Strukturwandel im Kino durch Digitalisierung – Geldregen erwartet
Auf dem Frankfurter Medienmittwoch im September wurde ausgesprochen, was Zuschauer vom digitalen Kino erwarten dürfen: Bessere Bilder und höhere Preise. Einen Geldregen hingegen erwartet die Industrie.
„Die gesamte Hierarchie und Power-Struktur der großen Verleiher und Studios, die wir heute kennen, wird in diesem Prozess neu aufgemischt werden“, so das Urteil Wim Wenders auf dem Medienforum 2000 über die Digitalisierung der Wertschöpfungskette der Filmindustrie, nachdem er im Winter 1999 den Prototyp einer digitalen Filmkamera getestet hatte. Seither ist vom Durchbruch der Digitalisierung zwar nichts zu sehen, aber vorangekommen ist sie doch: Global ist die Zahl der mit digitalen Projektoren ausgerüsteten Kinos auf aktuell 94 gestiegen, davon zwei in der BRD und 73 in den USA. 1999 gab es weltweit zwei Leinwände. Und die Zahl digitaler Filmstarts soll sich auf 20 bis 30 in 2002 belaufen.
Die Zahlen stammen aus dem Referat von Axel Wenderoth, Leiter Business Development beim Postproduktionsspezialisten „Das Werk“. Außer ihm waren mit Kino-Geschäftsführer Harald Metz, dem Verleihchef Deutschland der Twentieth Century Fox Mychael Berg und Christiane von Wahlert, der Geschäftsführerin von „SPIO – Spitzenorganisation der Filmwirtschaft“ Vertreter der wichtigsten Sektoren der Filmindustrie an der Diskussion „Digitales Kino – Was bringt es, wem nutzt es und wer zahlt die Rechnung?“ beteiligt.
Wenderoth eröffnete seinen Vortrag mit einem Zitat aus der FAZ, demzufolge Digitalisierung an der erzählerischen Seite des Kinos nichts zu ändern vermöge: „Sie spart Geld, das ist alles.“ Und so stand denn auch das wichtigste Potenzial digitalen Kinos im Fokus des Abends: Kostensenkungen. Für Herstellung, Transport, Lagerung sowie Entsorgung von Film-Kopien werden in den USA etwa 1,5 Mrd. USD jährlich ausgegeben, in der BRD beläuft sich diese Summe auf rund 90 Mio. EUR. Das Herstellen der 500 Film-Kopien, die durchschnittlich für einen deutschlandweiten Start benötigt werden, kostet rund 600 000 EUR pro Film. Durch eine geschlossene digitale Produktionskette könnten bis zu 90 Prozent der Materialkosten eines Filmes eingespart werden – das Kopierwerk vollständig, die Kosten für den Transport in die Kinos zu einem sehr großen Teil, denn der würde digital per Datenleitung oder Satellit erfolgen.
Kostspielige Umrüstung
Weitere Summen lassen sich bei der TV-Verwertung, auf DVD oder im Video-Abruf per Internet sparen, wenn ein Film als digitale Master-Kopie vorliegt. Ohne Zweifel wäre dies ein Kostenvorteil auch für Produktionen abseits des Mainstreams.
Allerdings muss zum Geldsparen zunächst investiert werden: Derzeit kostet ein digitaler Projektor 150 bis 200 000 EUR – die Umrüstung aller aktuell 4 800 Leinwände in Deutschland würde also Investitionen von rund 840 Mio. EUR erfordern. Und das, nachdem die deutschen Kinobetreiber im Bau- und Modernisierungsrausch der vergangenen Jahre bereits 2,5 Mrd. EUR investiert haben. Kein Wunder, dass die Durchsetzung digitalen Kinos noch eine Weile auf sich warten lassen wird: Prognosen von Twentieth Century Fox zufolge ist damit in sieben bis zwölf Jahren zu rechnen. Die Marktforscher von Forrester Research erwarten, dass im Jahr 2006 rund ein Drittel des in der Kinobranche erzielten Umsatzes aus dem digitalen Bereich kommt. Aber auch, dass die Ticketpreise dann im Schnitt 17 Prozent höher sind. Und so dürfte die Digitalisierung vor allem Auswirkungen auf die Kinobetreiber haben, die sich neue Erlösquellen mit digitalen Live-Events oder Kongressen und Firmenpräsentationen erschließen sollen. Womit sich Metz als Kinobetreiber anfreunden könnte, was aber zugleich Mychael Berg von der Twentieth Century Fox „gruseln“ lässt. Er führte das Beispiel einer ausgefallenen Vorstellung wegen eines Zahnärzte-Kongresses an und schien sich vor der Entzauberung des Ortes „Kino“ zu fürchten. Um schließlich, wenn auch nicht allzu laut, zuzugeben, dass man zu einem Gemeinschaftsmodell zur Finanzierung der in den Kinos nötigen Investitionen kommen müsse, bei dem „sich die Verleiher finanziell erheblich engagieren müssen.“