Das Tarifergebnis vom 29. Juni für Redakteur_innen und Freie/Pauschalisten an Tageszeitungen ist nicht herausragend, aber es wurde erkämpft und war nur so zu erreichen, so die Überzeugung der ver.di Verhandlungskommission. Doch unter den Streikenden wird Kritik laut und wichtige Fragen stehen im Raum: Wie wollen wir mit Erwartungen an Tarifpolitik und den erreichten Ergebnissen umgehen? Wie wollen wir unsere Tarifpolitik künftig gestalten? .Lasst uns über das Tarifergebnis diskutieren und auch streiten. Diese Auseinandersetzung ist Teil der gewerkschaftlichen Willensbildung. Wir laden dich ein, dich in diesem Forum daran zu beteiligen.
Tarifabschluss bittersüß
Freude, Stolz, Triumph gar? Der Tarifabschluss für die Zeitungsjournalisten_innen hinterlässt nichts von alledem. Er enttäuscht alle, die sich besonders stark für ein gutes Ergebnis engagiert hatten. Ist es also paradox, wenn unser Verhandlungsführer Frank Werneke den Abschluss „vertretbar“ nennt und jenen dankt, „die mit Streiks und Aktionen den Druck auf die Verleger erhöht haben“? Meine Antwort: Nein.
Als Mitglied der ver.di/dju-Verhandlungskommission habe ich erlebt, dass sich der Tonfall der BDZV-Vertreter in der fünften Runde geändert hatte. Der Einigungswille wurde betont, es klang authentisch. Aber es folgten ärgerliche Momente. Der BDZV hat zunächst ein verschlechtertes Angebot vorgelegt, nach dessen Überprüfung innerhalb von fünf Minuten gemeinsam festgestellt wurde, dass wohl ein Rechenfehler vorliege. Dieses schludrige Auftreten wirkte arrogant. Manches Mitglied unserer Verhandlungskommission vermutete, konfuses Auftreten seitens der Verlegerseite sei Teil ihrer Strategie gewesen.
All das verstört deshalb besonders stark, weil man sich auch als Tarif-Verhandler Arbeitgeber wünscht, denen das Wohl der Beschäftigten am Herzen liegt. Arbeitgeber, die sich darüber bewusst sind, dass gute Bezahlung erforderlich ist, damit sich auch in Zukunft wirklich kluge Köpfe für Zeitungsjournalismus interessieren. Weil man hofft, dass es so etwas wie Sozialpartnerschaft gibt.
Am Verhandlungstisch ist das pure Romantik. Die Botschaft der Arbeitgeber lautet: Wenn Du Macht hast, dann nutze sie.
Wo war unsere Macht? Wenn ich an unsere ersten internen Beratungen im Vorfeld der Tarifrunde zurückdenke, haben wir viel erreicht. Damals herrschte größte Skepsis, dass man Redakteure_innen für eine reine Gehaltsrunde motivieren könne. Schließlich jedoch hat sich eine breite Streikbewegung entwickelt, die auch Regionen erfasst hat, an die man anfangs nicht gedacht hatte.
Aber: Es gab Kollegen_innen, die den Aufruf zum Warnstreik ignoriert haben, weil sich ein Arbeitskampf nicht in ihren Terminkalender eintakten ließ. Es gab Kollegen_innen, die auf eine für mich nicht erklärbare Weise verzagt oder gleichgültig waren. Und auch Kollegen_innen, die an Streiktagen besonders ehrgeizig gearbeitet haben, um den Arbeitskampf ins Leere laufen zu lassen.
Wir waren viele. Aber wir hätten mehr sein sollen. Also habe ich dem Verhandlungsergebnis zugestimmt und werde es vertreten. Unter Berücksichtigung aller Aspekte, wozu auch die vom BDZV zunächst abgelehnte Erhöhung für die Pauschalist_innen und die 12a-Journalisten_innen gehört. Ebenso wie die Übertragung des Ergebnisses auf die Nord-Verlage, welche erneut bemüht waren, sich in eine wirtschaftliche Notlage hineinzulügen.
Ich bin erleichtert, dass es in ersten Reaktionen mir gegenüber – auch aus den Reihen der Aktiven – deutlich mehr Zuspruch als Kritik gegeben hat. Es wurde anerkannt, dass dieses Ergebnis das Mögliche war. Mehrmals wurde ausdrücklich für das Engagement der Mitglieder der Verhandlungskommission gedankt. Das tut gut und ist ein gutes Zeichen für die Solidarität innerhalb unserer Gewerkschaft. Mehr werden sollten wir aber immer.
Klaus Schrage (58) ist Betriebsratsvorsitzender bei den „Nürnberger Nachrichten“ und Mitglied der dju-Tarifverhandlungskommission. Er ist 1987 in die Journalistengewerkschaft eingetreten.
Sekt und Selters
Am Abend des 29. Juni dürften in den Chefetagen der Zeitungsverlage die Sektkorken geknallt haben. Der Abschluss der Gehaltstarifrunde 2016 ist für die Verleger ja auch ein Grund zum Feiern. Und das in gleich mehrfacher Hinsicht. Zum einen ist es ihnen gelungen, einen Abschluss durchzuverhandeln, bei dem unter dem Strich eine dicke Null vor dem Komma steht. Zum anderen haben sie es geschafft, die Kampfbereitschaft bei den Redakteur_innen auf Dauer zu schwächen, wenn nicht gar zu marginalisieren.
Denn Hand aufs Herz: Wer ist künftig noch bereit, für derart lausige Tarifabschlüsse auf die Straße zu gehen? Man kann es den Kolleg_innen nicht mal verdenken, wenn sie sich jetzt von ihren Gewerkschaftsfunktionär_innen verraten fühlen und bei künftigen Arbeitskämpfen an ihren Schreibtischen sitzen bleiben statt mit rauszugehen.
Und wie haben diese Funktionär_innen von dju und DJV noch am Tag zuvor bei der Kundgebung in Ulm großspurig getönt. Kajo Döhring (DJV) und Ulrich Janßen (dju) gaben sich kämpferisch, sprachen davon, dass 4,5 Prozent beziehungsweise 5 Prozent ein Muss seien und forderten die Basis auf, alles für dieses Ziel zu geben. Die Basis gab alles, und zumindest im Süden war die Streikbereitschaft groß.
Doch dann tags darauf dieser miserable Abschluss, der nun auch noch als „akzeptabel“ schöngeredet wird. Gar nichts ist hier akzeptabel. Das Streikvolk wurde von Gewerkschaftsfunktionär_innen, die als Tiger sprangen und als Bettvorleger landeten, hinters Licht geführt. Der hier angerichtete Schaden ist immens. Es müssen dringend Veränderungen her, wenn wir in Zukunft zumindest noch den Hauch einer Chance haben wollen, einen Arbeitskampf erfolgreich zu Ende zu führen.
Als erstes braucht es von Anfang an erreichbare Ziele auf der Grundlage einer gründlichen Streikplanung. Phantasiezahlen nützen niemandem und sorgen am Ende nur für Enttäuschungen. Und dazu zählt auch, dass Hauptamtliche verstärkt vor Ort in den Betrieben präsent sein müssen, beispielsweise bei Betriebsversammlungen.
Zum zweiten ist eine bessere Kommunikation zwischen Streikvolk und Verhandlungsführung von Nöten. Wir Streikende sind schließlich keine Statisten, sondern Partner im Streik.
Was zudem dringend nötig ist, ist die Bereitschaft zur Konfrontation mit den Arbeitgebern. Warum wurde jetzt so mutlos agiert? In vielen Gesprächen während des Streiks haben mir Kolleg_innen versichert, dass sie dies von den Funktionär_innen erwarten und sich dafür auch selbst einbringen würden. Von einem Bröckeln der Streikfront habe ich bei allen Streikversammlungen in dieser Tarifrunde nichts gespürt. Im Gegenteil. Ich hatte den Eindruck, dass wir uns jetzt gerade erst so richtig warmlaufen.
Und es muss jetzt eine offene und ehrliche Diskussion geführt werden. Alles, was bei diesem Tarifkonflikt schiefgelaufen ist, muss angesprochen werden. Reden wir ohne Maulkorb. Diskutieren und streiten wir darüber, wie wir uns künftig erfolgreicher aufstellen können. Und reden wir beispielsweise auch mal darüber, ob man den Flächentarifvertrag auf Dauer als heilige Kuh ansieht, oder ob man nicht im Süden versucht, einen Pilotabschluss zu erzielen. Vielleicht schaffen wir es ja so, endlich mal nach Jahrzehnten des Reallohnverlustes wieder einen Tarifabschluss hinzukriegen, der den Namen „akzeptabel“ wirklich verdient. Und dass wir uns nicht wieder wie jetzt nur mit Selters zufrieden geben müssen, während bei den Verlegern die Sektkorken knallen.
Peter Bruker (58) ist Redakteur beim „Schwarzwälder Boten“, Oberndorf, und für das Ressort Kultur verantwortlich. Er ist seit Oktober 1981 Mitglied der Gewerkschaft.