„Selbstbestimmt statt fremdbespaßt“

400 Jugendliche aus ganz Deutschland kamen zu den „Jugendmedientagen 2002“ in Schwerin

Es ist Samstag morgen. Das Gymnasium Fridericianum im Herzen der Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern leuchtet mit seinen gelben Mauern in der Sonne. Doch nicht still und friedlich ist die Szene wie am Wochenende zu erwarten, sondern bunt und lebhaft. Auf der Wiese vor der Schule liegen junge Leute im Gras, Grüppchen diskutieren auf dem Schulhof, Neuankömmlinge studieren die ausgehängten Programme und Info-Scouts in orangen T-Shirts bemühen sich, in dem Trubel den Überblick zu behalten.

Nicht etwa die Aussicht auf zusätzliche Schulstunden haben rund 400 junge Leute im Alter etwa zwischen 14 und 24 Jahren in das Schweriner Gymnasium gelockt, sondern die „Jugendmedientage 2002“ vom 30. Mai bis zum 2. Juni. Unter dem Motto „Selbstbestimmt statt fremdbespaßt“ hat der Verein Deutsche Jugendpresse mit Unterstützung der Bundeszentrale für politische Bildung und einiger Sponsoren zum fünften Mal junge Menschen aus ganz Deutschland versammelt, Schülerzeitungsredakteurinnen und Videofilmer, Radiofreaks und Volontärinnen, Studentinnen und junge Journalisten sowie in Projekten oder in der Politik engagierte junge Leute.

Preisverleihung

Den Auftakt bildet am Freitagabend eine Festveranstaltung mit der Bundesjugendministerin Christine Bergmann und dem Präsidenten der Bundeszentrale für Politische Bildung Thomas Krüger, in der die Preise des bundesweiten Schülerzeitungswettbewerbs SZ-Award verteilt werden. Der erste Platz in der Kategorie Inhalt geht an die Schülerzeitung „casiopeia“ vom Gymnasium Casimirianum in Coburg, in der Kategorie Layout gewinnt „krass“ von der Anna-Schmidt-Schule Frankfurt und beim Cover hat das Max-Reger-Gymnasium aus Amberg mit seinem „r.reger“ die Nase vorn. Teilgenommen hatten rund 250 Schülerzeitungen aus ganz Deutschland.

Am Samstag morgen stehen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern rund 30 Workshops offen. Rhetorik und kreatives Schreiben, Dokumentationsvideos und Theaterspielen, Moderation und Teamerschulung, Globalisierung, EU-Osterweiterung, Atomausstieg und Rechtsradikalismus sind ebenso auf der Themenpalette wie die direkte Beschäftigung mit Berichterstattung und Öffentlichkeitsarbeit.

Durch die Vermittlung der ver.di-Jugend ist auch der Fachbereich Medien von ver.di bei den „Jugendmedientagen 2002“ vertreten: Martina Schneider informiert über das Projekt „Mediengestalter 2000 +“, Susanne Stracke-Neumann sammelt mit Schülerinnen und Schülern Klischees, Ideale und Informationen zum „Berufsbild Journalist“. Heftige Diskussionen entfachen Manfred Protze, kommissarischer Vorsitzender der dju und Mitglied des Presserats, Klaus-Peter Hellmich, Vorsitzender der Fachgruppe Rundfunk, Film, AV-Medien, und Max Hägler vom Münchner Jugendmagazin „Clash“ in ihrem Workshop „Medien und Macht“. Die jungen Leute sind so vertieft in die Frage, was darf veröffentlicht werden und wo sind die Grenzen des journalistischen Berufsethos, dass die Kunde vom begonnenen Mittagessen eine Dreiviertelstunde lang keine Chance hat, durchzudringen.

Auch die Medien-Fachbereichsjugend mischt mit: Seit Jahresanfang hilft deren Vorsitzende Martina Hartung bei der Organisation für das Ereignis in ihrer Heimatstadt. Den Kontakt zum Cheforganisator der Jugendmedientage, Björn Richter, knüpfte Ringo Bischoff von der ver.di-Jugend. Jetzt versucht sie, die Teamerinnen und Teamer in die Vorbesprechung zu lotsen. Doch plötzlich ist ein Referent abhanden gekommen, das Thema Werbetexten droht unbesetzt zu bleiben. Die junge Verlagskauffrau, die in einer Hamburger Media-Agentur arbeitet, springt ein. Ihr Workshop gehört zu denen, die am Sonntag morgen in der Fußgängerzone von Schwerin auf dem Truck der Bundeszentrale für politische Bildung ihre Ergebnisse präsentieren.

PISA-Debatte

Trotz stundenlanger Workshops – und einer durchfeierten Nacht im Turnhallenlager – stehen am Samstag auch noch zwei Diskussionsrunden auf dem Programm. „Mit uns wäre PISA nicht passiert“ haben die Organisatoren die eine Runde forsch betitelt. Vertreter der Kultusministerkonferenz, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und die Vorsitzende der Bundesschülervertretung Anna Weber geben, wie es in der Zeitung der Jugendmedientage namens „politikorange“ so schön heißt, „neuen Senf an die PISA-Wurst“. Am Abend ist die Bundestagswahl Thema einer heißen Diskussion im völlig überfüllten Musiksaal.

„Warum sollten wir Sie eigentlich wählen?“ geht die Frage an Kandidatinnen und Kandidaten der Parteien, darunter die jüngste Bundestagskandidatin von Bündnis 90 / Die Grünen, die 18jährige Anna Lührmann aus Hessen, die ein Absenken des Wahlalters auf 16 Jahre fordert. Sie stößt jedoch im Publikum nicht gerade auf große Begeisterung für ihren Plan. In die Zange nehmen Moderatoren und Publikum vor allem den FDP-Spitzenkandidaten für Mecklenburg-Vorpommern, den ehemaligen Porno-Darsteller und „Glücksrad-Moderator“ Peter Bond, der mit seinen widersprüchlichen Einlassungen zu Bildung, Medien und Rechtsradikalismus mehrfach unbeabsichtigt Heiterkeit, aber auch lautstarken Protest auslöst. Bei der Rocknacht im Schweriner Kulturzentrum Speicher sind die Politikerworte allerdings kein Thema mehr.

Nachfolgertreffen

Ihren Abschluss finden die Jugendmedientage – vorerst – am Sonntag Vormittag in der Schweriner Fußgängerzone, die durch die vielen Rucksäcke, Liegeunterlagen und Schlafsäcke einem Feldlager ähnelt. Verdutzte Sonntagsspaziergänger erleben die Präsentation der Workshop-Ergebnisse auf dem Riesenwagen der Bundesszentrale für politische Bildung.

Doch das soll nicht alles gewesen sein. In acht Bundesländern sind bis in den Herbst hinein Nachfolgetreffen zu den Jugendmedientagen in Vorbereitung. Und die Pläne, im kommenden Jahr die Jugendmedientage gemeinsam mit den Jugendumwelttagen und dem Bundesschülerkongress als Riesenereignis zu veranstalten, reifen schon.

 



www.jugendmedientage.de
www.politikorange.de

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Sicher ist sicher: Eigene Adressen sperren

Journalist*innen sind in den vergangenen Jahren vermehrt zum Ziel rechter Angriffe geworden. Die Zahl tätlicher Übergriffe erreichte 2024 einen Rekordwert, so eine aktuelle Studie des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) in Leipzig. Die Autoren benennen die extreme Rechte als strukturell größte Bedrohung für die Pressefreiheit. Einschüchterungen oder sogar körperliche Übergriffe geschehen mitunter direkt an der eigenen Haustür. Den damit verbundenen Eingriff in das Privatleben empfinden Betroffene als besonders belastend.
mehr »

DGB-Preis: Highlight bei Filmfestival im Norden

Der Bürgermeister von Emden wählte große Worte. „Manche behaupten ja, Emden sei das Cannes des Nordens“, sagte Tim Kruithoff bei der Preisverleihung des 35. Filmfests Emden-Norderney. Für die 21 000 Besucher*innen war das Festival auf jeden Fall ein bemerkenswertes Event.
mehr »

Rechtes Rauschen im Blätterwald

Ob Neuerscheinungen, Zusammenlegungen, Relaunches oder altgediente rechte Verlage: Was die Periodika der Neuen Rechten, ihrer Parteien, Organisationen oder auch einflussreicher kleinerer Kreise anbetrifft, lässt sich gerade angesichts des rechtspopulistischen Aufschwungs der letzten etwa 20 Jahre viel Bewegung ausmachen.
mehr »

VG Wort ändert Verteilungsplan

Die Mitgliederversammlung der VG Wort hat in ihrer Mai-Sitzung eine Reform des METIS-Systems mit der erforderlichen Mehrheit in allen Berufsgruppen beschlossen. Sie führt zu wichtigen Änderungen im Verteilungsplan der VG Wort. Vertreter der dju in ver.di haben das vorliegende Papier in Teilen kritisiert und versucht, es noch mit Änderungsanträgen zu beeinflussen – ohne Erfolg.
mehr »