DGB-Preis: Highlight bei Filmfestival im Norden

Gewinnerfilm: "Skeet" von Nick Sexton Bild: Filmfest Emden-Norderney

Der Bürgermeister von Emden wählte große Worte. „Manche behaupten ja, Emden sei das Cannes des Nordens“, sagte Tim Kruithoff bei der Preisverleihung des 35. Filmfests Emden-Norderney. Für die 21 000 Besucher*innen war das Festival auf jeden Fall ein bemerkenswertes Event.

Trotz des internationalen Programms hat das Filmfest stets eine familiäre Atmosphäre und möchte Filmschaffende aus verschiedenen Ländern miteinander vernetzen. Birgit Momberger und Edzard Wagenaar, die das Festival leiten, zeigten ein internationales Programm: 51 Lang- und 28 Kurzfilme, wobei man für die kultigen Kurzfilme LONDON Shorts, zu denen Scones und Earl Grey serviert werden, schon früh anstehen musste.

DGB-Preis für gesellschaftskritische Filme

Ein Höhepunkt ist immer die Vergabe des DGB-Filmpreises für gesellschaftlich engagierten Film, der mit 7000 Euro dotiert ist. Allein das Publikum entscheidet, wer den Preis bekommt. Vier Langfilme konkurrierten in diesem Jahr um den Preis. Beim DGB-Filmgespräch stellte Michael Kleinschmidt vom Institut für Kino und Filmkultur die vier Filme mit vielen Hintergrundinformationen vor. Drei davon waren gleichzeitig für den Hauptpreis des Festivals nominiert, für den Score Bernhard Wicki Preis, dessen Gewinner 10 000 Euro erhält.

Zu dem holländischen Film „Tegendraads“, der auch das Festival eröffnet hatte, war die Drehbuchautorin Jacqueline Epskamp beim DGB-Filmgespräch zu Gast. Der Film von Regisseur Ben Sombogaart erzählt die Geschichte der ersten italienischen Gastarbeiter in einem traditionsreichen Textilbetrieb in Holland. In den 1960er Jahren kommen die italienischen Gäste ohne Sprachkenntnisse, ungelernt und misstrauisch beäugt in eine kleine Stadt. Sie arbeiten in einem Betrieb, in dem manche Familien seit vier Generationen beschäftigt sind. Die konfliktreiche neue Zeit ging unter dem Begriff „Spaghettikrieg“ in die Geschichte ein. Und immerhin waren der Zorn und die Eifersucht der jüngeren Fabrikarbeiter verständlich, denn von den ersten 800 Italienern, so erzählt Epskamp, heirateten 400 eine holländische Frau. Tegendraads schildert detailreich die Etappen des Eingewöhnens, sich Kennenlernens, aber auch die Konflikte. Ein Film, der beim Publikum großen Beifall fand.

Schwerer Stoff: Mutmaßlicher Missbrauch vor Gericht

Die belgische Produktion „Wir glauben Euch“ handelt von der Schwierigkeit, in möglichen Missbrauchsfällen zu einem Urteil zu kommen. Der Film spielt an nur einem Tag und zeigt die Anhörung vor der Richterin, die über die Anschuldigung gegen den Vater entscheiden muss und damit über seinen weiteren Umgang mit den Kindern. Um dieses sensible und heikle Thema darzustellen, wählen die Regisseure Charlotte Devillers und Arnaud Dufeys ein enges Bildformat und betonen die Aussagen in ruhigen, bis zu sechs Minuten langen Einstellungen. Der Mutter des Kindes fällt es schwer, die Fassung zu wahren und die Geschehnisse in Worte zu fassen. Ihre Angst ist für den Zuschauer unmittelbar zu spüren. „Wie ein Dokumentarfilm“, formuliert es ein Zuschauer in Emden, es gibt großes Lob für die Filmemacher.

Ihren Dokumentarfilm „Big Fish – Rumba Rwandaise“ haben Luzie Kurth und Lars Borges selbst finanziert. Zufällig stießen sie bei einer Reise auf die Geschichte von Mere Josée Umotoni. Die großartige Protagonistin kam als Flüchtling mit Kindern aus dem Kongo nach Ruanda. Frauen seien dort hochgeschätzt und stellten die Hälfte der Parlamentsabgeordneten, sagt sie.

Visum für Protagonistin abgelehnt

Der Köchin gelang es, sich und ihren Kindern in der neuen Heimat eine Existenz aufzubauen. Sie betreibt jetzt ein Restaurant mit neun Angestellten und nimmt den Zuschauer mit auf eine kulinarische Reise. Bedauerlich, dass sie in Emden nicht anwesend sein konnte, das Visum für einen Kurzaufenthalt wurde dreimal abgelehnt. In Europa, meint Mère José, könnten die Leute nicht loslassen, nicht lachen – das sei nicht ihre Welt.

Nach Neufundland führt Regisseur Nik Sexton mit dem Schwarz-Weiß-Film „Skeet“. Vor sieben Jahren begann er ihn in seinem Heimatort St. Johns zu drehen, den er zu Beginn in Diasequenzen vorstellt. Billy Skinner ist gerade aus dem Gefängnis entlassen. Die Mutter ist tablettensüchtig, der ältere Bruder sitzt im Rollstuhl, die Mutter seines 14-jährigen Sohnes lässt ihn nicht ins Haus. Erst nach und nach wird Billys Geschichte deutlich: vom Vater geprügelt, zum Schuldeneintreiber eines Dealers mutiert, mit dem Baseballschläger unterwegs, wegen schwerer Körperverletzung im Gefängnis – Tristesse pur.

Ganz langsam findet Billy zu neuen Perspektiven. Dabei helfen ihm ein verständiger Bewährungshelfer und vor allem sein syrischer Nachbarn Mohamed. Ein Mann, der wie selbstverständlich seine Freundschaft anbietet und zu ihr steht, sogar in brenzligen Situationen. Auch die Söhne der beiden Männer freunden sich an, das gemeinsame Fußballspiel verbindet. In der Freundschaft zu der warmherzigen syrischen Familie, die sich im fremden Land einzuleben versucht, gelingen Billy erste Schritte in eine bessere Zukunft – obwohl das Erbe der schwierigen Vergangenheit nochmal für Probleme sorgt.

Nik Sexton ist ein außerordentlich glaubhafter und erstaunlich gut erzählter Film gelungen; produziert wurde er von Sextons Mutter, mit der der Regisseur seit 20 Jahren zusammenarbeitet. Faszinierend, wie er sein Land, seine Stadt, seine Leute so authentisch portraitiert – auch dank der Darsteller, die größtenteils Laien sind. Sogar der überzeugende Hauptdarsteller Sean Dalton debütierte hier.

Zu Recht war das Publikum begeistert: Es wählte Skeet zum Gewinner des DGB-Filmpreises. Und nicht nur das. Anschließend wurde der Film auch mit dem Score Bernhard Wicki-Preis ausgezeichnet. Ein würdiger Gewinner beider Preise und ein Publikum, das trotz aller komischen, leichten, schönen Konkurrenz auf dem Festival zu einer solchen Entscheidung fand.

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