Radiocontent aufpeppen um die Hörer zu halten
Im großen Stile produziert und genutzt werden Podcasts seit 2004. Drei Formen lassen sich dabei unterscheiden: Angebote, die von unabhängigen Personen, oft professionellen Laien erstellt werden, PR-Casts von Unternehmen, die das Medium für ihre Werbung im Internet nutzen, und Podcasts von klassischen Medienanbietern, die Teile ihres Programms für eine nichtlineare Nutzung ins Netz stellen.
Inzwischen hat sich das Medium so stark etabliert, dass kein Radiosender mehr am Podcasting vorbeikommt – will er seine Hörer halten. Andreas Schulz, Programmchef des privaten Hit Radio FFH, musste feststellen, dass seine Stammgemeinde immer weniger Radio hört, dafür aber zunehmend im Internet surft. Nun versucht der Sender, seine Hörer zu UKW zurückzuholen oder zumindest an die Marke zu binden. Ein Mittel dazu ist Podcast. Was die Radiomacher ins Netz stellen, stößt allerdings je nach Inhalt auf unterschiedliche Resonanz. Vertiefende Informationen zu Radiobeiträgen werden kaum abgerufen. Comedystücke dagegen kommen gut an. Rund 3000 Downloads im Monat konnte man im vergangenen Jahr registrieren. Besser noch schlug die Idee ein, Radiocomedy mit Bildern zu unterlegen. Hier konnte man auf Anhieb 8000 Abrufe zählen. „Den Radiocontent aufpeppen“ nennen das die Privatfunker. Zusätzlich Geld verdienen lässt sich damit jedoch nicht.
Dieses Problem haben die Öffentlich-Rechtlichen nicht. Für sie ist Podcast der verlängerte Arm des terrestrischen Hörfunks. „Damit wird Radio nachhaltig“, schwärmt Rainer Tief, Programmbereichsleiter der BR-Welle Bayern 3. Ohnehin hat mit dem Podcasting-Boom die Stunde der Öffentlich-Rechtlichen geschlagen: Endlich können sie mehr als zuvor ihre, wie es heißt, „Premiuminhalte“, ins Licht der Öffentlichkeit rücken und den Stellenwert des gut recherchierten Worts deutlich machen. Die Nutzungszahlen sprechen jedenfalls für sich. 50 Angebote gleichzeitig stellt etwa der Bayerische Rundfunk kostenlos ins Netz. Über 370.000 mal im Monat werden Sendungen komplett runter geladen.
Interview mit dem Köln-Berlin Medienexperten und Radiopionier Helmut G. Bauer
M | Sind die Podcasts, die von interessierten Laien angeboten werden, eine Bedrohung für den klassischen Journalismus?
Helmut G. Bauer | Bei diesen Angeboten handelt es sich um Podcasts, die vergleichbar sind mit dem, was es früher in den Öffentlichen Kanälen gab, wo jedermann die Möglichkeit hatte, sich zu positionieren und darauf zu hoffen, dass es Menschen gibt, die dabei zuhören. Das läuft sehr erfolgreich. Ein Beispiel ist „Schlaflos in München“, wo eine Journalistin als Zeitvertreib einen sehr erfolgreichen Podcast gestaltet. Daraus ist keine Bedrohung für den Journalismus oder für irgendeine Mediengattung zu sehen, aber wichtig ist, dass man das aufmerksam beobachtet, weil es wiederum eine Fundgrube von Informationen ist und Recherchematerial bietet, auf das man Geschichten aufsetzen kann.
M | Inzwischen stellen auch die klassischen Rundfunkveranstalter eine Vielzahl an Podcasts ins Netz. Ist das eine Domäne der Öffentlich-Rechtlichen, da diese ja, anders als die Privaten, über die Inhalte verfügen, die sich podcasten lassen?
Bauer | Das ist selbstverständlich eine Domäne vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk, weil der aufgrund seiner Archive und seiner vielen Wortbeiträge, die er täglich produziert, natürlich einen riesen Fundus hat. Nicht umsonst sind BBC, Deutschlandradio Kultur und Deutschlandfunk die Vorreiter auf diesem Gebiet. Die Privaten hinken dem hinterher, weil sie stark Musik orientiert sind und die Musikindustrie natürlich überhaupt kein Interesse hat, Podcasts zu lizenzieren. Sie will die Titel selbst verkaufen und möchte die Radiostation nicht als Zwischenhändler haben. Aber das muss ja nicht so bleiben. Wenn es zur Digitalisierung des Hörfunks kommt, stehen ihnen auch vielmehr Flächen zur Verfügung und dann werden sie massiv ins Wort investieren wollen und müssen, um dort ein Gegengewicht zu den Öffentlich-Rechtlichen zu schaffen.
M | Können Podcasts das klassische Radio ablösen?
Bauer | Podcast ist ein neues Medium, und wir wissen aus der Mediengeschichte, dass ein neues Medium kein altes Medium verdrängt hat, sondern ihm eine neue Funktion gegeben hat. Sicher sollte man seitens der Radioveranstalter Podcasts aufmerksam beobachten und schauen, wie man sich zu diesem Medium positionieren kann. Dass Radio von Podcasts abgelöst wird, wie am Anfang befürchtet wurde, glaube ich nicht. Im Gegenteil, ich vermute, dass der Hörfunk davon positiv beeinflusst wird, weil er seine Inhalte auf mehreren Wegen verteilen kann.
M | Womit wird Radio auch in Zukunft punkten können?
Bauer | Der Vorteil von Radio ist, dass ich ein fertiges Produkt bekomme. Ich muss mich nicht um die Auswahl kümmern, ich kann das als Nebenbeimedium wunderbar konsumieren. Umgekehrt muss ich bei Podcasts eine eigene Aktivität entwickeln. Ich muss es mir downloaden, ich muss es mir irgendwo beschaffen und selbst wenn es automatisch zu geliefert wird, ist es ein weiterer Prozess, mit dem ich zu tun habe.
M | Sind Podcasts nur ein zusätzliches Marketinginstrument für die Sender oder lässt sich daraus ein eigenständiges Geschäftsmodell entwickeln?
Bauer | Beides. Zum einen ist es ein Marketinginstrument, weil die Sender ihre Inhalte weiter verbreiten können. Zum anderen kostet ein solches Instrument natürlich auch Geld. Aber wir wissen, dass Podcasts inzwischen auch mit Werbung versehen sind. Das heißt, es gibt Sponsoren dafür, selbst für Podcasts wie „Schlaflos in München“, der von einer Privatperson gemacht wird.
M | Es wird vermutet, dass sich die Hörgewohnheiten durch Podcasts ändern, weil sie dem Nutzer mehr Zeitsouveränität geben.
Bauer | Ich kann diese These bestätigen. Allerdings kratzen die Untersuchungen, die bis heute dazu existieren, noch massiv an der Oberfläche. Tatsache ist, wenn wir Endgeräte haben, wo ich per Knopfdruck Sendungen mitschneiden kann, wo ich in der Lage bin, Werbung raus zu schneiden – so schlimm das für die Werbung treibenden Sender ist – dann wird der Podcast wunderbare Möglichkeiten bieten, dann, wenn ich es will, mein Programm zu hören. Aber denken Sie bitte an die vielen Nutzungssituationen, in denen Sie Radio nicht allein hören, sondern mit anderen zusammen, beispielsweise im Büro. Dann kommt etwas anderes als Radionutzung gar nicht in Frage, denn dann ist das ein Gemeinschaftserlebnis. Es wird immer Radio geben.
M | Neben Podcast gibt es auch Videocast. Das ZDF zum Beispiel will ab der nächsten Funkausstellung große Teile seines Programms ins Netz stellen. Wird das ein ähnlicher Hype wie Podcast?
Bauer | Youtube ist ein wunderbares Beispiel dafür, Clipfish in Deutschland entwickelt sich auch. Und jetzt kommen natürlich die Fernsehsender dazu und sagen: „Wie können wir die Programme, die wir teuer produziert haben, unseren Nutzern weiterhin zur Verfügung stellen?“ Dann bietet sich Videocast natürlich an. Die BBC ist extrem weit damit. Das ZDF wird es auch machen, natürlich immer nur bezogen auf die eigenproduzierten Programme. Es wird noch lange dauern, bis man eine Möglichkeit hat, Spielfilme ins Netz zu stellen, weil die Hersteller dieser Produkte sie natürlich selbst vermarkten wollen.
M | Womit die Möglichkeiten von Pod- und Videocast auch immer durch die Verwertungsrechte begrenzt sind!
Bauer | Das sind natürlich die klassischen Rechteprobleme, die man immer hat, wenn ein neues Medium hinzukommt. Die Frage für den Autor heißt: „Habe ich meine Rechte nur für eine bestimmte Verbreitungsart abgegeben oder dürfen aus meinen Werken auch Podcasts und Videocasts hergestellt werden? Das ist eben eine Frage von Machtbalance zwischen den Rechteinhabern und denen, die Rechte kaufen. Das ist ein Thema, das immer wieder ´ne Rolle spielt und wo die Gewerkschaften nicht früh genug beginnen können, sich darüber im Klaren zu werden, wie diese Rechte abzugelten sind.