„Daily Soap“ im Journalismus

Ausdehnung der Sendezeiten bei gleichbleibenden Honorar-Etats – und die Folgen für Arbeitsbedingungen und Qualität – für Freie und Feste.

Mit dem Schlagwort „Industrialisierung der Serienproduktion“ hatte Ex-WDR-Intendant Friedrich Nowottny eigentlich nur Knochenmühle der täglichen Seifenopern („daily soaps“) gemeint, bei denen auch sein Sender im vorigen Jahr eingestiegen ist („Verbotene Liebe“). Doch dieselbe Industrialisierung hat längst auch den Fernsehjournalismus erfaßt, mit sehr ähnlichen Konsequenzen für die Qualität der Berichterstattung: Masse statt Qualität. Vorreiter dabei ist die Regionalberichterstattung, zum Beispiel beim Westdeutschen Rundfunk.

Dialog, Schuß, Gegenschuß, kein Schwenk, keine Fahrt, viel Studio, wenig Außenaufnahmen. Die Szenen der Seifenopern ähneln sich, ob die Serie nun „Verbotene Liebe“, „Marienhof“, „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ oder „Unter uns“ heißt. Oberste Maxime ist der Zeitplan. 25 Minuten müssen täglich produziert werden. Nach einem 12-Stunden-Tag müssen die Schauspieler noch den Text für den nächsten Tag lernen. Dauerstreß für alle Beteiligten.

Mit einem Minutenpreis von 4000 bis 7000 Mark kommen die Produzenten von „dailysoaps“ aus; ein üblicher Fernsehkrimi wie „Der Fahnder“ verschlingt viermal so viel. Öffentliche Klagen über die Produktionsbedingungen kommen aber allenfalls von denen, die es sich leisten können, den angestellten Kamera- und Tonleuten des WDR zum Beispiel. Freie Autorinnen, Schauspieler und andere Beteiligte schweigen dazu. Der nächste Auftrag könnte gefährdet sein.In der Anfangphase der Produktion „Verbotene Liebe“ (Start 2. Januar 1995) beschwerten sich WDR-Kameraleute, daß die 10-Stundenschicht des Dienstplanes von vorneherein Makulatur war. 12 Stunden waren eher die Regel. Kameramann Reinhard Gossmann, zeitweise zuständig für Außenaufnahmen, berichtet, die Drehbuchschreiber hätten sich daran gewöhnen müssen, daß Qualitäts-Mätzchen nicht drin sind: Die im Drehbuch gewünschte gefühlvolle Kamerafahrt durch die Landschaft kostet zuviel Zeit.

Aufnahmeteams: Drei Berichte in einer Schicht

Bei den WDR-Landesstudios sind auch die journalistischen Programmitarbeiter längst daran gewöhnt, daß anspruchsvollere Berichte schlechte Chancen haben. Fernsehteams und Schnittzeiten sind knapp. „Zuviele Drehorte, zu aufwendig“, befindet der Chef des Kölner Fernsehfensters, als ich ihm eine Reportage vorschlage – und lehnt mit dieser Begründung ab. Für einen Drei- bis Vierminüter hatte ich einen Tag lang drehen wollen; selbst ein Kompromiß von vier Stunden Drehzeit für eine abgespeckte Version war zuviel. Die Regel ist, daß Kamerateams in einer Arbeitsschicht von acht Stunden für mindestens zwei, meistens aber drei und mehr Berichte drehen müssen – Fahrzeiten inbegriffen. Ein motiviertes Team, das sich auf ein Thema einlassen will, läßt sich da nicht erwarten.

Ob die Autorinnen und Autoren wirklich drehen können, entscheidet sich zudem erst am Nachmittag des Vortages, wenn Termine längst abgemacht sein müssen.

Mehr Sendezeit in den Fensterprogrammen

Ursache der Misere: Bei gleichbleibenden oder kaum wachsenden Etats sind die Redaktionschefs gleichwohl bereit, immer mehr Sendeminuten auszustoßen. Als die Fernsehfenster des WDR von 15 auf 20 Minuten (also um ein Drittel) verlängert wurden, sank der pro Tag verfügbare Etat laut Aussage eines Landesstudioleiters gleichzeitig von rund 6500 Mark auf 5500 Mark. Vermutlich wurde das Geld im Düsseldorfer Studio benötigt, das zu dem Zeitpunkt neue Talk- und Informationssendungen aus der Taufe hob.

Zum 15. April 96 stieg die tägliche Sendezeit der Fernsehstudios gar auf 35 Minuten – bei nicht entsprechend erhöhtem Etat. Mit der Öffnung von insgesamt drei weiteren Regionalfenstern steigt die Sendezeit der WDR-Studios bis Anfang 1997 von täglich 600 Minuten auf knapp 1700 Minuten.

Knappe Schnitt-Zeiten

Die Fernsehteams und Schnitt-Zeiten, die jedem Studio zur Verfügung stehen, werden dabei sogar noch verknappt: Künftig stehen, Beispiel Köln, zum Füllen der 35 Minuten nur noch drei Teams und drei Schneideräume zur Verfügung – brutto, das heißt inclusive Krankheits- und Urlaubszeiten der Kolleginnen und Kollegen. Das macht netto rechnerisch je 2,3 Kamerateams und Cutterinnen.

Inhaltliche und formale Konsequenz: Es dominiert „fast food“-Berichterstattung, die mit ein paar Schwenks und Schnittbildern an einem Schauplatz erledigt werden kann, mit O-Tönen von am Ort anwesenden Experten und Protagonisten. Geplante Wochenenddrehs haben keine reale Chance, denn erst am Freitagnachmittag entscheidet sich in Köln, ob die Sportredaktion vielleicht doch noch ein Team übrig hat. Von Bürokraten und Politikern geplante Presse-Events bekommen da leicht die Oberhand. Ins Hintertreffen gerät dagegen Berichterstattung über alles, was die Bürger am Wochenende machen, Demonstrationen inbegriffen.

Immer mehr Studiogäste

Mit Billigfernsehen und Wiederholungen versuchen die Redaktionen, über die Runden zu kommen. Der (preiswerte) Studiogast scheint bei allen sieben Fensterprogrammen Pflicht zu sein – gute Zeiten für Stadtdirektoren, Bürgermeister und andere Experten. Die Wuppertaler „Lokalzeit“ geht mit „Wuppertalk“ voran und fügt den vielen Fernsehtalkrunden nun auch noch eine lokale hinzu – im Erfolgsfall sollen die anderen Studios nachziehen.

Die Zuschauer der WDR-„Lokalzeit“ bekommen kurz hintereinander drei Versionen derselben Filmberichte zu sehen, wenn sie am Bildschirm bleiben: um 18 Uhr, um 19.25 Uhr und um 21 Uhr. Die Serienabwürfe verursachen äußersten Streß in den Schneideräumen. Für eine sorgfältige Bearbeitung des Hauptberichtes bleibt kaum Zeit. Zuweilen werden Autoren ermuntert, mehr Aufsager vor der Kamera zu machen: Ein sprechender Kopf vor der Kamera ergibt mindestens 20 Sekunden, in denen nicht geschnitten werden muß.

Gleich schlechte Bedingungen für alle Features

Die Planwirtschaft nach Art der „daily soap“ hat nicht nur in den Regionalredaktionen Schule gemacht. In manchen WDR-Redaktionen werden Features alle über denselben Etat-Kamm gezogen. Ob Inland oder Ausland, ob aufwendige Dokumentation oder an einem Stück gedrehte Reportage, ob Eigenproduktion oder Auftragsproduktion – eine halbe Stunde darf nur 50000 Mark kosten, und seit Jahren ist der Betrag nicht gestiegen.

Von den Zuschauern haben die gequälten Programmacher leider kaum Unterstützung zu erwarten. Die Einschaltquoten der „daily soaps“ sind konstant hoch. Und auch die mit viel Werbung gepushten neuen Recycling-Fensterprogramme des WDR haben nach Presseberichten die Quoten erhöht.

 

 

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