Pressefrühling und Profit in der DDR

Zeitschriften und Zeitungen der DDR, fotografiert im Museum "Zeitreise" in Radebeul. Foto: Stefan Kühn

Noch Anfang 1990 war in der untergehenden DDR von einem „Zeitungsfrühling“ die Rede. Fast 120 neugegründete Blätter sorgten für eine zuvor nie gekannte Pressevielfalt. Unter dem Marktdruck westdeutscher Großverlage war kurz darauf davon nichts mehr übrig. Die Ursachen dieser Entwicklung analysierte Kommunikationswissenschaftlerin Mandy Tröger bei einer Digitalkonferenz des Münchner Instituts für sozialökologische Wirtschaftsforschung am Vorabend des „Tages der deutschen Einheit“.

„Marktexpansion und Übernahme der DDR-Presse. Die Wirkungen des (west)deutschen Wirtschaftslobbyismus“ – so der Titel ihres Vortrags. Basis ist die Doktorarbeit, die Tröger 2018 an der Universität Illinois ablegte und die ein Jahr später in bearbeiteter  Fassung unter dem Titel „Pressefrühling und Profit. Wie westdeutsche Verlage 1989/1990 den Osten eroberten“ auch in deutscher Sprache erschien.

Nach dem Mauerfall herrschte im Osten zunächst Aufbruchstimmung. Noch die alte Volkskammer hatte einen Medienbeschluss gefasst, der für DDR-Verhältnisse manch brisanten Programmpunkt enthielt. „Zur Sicherung der Eigenständigkeit der Medien unseres Landes“, hieß es da beispielsweise, „bedarf jede Eigentumsbeteiligung an Medien der DDR durch Ausländer der Genehmigung des Medienkontrollrates“. Ein klarer Schuss vor den Bug von Springer, Burda, Bauer & Co. Die scharrten schon vernehmlich mit den Hufen, um ihre Claims bei der anstehenden Eroberung des ostdeutschen Zeitungsmarktes abzustecken. Der Medienkontrollrat war ein vom Runden Tisch eingesetztes Gremium staatsunabhängiger Gruppen – unter anderem tummelten sich darin Bürgerrechtler*innen vom Neuen Forum, dem Unabhängigen Frauenverband und der Initiative für eine Vereinigte Linke. 

Euphorie von kurzer Dauer

Doch die Euphorie der Anhänger eines „dritten“ Medienwegs zwischen staatlicher Zensur und entfesselter Marktwirtschaft war nur von kurzer Dauer. „Trotz der Versuche von unten, die DDR-Medien zu reformieren, hat es keine wirkliche eigene souveräne Medienpolitik in der DDR gegeben“, konstatiert Tröger. Entscheidend war vielmehr der Marktdruck westdeutscher Großverlage, die faktisch unmittelbar nach der Wende auftauchten, um ihre Geschäftsmodelle auch im Osten durchzusetzen. Am schnellsten und aggressivsten agierten Bauer, Gruner + Jahr, Springer und Burda. Sie knüpften früh Kontakte vor allem zu den SED-Bezirkszeitungen – diese versprachen aufgrund ihrer hohen Auflagen und regionalen Monopolstellung hohe Gewinne. 

Einfallstor für die Eroberung des DDR-Printmarkts durch die Westkonzerne war der Vertrieb. In geheimen Verhandlungen mit dem zuständigen DDR-Ministerium für Post- und Fernmeldewesen einigte man sich auf ein Vertriebs-Joint-Venture, durch das westdeutsche Printprodukte in die DDR importiert und vertrieben werden sollten. Die entsprechende Gesetzesvorlage scheiterte indes am Einspruch einer Gruppe mittelständischer westdeutscher Verlage, die ihre eigenen Interessen durch den Deal verletzt sahen. Der DDR-Ministerrat untersagte das nicht gerade wettbewerbsneutrale Manöver und leitete den Gesetzentwurf an den Runden Tisch bzw. den Medienkontrollrat weiter. Eine souveräne Medienpolitik in der DDR habe es aber im Wendejahr 1989/90 schon deshalb nicht gegeben, “weil sie nur auf bereits geschaffene Fakten durch BRD-Wirtschaftsgruppen reagierten konnte“, sagt Tröger.

„Bedrohung durch Viererbande“

Das war Ende Februar 1990 – und am 18 März sollten die ersten demokratischen Wahlen zur Volkskammer stattfinden. Der Vertriebsbeschluss lag zwar auf Eis. Das hinderte die Großen Vier nicht daran, jetzt auf eigene Faust zu handeln. Springer, Burda, Bauer und G+J teilten das Gebiet der DDR in vier Vertriebszonen auf. In der Folge wurden 3.300 Verkaufsstellen direkt mit BRD-Presseerzeugnissen beliefert. Und zwar zum Dumpingpreis. Im Bestreben, möglichst früh neue Ost-Leser zu gewinnen, wanderten die Presseerzeugnisse zum Kurs von 1:1 über den Tresen – der offizielle Umtauschkurs lag bei 3:1. Mittelständische Westverlage und unabhängige DDR-Medien schlugen Alarm: Das kleine Pflänzchen Medienfreiheit sei schon wieder in Gefahr, bedroht durch die monopolistischen Praktiken der „Viererbande“. Auch die damalige DDR-Regierung unter Hans Modrow legte beim bundesdeutschen Innenministerium (BMI) gegen diese illegale Landnahme Protest ein. Doch das BMI mauerte: Die DDR sei nicht integraler Bestandteil der Bundesrepublik, daher habe man keine rechtliche Handhabe zum Eingreifen. 

Trotz oder gerade wegen dieser „Nichteinmischung“, schlussfolgert Mandy Tröger, sei das BMI daher „ein ganz zentraler Akteur“ beim Eroberungsfeldzug der bundesdeutschen Verlagskonzerne gewesen. Es setzte frühzeitig den politischen Rahmen für die DDR-Markterschließung. Schließlich standen die ersten (und einzigen) freien Volkskammerwahlen in der finalen Phase der DDR an. Da benötigte man westliche Medien in der DDR, zwecks Information der Bürger. Daher gab es grünes Licht für die „Eigeninitiative“ der Verlage. Tröger: „Auf regulativer Ebene herrschte die Haltung: Geht und macht!“ 

BMI als zentraler Akteur

Offensichtlich ging es dem BMI auch darum, Fakten zu schaffen, keinen autonomen Aufbau eigenständiger Strukturen im Osten Deutschlands zulassen, die die etablierten Strukturen im Westen gefährden konnten. Während den Kleinverlagen, Bürgerzeitungen und Neugründungen die Luft ausging, hatten die Großverlage längst Vorverträge mit den auflagenstarken SED-Bezirkszeitungen geschlossen. Es folgten umfangreiche Investitionen in moderne Technik, Personal und Papier wurden aus dem Westen eingeflogen. Das alles geschah unter Ausnutzung der wendebedingten rechtlichen Grauzone. Damit war die Aufteilung der DDR-Zeitungen unter den Westverlagen faktisch schon früh abgeschlossen.

Am 1. April 1990 – ein halbes Jahr vor der offiziellen Vereinigung der beiden Deutschlands – wurden die Printmedien der DDR in die raue Welt der Marktwirtschaft entlassen. Der Wegfall staatlicher Subventionen löste eine rasante Pressekonzentration aus, der neben den meisten überregionalen Zentralblättern auch der größte Teil der Neugründungen zum Opfer fielen. Übrig blieben die ehemaligen SED-Bezirkszeitungen, die zu DDR-Zeiten über ein fast vollständiges Monopol orts- und kreisbezogener Berichterstattung verfügten. 

Treuhand allenfalls Sündenbock

Dass dieser Zustand schon wenige Jahre nach der Wende wiederhergestellt war, ist vor allem der pragmatischen Politik der Treuhand zu „verdanken“. Dies hatte im April 1991 die begehrten Bezirksblätter an die Westkonzerne verkauft. Damit setzte sich die normative Kraft des Faktischen durch. Dennoch sieht Tröger die Treuhand allenfalls als Sündenbock, nicht als Hauptverantwortliche. Die entscheidende Rolle hätten Bundespolitiker gespielt, allen voran das BMI. Diese setzten auf eine schnelle Privatisierung, um die DDR-Printmedien reibungslos in westdeutsche Marktstrukturen einzugliedern.

„Viele denken heute, nach dem Fall der Mauer sei der Zug direkt Richtung Einheit gefahren“, sagt Tröger. So aber sei es nicht gewesen. Es gab basisdemokratische Reformbestrebungen, es gab den Medienkontrollrat, es gab sogar ein halbes Jahr lang einen DDR-Medienminister – den CDU-Mann und Theologen Gottfried Müller – der sich gegen die kalte Übernahme der DDR-Presse durch die Westkonzerne wehrte. „Aber der Staat war schwach, und die Großverlage nutzten das rechtliche und machtpolitische Vakuum, um ihre Interessen durchzusetzen“, bilanziert Tröger.

Heute sind die ehemaligen DDR-Bezirkszeitungen vollständig unter Kontrolle von Westverlagen – mit Ausnahme der Berliner Zeitung, die 2019 überraschend vom branchenfremden Unternehmer Holger Friedrich übernommen wurde. Dass aktuell wieder verstärkt über „den Osten in den Medien“ debattiert werde, wundert Mandy Tröger kaum. Das Fehlen ostdeutscher Stimmen, die heutige Klage über mangelnde Repräsentanz hat für sie auch mit der Erfahrung struktureller Ausgrenzung zu tun, die viele DDR-Bürger in der Wendezeit erlebten. Die damaligen Bürgerzeitungen, die zahlreichen Initiativen für demokratische Pressereformen unter Einschluss von innerer Pressefreiheit – all das sei zugunsten von Konzerninteressen abgewürgt worden. „Damit wurde eine große Chance verpasst.“

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