitiges Material eins zu eins auszustrahlen. Die ARD habe allerdings auch keine Verträge mit CNN, so Leclercq. Glücksmann hingegen erläutert, der Nachrichtenkanal sei „in der glücklichen Situation“, CNN-Bilder agenturähnlich nutzen zu können. CNN ist Hauptgesellschafter des Nachrichtenkanals.
Zu gern möchte man noch glauben, Fernseh-Nachrichten hätten etwas mit journalistischem Know-how, mit Ausgewogenheit und Ethik zu tun. Wenn der Zugang zu Informationen in wenigen festen Händen ist, zwischen Groß-Konzernen aufgeteilt und frei nach der Logik des Kapitals als träge statische Masse in die Wohnzimmer der Republik transferiert wird, ist das bedenklich. Das hat Auswirkungen auf die Beschaffenheit der Nachrichtenbilder.
Trendsetter?
In der Pressestelle von Sat.1 war etwa zu erfahren, Berührungsängste bei öffentlich-rechtlichen Sendern und privaten gingen stetig zurück. Beispiel: Das Bundeswehrvideo von Sat.1 habe schließlich auch die Runde gemacht. Alles ein großer Einheitsquark ohne politisches Profil, kritische Nachfragen und speziellen Hintergrund? Die Philosophie bei Sat.1 ist schlicht: „Was der Zuschauer mag, was die Quote bringt!“ Ein verstärkter Austausch von Bildern sei in diesem Sinne durchaus erwünscht. Sind die Agenturen Trendsetter für eine solche Entwicklung?
Fragen wie diese stellen sich längst: Spielen nationale Kulturunterschiede überhaupt noch eine Rolle? Wird eine weltweite Gleichschaltung der Fernsehbilder durch den Agenturjournalismus bedingt? In japanischen Fernsehsendern etwa sei man Gewaltdarstellungen gegenüber aufgeschlossener als etwa in deutschen, berichtet Schmidt-Bleek. Blut auf dem Bildschirm: im Land der Morgenröte kein Problem. Im amerikanischen Fernsehen gebe es hingegen bereits Einwände gegen einige Bilder der Love-Parade in Berlin, wenn nackte Oberkörper gezeigt würden. Man sei dort erheblich prüder als im freizügigeren europäischen Fernsehen. Doch die Agenturbilder seien die gleichen „all around the world“, so der Senior-Producer von Reuters: „Es ist Aufgabe und Recht der Kunden, selbst auszuwählen. Für andere Märkte wird nicht anders geschnitten.“
Ethik?
Und wie steht es mit der journalistischen Ethik? Man erinnere sich an das Bild in Prizren mit dem von den deutschen KFOR-Truppen angeschossenen und verletzten Serben im Auto. Die Kamera hielt ungeniert auf den Mann drauf, der später seinen Verletzungen erlag. Ein Bild von APTN – Kerstin Sopke: „Das Bild wurde gesendet.“ Sicherlich ist letztendlich die Frage entscheidend, wie in den Sendern mit dem Agenturmaterial umgegangen wird. Man kann das Bild, wie in der Zeitschrift „Konkret“, abbilden, und eine Bildunterschrift darunter setzen: „Avantgarde und letzte Instanz: Deutsche Friedenstruppen bei der Durchsetzung der Menschenrechte.“ Oder man verwendet es, wie in den Fernsehsendern, als schlichtes Dokumentationsmaterial. Sicherlich werde eine Vorauswahl seitens der Agentur getroffen, so die APTN-Producerin. Man versuche direkt abgefilmte Leichen sowie Hard-Core-Bilder mit pornografischem Gehalt zu meiden. Doch, so gibt sie zu bedenken, der Konkurrenz-Druck spiele stets eine Rolle.
Das Thema sei ein „heißes Eisen“, meint auch Schmidt-Bleek: Bei Reuters gebe es keine festen Richtlinien bezüglich der Ethik, die sich „ein schlauer Chef irgendwann einmal ausgedacht hat“. Natürlich alles in Grenzen: Man habe in Sierra Leone eine Person gefilmt, deren Hand halb abgehackt war. Dieses Bild wurde herausgegeben. Die Naheinstellung von der fast abgehackten Hand im OP sei hingegen nicht gebracht worden. Zensiert werde nur dann, wenn man das Bild nicht brauche, um die Geschichte zu erzählen, so sieht es der Senior-Producer von Reuters.
Ausgewogenheit?
Wie steht es um die journalistische Ausgewogenheit der Agenturen? Man gebe Geschichten so kundenfreundlich wie möglich heraus: Rohschnitte als Paket. Welche Chancen haben Fernsehredakteure, kompakt angeliefertes Agenturmaterial gezielt auszuwählen, wenn der Aktualitätsdruck lastet, die Konkurrenz die Bilder vielleicht schon unbesehen über den Sender jagt? Soviel Zeit muß sein, Bilder zu überprüfen, meint der ARD-Redakteur Patrick Leclercq. Gibt es die Möglichkeit, einen Mix von verschiedenen Agenturen zu senden, oder mit Eigenproduktionen anzureichern? „Jedes Bild sieht anders aus, jedes Kamerateam hat seine eigene Handschrift. Das eine Team wählt lieber Nahaufnahmen als Stilmittel, das andere Kamera-Schwenks.“ Klartext: Das unterschiedliche Material paßt selten zusammen.
Gibt es wie beim Schreiben einen besonderen Agenturstil? Bei Reuters bevorzuge man den angelsächsischen Stil, wie bei Briten und Amerikanern üblich: Statische Kameraeinstellungen, die Bewegung findet im Bild statt. So können die Sender sich unkompliziert das Material auf die für sie adäquate Länge zurechtschneiden. Natürlich mag Leclercq – wie er sagt – lieber Reporterberichte, bei denen es eine detaillierte Planung und Vorbesprechungen gegeben hat. Aber am Ende ist das wohl eine rein ökonomische Entscheidung und hat mit hehren journalistischen Prinzipien wenig zu tun.