Fakten, Fame und Follower

Symbolbild: Socialmedia. Shutterstock

Im Netz dominiert mittlerweile der Content, den kommerzielle BigTech-Plattformen pushen. Er ist nicht mehr gebunden an eine „öffentliche Aufgabe“ von Journalismus, nämlich durch Information und Fakten zur Selbstverständigung der Gesellschaft beizutragen.

Mit der Digitalisierung in den 1990er Jahren wurden Medieninhalte zum „Content“ und von der Übermittlungsstruktur eines Mediums abgegrenzt. Während es im öffentlich-rechtlichen Rundfunk früher zum Beispiel Jugendsendungen wie „Doppelpunkt“ vom ZDF (1995 eingestellt) gab, wird die Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen seit 2016 mit „funk“, dem Content-Netzwerk von ARD und ZDF adressiert, das seine Beiträge fast ausschließlich auf Social-Media-Plattformen publiziert. Dort erreicht die Redaktion ihre junge Zielgruppe, aber der eigene Anspruch, gemeinwohlorientiert einen „Beitrag zum demokratischen Diskurs“ zu leisten, werde durch „illegitime journalistische Praktiken“ gefährdet, so Publizistikprofessor Janis Brinkmann bei einem Workshop des Netzwerks Medienstrukturen.

Er analysierte sogenannte Explainer-Formate wie „Die da oben“, in denen Politik erklärt wird. Es hagelte Kritik von der CDU, als die Redaktion ihr Video „Rechte Politik: Darum geht es wirklich“ auf Instagram anteaserte mit: „Björn Höcke, Alice Weidel, Friedrich Merz und Markus Söder haben was gemeinsam: Sie sind rechts“. Dabei sei der Beitrag insgesamt durchaus ausgewogen. Nutzer*innen würden aber durch „Truth-Bait“ zum Klicken verleitet, um mehr Traffic zu bekommen, kritisierte Brinkmann. „Truth-Bait“ bedeutet, reißerische Überschriften und irreführende Inhalte als „Köder“ zu nutzen, in denen nicht einlösbare „ultimative Wahrheits- und Wirklichkeitsansprüche“ formuliert werden. Für die Explainer-Formate sei das ein wiederkehrendes Muster: „Russland & Nato: So sicher sind wir wirklich“ oder: „Die Wahrheit über Cannabis“. So könnten kontroverse gesellschaftspolitische Themen durch illegitime journalistische Praktiken wie „Truth-Bait“ kontaminiert werden.

Algorithmen als Gatekeeper

Es hat seinen journalistischen Preis, wenn man die kommerziellen, auf Reichweite ausgerichteten Plattformen nutzt. Denn die Produktions- und Distributionsbedingungen beeinflussen Texte, Bilder, Audio- oder Videobeiträge und verändern auch die Aufgaben von Medienschaffenden. Im Digitalen bestimmen Suchmaschinen und Social Media mit intransparenten Algorithmen, wer welche Inhalte zu sehen bekommt und wer wie gesehen wird. Journalist*innen verlieren ihre klassische Gatekeeper-Funktion, aus der Fülle der Ereignisse und Sachverhalte die gesellschaftlich relevanten auszuwählen – nach handwerklichen und ethischen Standards wie Faktenüberprüfung mittels verschiedener Quellen oder Vermeidung von Diskriminierungen. Denn viele der reichweitenstärksten Influencer*-innen haben keine journalistische Ausbildung. Ohne professionellen Qualitätsfilter beim Gatekeeping wird es zunehmend schwieriger, im publizierten Content zu erkennen, inwieweit durch Reichweite und Desinformation etwa Profit- oder politische Machtinteressen verfolgt werden.

Was diese Entwicklung für das demokratische System bedeutet, zeigt die aktuelle Demokratie-Studie „How to sell Democracy Online (Fast)“: 74 Prozent der befragten Menschen zwischen 16 und 27 Jahren gaben an, dass Social Media ihre primäre Informationsquelle für politische Themen sei. In den „zunehmend algorithmisch ausgespielten, ungefilterten Inhalten von Social Media Feeds“ könnten bisher „populistische und extremistische Akteur*innen ihre Botschaften besonders erfolgreich platzieren“. Wenn die monopolistischen Plattformen wie Medien agierten, müssten sie auch wie Medien reguliert werden, sagt Bettina Hesse, bei ver.di verantwortlich für Medienpolitik. Das betreffe etwa die Haftung für bereitgestellte Inhalte, die eine gesellschaftliche Polarisierung vorantreiben, konstatiert sie und kritisiert eine „demokratieschädigende digitale Machtkonzentration“, die durch Regulierung aufgehalten werden müsse.

Das Publikum bestimmt die Relevanz

Durch den offenen Zugang zum Netz kann jeder Producer werden. Journalist*innen konkurrieren dann mit Content-Creator*innen. Einige der neuen Akteur*innen richten sich bei Produktion und Verbreitung ihrer Inhalte nach journalistischen Standards und Werten, andere propagieren – verdeckt oder offensichtlich – bestimmte Interessen oder verbreiten sogar vorsätzlich Falschinformationen und Hate Speech.

„Wir haben das Kommunikationsmonopol verloren“, befürchtet der spanische Journalist Anarte Lazo, der zugleich als Newsfluencer auf Instagram und TikTok aktiv ist. In einem Interview mit dem Standard sagte er: „Der einzige Weg, wie wir relevant bleiben können, ist, dass wir uns in unser Publikum hineinversetzen“. Das bedeute, plattformkonform bildenden Content über Themen zu bieten, die einen Bezug zu den Menschen hätten. Das will auch das bundesweite Projekt #UseTheNews, das 2020 von der Deutschen Presseagentur (dpa) und der Hamburger Kulturbehörde initiiert wurde. Es geht darum, die Nachrichtenrezeption und -kompetenz junger Menschen bei der Social-Media-Nutzung zu stärken – etwa mit Konzeption neuer Formate oder einen „Selbstverteidigungskurs gegen Desinformation“. Immerhin folgen nach der aktuellen Demokratie-Studie 60 Prozent der Befragten News-Influencern. Paulina Fröhlich, eine der Studienautor*innen, beschreibt diese als Personen, „die mit konsequenter Selbstvermarktung eine hohe Reichweite auf Social Media haben und direkt oder indirekt über Politik sprechen.“

Influencer*innen ergänzen Journalist*innen

In ihrer Studie „Political Influencer zwischen Journalismus und Algorithmus“ vom Oktober hat die Landesanstalt für Medien NRW (LfM) diese Gruppe unter die Lupe genommen. Im Vorfeld der Bundestagswahl 2025 wurden 1.000 politische Beiträge inhaltsanalytisch untersucht, die von 98 reichweitenstarken Accounts – mit Ausnahme offizieller politischer und journalistischer Nutzerkonten – auf Instagram und TikTok gepostet wurden. Ergebnis: Political Influencer stammen mehrheitlich aus dem (eher) linken Spektrum, aber (eher) rechte Akteur*-innen streuen mit Abstand am häufigsten Desinformation, konstruieren Feindbilder, vereinfachen politische Konflikte und emotionalisieren die Debatte. Das „untergräbt Vertrauen in demokratische Prozesse und befördert ein zunehmend polarisierendes Meinungsklima“, konstatiert die LfM-Studie. Markenzeichen aller Political Influencer sei „eine emotionale, meinungsstarke Ansprache“ und eine Abgrenzung von journalistischen Standards.

Ihr Contentangebot solle laut LfM „als eine eigenständige Ergänzung zu professionell-journalistischen Medieninhalten betrachtet werden“ und nicht als Konkurrenz. Es gelte, die Kompetenz derjenigen politischen Influencer*innen zu stärken, die ihre Reichweite für eine demokratische Diskussionskultur nutzen wollen. Ihnen solle ermöglicht werden, „sich zu gesetzlichen Rechten und Pflichten fortzubilden (z. B. journalistische Sorgfalt, Hass im Netz), journalistisch verantwortungsbewusste Inhalte zu veröffentlichen und Zugang zu Faktenprüfungs-Tools und aktueller Forschung“ zu bekommen.

Neben Arrangements mit der aktuellen Plattformlogik gibt es Initiativen für eine gemeinwohlorientierte digitale Infrastruktur, wo Inhalte vermittelt und diskutiert werden könnten, die sich an gesellschaftliche Werte wie Transparenz, Teilhabe, Vielfalt, Nachhaltigkeit, Datenschutz, Gerechtigkeit und Demokratie ausrichten. Öffentlich-rechtliche Medien arbeiten an einem „Digital Open Public Space“ und soziale Netzwerke entwickeln im Fediverse Alternativen zu BigTech.

 

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