Eine Forschungsübersicht
Nach den peinlichen Reinfällen auf die Fälschungen aus der Werkstatt des Michael Born ist er wieder laut geworden: der Ruf nach Qualität im Journalismus. Wo eine ganze Branche unter Akzeptanzverlust zu leiden droht, ist konkurrenzübergreifendes Nachdenken über inhaltliche Standards der Profession gefragt. Qualitätssicherung im Journalismus – wie müßte die aussehen, um die Grenze zwischen Realität und Fiktion sauber ziehen zu können? Was macht Qualität im Journalismus eigentlich aus? Mit dieser Frage beschäftigt sich die Medienwissenschaft seit langem.
Aktuelle Forschungsergebnisse geben keine unmittelbaren Empfehlungen zum Schutz vor Fakes – so direkt praxisorientiert ist Forschung nur selten. Allenfalls liefert sie Anhaltspunkte zur Installation von Sicherungen.
Rückblickend scheint es immer ganz eindeutig: Wer zweifelt schon daran, daß Egon Erwin Kisch ein „guter Journalist“ war und also „gute Geschichten“ geschrieben hat. Karl Kraus‘ Kritiken sind ebenso über jeden Zweifel in der Zunft erhaben. Und auch heute werden sich die meisten Journalistinnen und Journalisten auf eine Riege von „Edelfedern“ einigen können: Analysen von Marion Gräfin von Dönhoff, Porträts von Jürgen Leinemann, eine Reportage von Alexander Osang oder eine Fernsehkritik von Barbara Sichtermann – auch wenn man nicht in allem ihrer Meinung ist, als „guter Journalismus“ würden diese Texte von den meisten beschrieben werden.Doch taugen solche Einzelleistungen tatsächlich als Maßstab für die Beurteilung journalistischer Qualität? Gianluca Wallisch meint „ja“ und wählt die Vergabe fünf prominenter Journalistenpreise zur Meßlatte seiner Qualitätsdebatte. „Die Qualität von Journalismus wird an seiner Fähigkeit gemessen, Themen der sozialen Wirklichkeit aufzugreifen, durch adäquate Recherchetechniken zu erfassen und durch entsprechende Vermittlungsformen dem Leser nahezubringen.“ So versucht der österreichische Kommunikationswissenschaftler eine Definition, die in ihrer Allgemeinheit noch nicht viel weiterhilft. Woher sollen Themen sonst kommen, wenn nicht aus der „sozialen Wirklichkeit“? Welche Recherchemethoden gelten als „adäquat“? Und: Sind meine Vorstellungen von einer „entsprechenden Vermittlungsform“ tatsächlich dieselben wie die der Leserin? Diese Fragen läßt der Österreicher beiseite und schaut sich die ausgewählten Texte sowie die Jurorenurteile vom Pulitzer-Preis, dem Theodor-Wolff-Preis, dem Kisch-Preis, dem Wächterpreis der Tagespresse sowie dem Joseph-Roth-Preis (vormals Internationaler Publizistik-Preis Klagenfurt) an. Doch am Klagenfurter Preis wird am eindringlichsten deutlich, was das Problem aller Journalistenpreise als Instanz der Qualitätsbeschreibung ausmacht: Diese Auszeichnung wurde in Anlehnung an den Ingeborg-Bachmann-Preis für Literatur entwickelt und wird in einem ähnlich öffentlich inszenierten Ritual der (Selbst)Darstellung vergeben. Als Auswahlkriterium gilt „die Klarheit und Qualität der Sprache und die Verständlichkeit, die Plausibilität der Mitteilung“. Überzeugen kann diese unpräzise Vorgabe nicht. Und so erweist sich die Auswahl der Preisträger und die Begründung dafür in hohem Maße an Kriterien der Literaturkritik angelehnt. Das gelungene Spiel mit Worten gilt hier als zentrales Gütesiegel – mit realen Produktionsbedingungen an Redaktionsschreibtischen hat das nur wenig gemein. Wolfgang Langenbucher formulierte bereits 1986 seine Kritik bei der Suche nach Kriterien: „Wer ohne den Druck eines Erscheinungstermins, ohne redaktionelle Vorgaben, ohne Bindung an Aktualität sich einen historisch literarischen Stoff vornimmt … hat sich vollständig jenen Bedingungen entzogen, unter denen Journalismus entsteht.“ Für den „alltäglichen Journalismus“ hat der Blick auf die preisgekrönten Ausnahmeleistungen also nur wenig Wert – wenn auch die Produkte der Edelfedern vielen Kolleginnen und Kollegen als vorbildlich beim sorgfältigen, genauen Umgang mit Sprache gelten. So kommt Gianluca Wallisch nach ausgiebiger Betrachtung der Bewertungsversuche anderer auf Seite 233 zu dem Resümee: „Die Suche nach den Kriterien zur Bewertung journalistischer Produkte führt zur Erkenntnis, daß es keinen festgelegten Maßstab geben kann.“ Schade. Andere Wissenschaftler begeben sich erst gar nicht auf die Suche nach solch festgelegten Kriterien. Weniger die individuelle Leistung einzelnder JournalistInnen als vielmehr die redaktionelle und gesellschaftliche Infrastruktur hat der Berliner Publizistikprofessor Stephan Ruß-Mohl im Blick, wenn er sich mit Formen journalistischer Qualitätssicherung beschäftigt. Fundierte Ausbildung, kontinuierliche Weiterbildung, Ombudspersonen in den Redaktionen und „watchdogs“ außerhalb, Medienjournalismus sowie Medienforschung als Reflexionsinstanzen – die Themen, die Ruß-Mohl anschneidet, sind allesamt nicht neu. Bei seiner Betrachtung des US-amerikanischen Journalismus glaubt der Professor jedoch, ein funktionierendes Netzwerk pluralistischer Selbst- und Fremdkontrolle entdeckt zu haben, das journalistische Qualität sichert, ohne sich zum Zensor aufzuschwingen. Ein Beispiel: Medienkritische Initiativen wie FAIR machen durch öffentliche Medienbeobachtung und vor allem Beobachtung der Medienkonzentration auf Themen aufmerksam, die unterbelichtet bleiben. Notfalls auch durch einen Leitartikel auf gekauftem Anzeigenraum. Doch wie interessenorientiert auch diese Medienkritik sein kann, macht Ruß-Mohl deutlich. Neben kritischer Beobachtung der Besitzverhältnisse gehört auch das Einschwören auf stramm konservativen Kurs zum Repertoire mancher „watchdogs“ denen im Zweifel alle amerikanischen JournalistInnen zu linkslastig erscheinen. In Deutschland hat die Idee der kritischen Betrachtung von außen mit der Initiative Mediawatch Nachahmer gefunden. Vor allem die Berichterstattung über die „Dritte Welt“ wird dort von einer Gruppe Journalistinnen, Medienwissenschaftlern und -kritikerinnen unter die Lupe genommen. Weitere Initiativen in diese Richtung wären wünschenswert, um von außen Ansprüche der Qualitätssicherung an den Journalismus zu formulieren. Doch Ruß-Mohl bleibt vorsichtig in bezug auf die Übertragbarkeit amerikanischer Modelle in europäische Redaktionen. Statt dessen plädiert er für den Erhalt der spezifischen Formen in den Einzelstaaten: systematische Weiterbildung im dänischen Journalismus, Ombudspersonen bei spanischen Zeitungen, europäische Ausbildung in Frankreich. Schließlich hat das ausdifferenzierte System publizistischer Qualitätssicherung in den USA nicht verhindern können, daß Tageszeitungen dort über Monopolgebiete verfügen, in einem Ausmaß, das deutsche Verhältnisse deutlich übersteigt.Ökonomische Strukturen spielen also in diesen Überlegungen zur publizistischen Qualität keine zentrale Rolle. Dieses Defizit wird um so deutlicher, wenn über Strategien der Qualitätssicherung nicht mehr auf der Ebene der Redaktionen, sondern in der Etage der Geschäftsführung diskutiert wird. Unter dem apokalyptischen Titel „Zukunft oder Ende des Journalismus?“ fand dies auf Einladung der Bertelsmann-Stiftung statt. Gert Schulte-Hillen, Vorstandsvorsitzender von Gruner+Jahr in Hamburg sowie stellvertretender Vorstandsvorsitzender bei Bertelsmann in Gütersloh, sagt dort über die Sicherung publizistischer Unabhängigkeit durch Führungskonzepte: „Unabhängigkeit kommt vom Erfolg“ Daß er dabei Erfolg weniger an gelungener Recherche als vielmehr am Umsatz des Unternehmens bemißt, kann man ihm kaum verübeln. Das ist sein Job. Deutlich wird daran, wie inhaltsleer und beliebig sich eine Qualitätsdebatte führen läßt. Eine andere Form, sich mit dem Einfluß der Wirtschaft auf den Journalismus und den Konsequenzen für dessen Qualität auseinanderzusetzen, hat Detlef Schröter gewählt. Unternehmensberichterstattung stellt für ihn den Testfall für journalistische Qualität dar. In fünf überregionalen Tageszeitungen und fünf Magazinen untersuchte Schröter die Wirtschaftsberichterstattung. Seine Kriterien: Wird handwerklich sauber gearbeitet (Beantwortung der W-Fragen)? Werden die Quellen offengelegt? Durch eine Befragung der Informationspartner in der Wirtschaft versucht der Kommunikationswissenschaftler aber auch zu ermitteln: Haben die Journalistinnen und Journalisten die Informationen richtig wiedergegeben? Schröter erkennt bei der Analyse zwei gegensätzliche Strategien in der Berichterstattung. Knappe Informationen werden zumeist korrekt mit Angabe des Anlasses dargestellt. Bei komplexeren Zusammenhängen dagegen, so kritisiert er, bleiben die Rahmenbedingungen oftmals unklar, statt dessen dominiert das Urteil der Journalistin. „Wo die Journalisten mit ihren eigenen Meinungen und Interpretationen die Berichterstattung dominieren, werden die Ausgangspartner nicht selten zu Statisten der persönlichen Kommunikationsinteressen der Journalisten degradiert und dementsprechend nachlässig und oberflächlich behandelt.“ Dabei gilt keineswegs: Je größer der Artikel, desto besser die Chance der Gesprächspartnerin, angemessen zu Wort zu kommen – im Gegenteil. Gerade bei Magazinbeiträgen beklagen die Interviewten sinnentstellende Kürzungen ihrer Aussagen. Und für alle Artikel gilt: Jedes fünfte wörtliche Zitat wurde nicht korrekt wiedergegeben.Zusammenfassend stellt Schröter fest: „Die betroffenen Redaktionen der untersuchten Printmedien haben keine ausreichenden, ihrem Medium entsprechenden Vermittlungsstrategien entwickelt, mit dem sie die aktuellen Themen realitätsgerecht, unter Berücksichtigung von Meinungsverschiedenheiten … darbieten könnten.“ Und er schlägt vor: „Was sich in der industriellen Fertigungspraxis unter dem Stichwort ,Qualitätssicherung‘ schon lange eingebürgert und zugunsten der Produzenten wie Verbraucher durchgesetzt hat, ließe sich … auch auf die praktische Redaktionsarbeit übertragen.