Digitale Notizen aus der Provinz

Als Hörfunk-Korrespondent ganz nah an der Grenze

Ein Thema ganz nach seinem Geschmack: Während die Politiker den deutsch-tschechischen Versöhnungsvertrag unterzeichnen, sammelt Nikolaus Neumaier im Grenzland O-Töne: Wie gut sind die nachbarschaftlichen Beziehungen? Wieviele gemischte Ehen gibt es? Wie selbstverständlich ist der kleine Grenzverkehr? Neumaier ist Hörfunk-Korrespondent des Bayerischen Rundfunks in Hof, ganz im Nordosten des Freistaats, geographisch auf der Höhe Prags gelegen. München samt Funkhaus ist weit, 318 Bahnkilometer Richtung Süden.

Als der Korrespondent vor viereinhalb Jahren mit seinen Berichten aus Hof, dem Fichtelgebirge, aus Marktredwitz und aus Tschechien begann, hörte man die Entfernung geradezu – es rauschte und knackte, wenn „unser Mann im Grenzland“ am Telefon war. O-Töne zu senden hatte erst Sinn, nachdem die ersten ISDN-Leitungen standen und eine Übermittlung in ausreichender Qualität erlaubten. Inzwischen setzt Neumaier – ähnlich wie seine anderen fränkischen Korrespondenten-Kollegen – zwischen 40 und 50 Beiträge pro Monat ab – die meisten in einer Länge zwischen einer Minute und 2.40, selten ist einer mit zehn Minuten dabei. Im Vergleich zu seinen Anfängen in Hof sind das etwa doppelt so viele Überspielungen. Neumaier: „Die Sendeplätze gab’s immer schon. Aber erst als es möglich wurde, auf unkomplizierte Weise – also ohne Standleitung – tontechnisch hochwertige Beiträge aus der Provinz zu liefern, kam der Aha-Effekt in den Redaktionen, und die Nachfrage stieg.“

Analog – digital – analog

Während der Rundfunkjournalist Rückschau hält, zeigt er auf die zwei „alten“ analogen Mischpulte, die in seinem Heim-Studio griffbereit neben der digitalen Schnitt- und Sendeanlage („Digas“) stehen. Und sie bleiben stehen, „weil die neue Kiste ausfallen kann und weil ich natürlich manchmal auch alte Zuspielungen verwende.“

Analog – digital – analog – das ist der Weg, den Neumaiers O-Ton-Material derzeit noch zwischen Aufnahme und Sendung macht. Beispiel: Mit konventioneller Technik hat er den Fremdenverkehrschef im Fichtelgebirge zu den Wintersportmöglichkeiten interviewt. Jetzt ist der Kassettenrecorder an den Digas angeschlossen. Der Korrespondent sitzt vor dem Bildschirm und tippt ins Textverarbeitungsprogramm seine Anmoderation. Genau auf Lippenhöhe hängt das Mikrophon über der Tastatur, von einem Tontechniker auf Neumaiers übliche Stimmlage ausgesteuert. Mausklick: Aufnahme. Mausklick: Text abspeichern. Mausklick: Wechsel zur Editierstation. Die O-Töne werden eingespielt und laufen in digitalisierter Form wie eine nie enden wollende rote Gebirgskette mit ihren Höhen und Tiefen über die Mattscheibe. Schnitt per Tastendruck. Und so weiter (siehe auch „M“ 5/96: „Ich muß wissen, wo mein Platz ist. Digitale Hörfunktechnik verändert Berufe; und „M“ 8-9/96 Bericht über das CUTmaster-Schnittsystem ).

Nach einem Kontrolldurchlauf braucht Neumaier nur die Telefonnummer des vereinbarten Tonträgerraums (TM) im Münchner Funkhaus zu wählen und seinen Beitrag zu überspielen. Weil der BR – bis auf wenige Ausnahmen – noch analog sendet, wird dort das Hofer Produkt erneut umgewandelt.

Kinderkrankheiten der Digitaltechnik

Mit den Kinderkrankheiten der Digitaltechnik haben alle zu kämpfen, in oder außerhalb des Senders. Auf Reporterbedürfnisse, so Neumaiers Erfahrung, ist die Standard-Software ohnedies nicht zugeschnitten. Beispiele: Den schnellen Wechsel zwischen Textverarbeitung und Editierstation sieht das Computerprogramm eigentlich nicht vor. In Hof hat ein „Tüftler“ nachgeholfen. Kompliziert und umständlich wird es, wenn der Korrespondent aus mehreren bereits produzierten Beiträgen einzelne O-Ton-Passagen herausholen will, um sie neu zu mischen. Eine Speichermöglichkeit auf Diskette fehlt bislang ebenfalls, das Aufnahmevolumen der Festplatte ist schnell erschöpft. Schon zweimal hat Neumaier in dem einen Jahr Digas-Nutzung „alte“ Beiträge gelöscht, um Platz zu schaffen. All diese Mängel sollen bei der nächsten Software-Generation behoben werden, hat der Hersteller versprochen. Und die Hörfunk-Korrespondenten des BR haben durchgesetzt, daß sie diesmal in den Entwicklungsprozeß einbezogen werden.

Ein paar Vorteile hat die neue Technik für den Hofer BR-Mann heute schon, etwa dann, wenn verschiedene Redaktionen ein Thema in einer jeweils eigenen Variante wollen. Außerdem: „Ich kann den Beitrag bei gleichem Zeitaufwand sauberer putzen als beim Bandschnitt. Das heißt, daß ich alle Ähs der Gesprächspartner herausschneide und feinere Übergänge herstellte.“ Aus einem kurzen aufgenommenen Glockengeläute wird auf einfache Art ein wiederkehrendes Trenn-Element für einen längeren Beitrag. Auch an Experimente mit Musik wagt er sich jetzt ohne tontechnische Hilfe heran: „Das macht Spaß und die Geschichten werden farbiger.“

Gewöhnung an niedrigere Standards

Auf der anderen Seite weiß der Journalist, daß er die Qualität der Arbeit von gelernten Tontechniker/innen nicht erreicht. Bei schnellen aktuellen Beiträgen scheint ihm das gerechtfertigt, „aber ich verstehe auch, wenn die Techniker klagen, denn so gewöhnen sich langsam alle an niedrigere Standards.“ (Siehe auch Seite 19).

Neumaier ist, wie die meisten seiner Korrespondenten-Kollegen, fester Freier beim BR, wird also pro Beitrag bezahlt. „Der Honorarsatz hat sich nicht erhöht, seit wir – erst analog, dann digital – sendefertig produzieren und überspielen.“ Runde 50 Mark extra pro Beitrag hätten die Korrespondenten dafür einfordern sollen, so sieht Neumaier das heute. Und: „Wahrscheinlich waren wir so eine Art Streikbrecher, denn technische Vorleistungen werden bald von allen Freien verlangt.“ Höchste Zeit, meint er, „daß die Gewerkschaften neue Honorarsätze aushandeln, die den Zusatzaufwand berücksichtigen.“ Wer zum Korrespondentennetz des BR zählt, hat gegenüber anderen Freien immerhin den Vorteil, daß der Sender die Anschaffungs- und Wartungskosten für die Geräte plus Mietanteil für das Heimstudio übernimmt.

Neumaier sieht eine neue Herausforderung auf sich und seine fränkischen Kollegen zukommen, was die berufliche Grenzziehung angeht: Schon jetzt liefern sie bei Unfällen und Katastrophen in ihrem Berichtsgebiet nicht nur Töne, sondern auch Video-Bilder. Für ihn ist jetzt schon klar: „Selbst wenn in absehbarer Zeit der Fernsehschnitt einfach und benutzerfreundlich wird – damit will ich keine Zeit vertrödeln, die mir dann für journalistische Arbeit als Hörfunk-Reporter fehlt.“

 

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