Zwei Gewerkschafterinnen im neu aufgestellten Rundfunkrat
So wie bisher kann es nicht weitergehen. Darüber sind sich in Berlin-Brandenburg, ver.di-Landesbezirksleiterin Andrea Kühnemann und DGB-Bezirksvorsitzende Katja Karger jedenfalls einig. Sie sind beide neu in den Rundfunkrat des RBB eingezogen. Da mehr als die Hälfte der 30 Räte frisch in das Gremium entsandt wurden, bietet sich auch hier personell eine Chance für einen Neuanfang.
Und der ist bitter nötig. Ohne das Stillhalten des alten Rundfunkrats, ohne das Kontrollversagen vor allem des Verwaltungsrats wäre die Skandalserie um die frühere RBB-Intendantin Patrizia Schlesinger kaum möglich gewesen. Erst einmal gelte es, sich zu sortieren. „Die eingefahrenen Strukturen sind zusammengebrochen“, sagt Katja Karger. Neue Aufgaben durch Medienstaatsverträge? „Noch sind wir sehr eingezwängt im Vorgefundenen“, sagt sie. Einstweilen bestimmen die Selbstfindung, das gegenseitige Kennenlernen die Agenda. Und dann steht ja (am 16. Juni nach Redaktionsschluss) noch die Neuwahl einer Intendantin oder eines Intendanten bevor. Da trifft es sich gut, dass mit Andrea Kühnemann, der frisch gebackenen ver.di-Landesbezirkschefin, gleichzeitig eine weitere gewerkschaftliche Mitstreiterin neu in das Gremium gekommen ist.„Mit Katja stehe ich in sehr engem Austausch“, freut sich Andrea. Die Ratssitzungen bereitet man stets gemeinsam vor. So eine Funktion bringe schließlich eine „hohe Verantwortung“ mit sich.
Derzeit sei man noch eingezwängt zwischen dem durch die Krise ausgelösten öffentlichen Druck auf den Sender und den neuen Anforderungen an die Gremien, etwa die Digitalisierung, Kostencontrolling, Überprüfung von Qualitätsstandards. Als Hauptaufgabe sieht Karger, die anstehende Programmreform „kritisch und konstruktiv“ zu begleiten. Zu längerfristigen strategischen Überlegungen habe die Zeit bisher nicht gereicht. Durch den bislang eher eng gesteckten medienrechtlichen Rahmen sei es den Räten früher vergleichsweise leicht gemacht worden, ohne kritische Nachfragen die Vorgaben des Intendanten abzusegnen. „Wir fangen gerade erst an, die Gremienarbeit zu modernisieren.“ Ihr DGB-Vorgänger Dieter Pienkny hatte noch während seiner Amtszeit als stellvertretender Rundfunkratsvorsitzender die Ratskolleg*innen gescholten. Einige hätten vornehmlich „Lobbyarbeit für ihre Organisationen“ betrieben. Auch hatte er „mangelnde Professionalität und fehlende Fachkompetenz“ moniert.
Aus ihrer Haut als Gewerkschafterinnen können und wollen die beiden nicht heraus. Selbstverständlich betrachte sie ihre Arbeit im Rat aus dem Blickwinkel der Beschäftigten – innerhalb und außerhalb des Senders, bekennt Karger. Das sei aber etwas anderes als klassische Lobbyarbeit für den DGB. Wie es in Medienbetrieben zugeht, weiß sie aus ihrer früheren Praxis: als Mitarbeiterin beim Hannoveraner Privatradio ffn, als Betriebsrätin bei Pixelpark, dem einstigen Senkrechtstarter der New Economy, vor allem aus den Jahren als ver.di-Gewerkschaftssekretärin im Berliner Büro von connexx in ver.di.
Auch Kühnemann ist Gewerkschafterin durch und durch – schließlich war sie seit dem Jahr 2000 Personalratsvorsitzende im fusionierten Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg. Als Rundfunkräte seien sie natürlich sensibel für die Probleme der RBB-Beschäftigten, für die Gewerkschaftsmitglieder und für die Gesamtheit der Beitragszahler*innen. Zentrale Bedeutung habe das Programm. In der Zwei-Länder-Anstalt sei es „wichtig, dass keine der Regionen in der Berichterstattung zu kurz kommt“. Karger pflichtet bei und nennt ein Beispiel: Am 1. Mai sei ihr aufgefallen, dass im RBB-Programm ausschließlich über Berlin berichtet worden sei. Reportagen über Aktionen in Brandenburg dagegen: Fehlanzeige.
Angesichts des von Ex-Intendantin Schlesinger hinterlassenen Finanzchaos erwartet Kühnemann „gespannt“ den Bericht der Rechnungshöfe. Schon klar: Der RBB müsse umsteuern. Es gelte aber, die Haushaltsstrukturen im Detail nochmals zu überprüfen. Womöglich könnten über Grundstücksverkäufe Einnahmen erzielt werden, die zur Entschuldung beitragen. Man werde auf mehr Information drängen und sich nicht mit einem Kurzbericht der Intendanz abspeisen lassen. Den „Vollzug einer Sparorgie einfach abnicken“? No way! Ihr Anspruch: „Wir sollten so agieren, dass die Entscheidungen nicht nur zu Lasten der Beschäftigten gehen.“ Auch gelte es, der AfD-Kampagne in einem von den Rechten durchgesetzten RBB-Untersuchungsausschuss im Brandenburger Landtag Paroli zu bieten. Für die Gewerkschafterin selbstverständlich: „Wir kämpfen für den Erhalt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks!“
Und die Kritik, ehrenamtliche Rundfunkräte seien eine Laienspielschar, die den Medien-Vollprofis in den Geschäftsleitungen kaum gewachsen seien? Karger sieht in dieser Gegenüberstellung einen künstlichen Gegensatz. Es sei sehr sinnvoll, dass die relevanten gesellschaftlichen Kräfte in den Räten repräsentiert seien – gerade weil sie keine Experten seien. Und: „Wir Räte müssen nicht alles genauso gut oder besser wissen als all die Fachleute, die dafür bezahlt werden.“
Fortbildung sei natürlich immer sinnvoll, findet Karger, auch Grundkompetenzen zum Beispiel in Fragen der Medienpolitik seien „sicher wünschenswert“. Im Rundfunkrat gelte das Prinzip der Arbeitsteilung: „Welche Kompetenzen bringt jeder einzelne ein?“ Des einen Stärke seien juristische oder kaufmännische Fragen, ein anderer wiederum kenne sich mit Personalfragen aus, usw. Kühnemann pflichtet bei. Es gehe darum, zu prüfen, wo jede und jeder besondere Kenntnisse habe. Sie selbst könne „zum Beispiel einen Haushalt lesen“, sagt sie.
Andererseits haben so gut wie alle Räte einen Fulltime-Job. Mit den neuen staatsvertraglichen Regelungen wird jedoch nicht nur ihre Rolle aufgewertet. Zugleich bekommen die Rundfunkgremien eine Reihe neuer, teilweise recht anspruchsvoller Aufgaben zugewiesen. Ein Widerspruch, der nach Auffassung der beiden Gewerkschafterinnen nur auf eine Weise zu lösen ist: Den möglichst schnellen Ausbau der Geschäftsstelle des Rates. „Uns Ehrenamtlichen wird eine Aufgabenfülle zugemutet, die eigentlich nochmal einem Halbtagsjob entspricht“, konstatiert Katja Karger. Nötig sei daher eine ausreichende personelle und materielle Grundausstattung der Gremienbüros, um einen eigenen Etat, um Kompetenzen. Alles Konditionen, die im 4. Medienänderungsstaatsvertrag zugesichert wurden – als Voraussetzung für eine effektive Kontrollarbeit der ehrenamtlichen Rundfunkräte. Wichtig sei die Unabhängigkeit der Geschäftsstelle vom Sender, findet Kühnemann, „der Rat soll ja schließlich kein Sprachrohr der Geschäftsleitung sein“.
Klarheit in vielen Fragen soll die spätestens im nächsten Jahr anstehende Novellierung des RBB-Staatsvertrags bringen. Für Kühnemann ist bei der Neuaufstellung des Senders auch der Sachverstand der Belegschaft dringend erforderlich. Das gilt auch für die Arbeitnehmerähnlichen, also die Festen Freien, die derzeit mangels Mitbestimmung als Beschäftigte zweiter Klasse diskriminiert werden. Geht es nach der ver.di-Landesbezirkschefin, so ist eine Gleichstellung längst überfällig. Im Rundfunkkapitel des Koalitionsvertrags verspricht die neuinstallierte CDU-SPD-Regierung, „die Interessen der festen und freien Beschäftigten im Blick zu behalten“. Klingt reichlich vage, gibt sich Andrea Kühnemann misstrauisch, aber „wir werden sie an ihren Taten messen“.