… und die Folgen für die Berichterstattung: der Fall Shell/FAZ
Mit einer Unterlassungsklage reagierte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ auf den Vorwurf der „journalistischen Prostitution“. Karl Rössel, Mitarbeiter des Rheinischen Journalistenbüros, hatte diese Kritik im Zusammenhang mit der Berichterstattung eines FAZ-Mitarbeiters über den Ölkonzern Shell in Nigeria geäußert.
Am 28. Mai fand der erste Prozeßtag vor dem Kölner Landgericht statt – mit einer Strafandrohung von 500000 Mark oder einem halben Jahr Ordnungshaft. Richter Wilfried Huthmacher erklärte, daß es im wesentlichen darum ginge, ob der Vorwurf als „Schmähkritik“, so die Anwälte der FAZ, oder als Meinungsäußerung gewertet werden könne.
Rössels Kritik an der FAZ bezog sich auf einen Beitrag des Mitarbeiters Udo Ulfkotte. Der war, wie auch Kollegen der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“, der „Welt“ und der „Süddeutschen Zeitung“ einer Einladung des Shell-Konzerns zu einer Rundreise in Nigeria gefolgt. Sie bestand vor allem aus Flügen mit einem Helikopter über das Land der Ogoni, das Journalisten nur mit Unterstützung von Shell bereisen dürfen. Am 23. 10. 1996 war dann in der FAZ zu lesen: „Wer heute das Delta des Niger-Flusses besucht, reibt sich verwundert die Augen: Auch nach tagelangen Tiefflügen mit dem Hubschrauber sind jene Umweltverschmutzungen, die vor allem dem britisch-niederländischen Shell-Konzern angelastet werden, kaum zu finden.“ Auch wenn die anderen Teilnehmer zu einem ähnlichen Ergebnis kamen, erwähnten sie im Gegensatz zu Ulfkotte zumindeste die Finanzierung ihrer Reise durch Shell und zitierten Informationen der Reiseleitung als solche.
Zu völlig anderen Ergebnissen kamen britische Journalisten, die ohne offizielle Genehmigung und unter erheblichen persönlichen Risiken im Nigerdelta drehten. Die Dokumentationen, die im ZDF und im WDR ausgestrahlt wurden, präsentieren Bilder von Umweltzerstörungen großen Ausmaßes: Öllecks, brennende Pipelines und schwarzverkohlte Felder. Die Beiträge zeigen auch, daß Widerstand der Ogoni gegen die Zerstörung ihres Landes mit Militäraktionen bestraft werden.
Die kostspieligen PR-Offensiven erschienen dem Konzern notwendig, als 1995 die Rolle des Öl-Multis in Nigeria nach der Ermordung des nigerianischen Schriftstellers Ken Saro Wiwa in die Schlagzeilen der Weltöffentlichkeit geraten war. Sogar der Deutsche Bundestag stellte angesichts der Menschenrechtsverletzungen damals einen interfraktionellen Antrag an die Bundesregierung, in dem er sich für ein Importverbot für Erdöl aus Nigeria einsetzte. Immerhin 16 Prozent seines Erdöls bezieht Shell aus Nigeria – Grund genug für die Deutsche Shell AG, Ulfkottes FAZ-Artikel als „Antwort“ auf die wachsende Kritik an Bundestagsabgeordnete zu verschicken. Auch die Londoner Konzernzentrale hausierte mit dem seriösen Ruf der Tageszeitung. Sie zitierte den oben erwähnten Satz aus Ulfkottes Artikel in einem Fernsehfilm mit eigens gedrehten Bildern aus dem Land der Ogoni, den sie internationalen TV-Stationen per Satellit gratis anbot.
Rössel selbst hatte seine Kritik an der Medienstrategie des Konzerns schon häufig und detailliert dargelegt, so in der Hamburger Monatszeitschrift „Konkret“ und in einem Beitrag für den Westdeutschen Rundfunk. Die sind jedoch nicht Gegenstand der Verhandlung – lediglich seine Äußerung nach der öffentlichen Vorführung eines Dokumentarfilms über den ermordeten nigerianischen Schriftsteller Ken Saro Wiwa im November 1996 in Köln. Dort war nach Angaben des Rheinischen Journalistenbüros zwar kein Mitarbeiter der FAZ, aber der Pressesprecher der Deutschen Shell AG, Rainer Winzenried, anwesend und in einen heftigen Wortwechsel mit Karl Rössel verwickelt (als er nach einer Filmvorführung aus dem Publikum heraus einen Platz auf dem Podium beanspruchte, obwohl vorher Shell alle Einladungen zu Veranstaltungen der Ken-Saro-Wiwa-Woche in Köln, auch zu dieser, abgelehnt hatten). Die Tatsache, das Winzenried jetzt als Hauptzeuge und die FAZ als Ankläger auftreten, sei ein weiteres Indiz für die enge Liaison zwischen FAZ und Shell, so das Rheinische Journalistenbüro in einer Erklärung.
Die Anwälte der FAZ bezichtigen Rössel der Absicht, „die Kläger zu diffamieren und ihnen sozusagen jede journalistische Ehre abzusprechen“. Rössel hätte auch behauptet, die FAZ sei von Shell „geschmiert“ worden. „Vom Schmieren war nie die Rede“, so Rössel am ersten Prozeßtag. Richter Huthmacher bot Rössel an, im Sinne einer gütlichen Einigung auch den Vergleich der „journalistischen Prostitution“ zurückzuziehen. Der Kölner Journalist weigerte sich jedoch, diese Erklärung abzugeben. Nach Ansicht Huthmachers scheint mit der gescheiterten Schlichtung der Weg durch die Instanzen vorprogrammiert. Weil die FAZ-Anwälte noch kurz vor Prozeßtermin neue Beweisschriften eingereicht hatten, wird die Verhandlung erst am 2. Juli fortgesetzt.