Selbstkontrolle gibt es massenhaft in Deutschland – allein Google weist über 1,2 Millionen Treffer auf, darunter Webseiten etlicher Vereine und Gremien. Zwar sind die im Bereich Medien nicht in der Überzahl, dafür umso gewichtiger: Ohne sie bliebe nur staatliche Allein-Aufsicht oder gar Zensur – undenkbar in einem äußerst sensiblen Teil demokratischer Gesellschaften. Trotzdem ist die kontrollierte Selbstkontrolle nicht konfliktfrei.
Das Bild könnte uneinheitlicher nicht sein: Der Deutsche Presserat feiert in diesen Tagen sein 50jähriges Jubiläum und der Kultur- und Medienstaatsminister Bernd Neumann spricht von einem „unverzichtbaren Eckstein der Medienlandschaft“. Kritiker werfen jedoch dem demnächst von Bonn nach Berlin umziehenden Selbstkontrollgremium vor, „zahnloser Tiger“ zu sein. Netzwerker entwerfen gar einen eigenen Medienkodex, als ob es keinen Pressekodex des Presserates gäbe, der sich in ständiger Weiterentwicklung bewährt hat.
Was wie ein Einzelfall der streitsüchtigen Pressebranche wirkt, ist nur die Spitze des Eisbergs: Immer wieder geraten die verschiedenen Selbstkontrollgremien in Deutschland (s. Kasten) unter Druck. Da verkündet der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann im September stolz, er starte im Auftrag der Innenministerkonferenz nun ein Projekt für besseren „Jugendschutz bei Killerspielen“. Drohend tönt es aus Hannover, man werde anhand von 90 Computerspielen und ihrer Alterseinstufung „unter anderem die Arbeit der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle überprüfen“. Die wehrt sich und wirft Schünemann vor, durch den Ruf nach stärkerer staatlicher Kontrolle dem eigentlichen Anliegen des Jugendschutzes zu schaden.
Überhaupt ist der Jugendschutz ein beliebtes Streitobjekt. So grassiert derzeit in der ARD die „Wut“. Nicht im eigentlichen Sinne des Wortes, vielmehr ging es Ende September um die Ausstrahlung des gleichnamigen Fernsehfilmes und einer Diskussionsrunde. Die ARD-Intendanten hatten das heiße Eisen handstreichartig von der 20.15-Uhr-Schiene in die Nachtstunden verschoben. ARD-Vorsitzender Thomas Gruber aus Bayern argumentierte mit „Jugendschutz“, der „Wut“-Produzent WDR konterte: „Eine einheitliche Beschlussfassung der Jugendschützer für eine Platzierung des Films um 22.00 Uhr im Ersten hat es nicht gegeben“. Im Übrigen sei dem Projekt eine intensive senderinterne Diskussion um „diesen Grenzfall“ vorausgegangen. Offenbar geht es im „Wut“-Streit weniger um den Schutz von jugendlichen Zuschauern, sondern um gesellschaftspolitischen Realitätssinn, Erziehungsauffassungen und Geschmacksfragen.
Ringen um Jugendschutz
Von diesen Scharmützeln entlang des Weißwurst-Äquators kann auch die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) ein Lied singen. Nicht nur, weil sie in Berlin sitzt und die Jugendschutz-Kontrolleure der Landesmedienanstalten in Gestalt der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) in München. FSF und KJM tragen gar gerichtlich ihre Auseinandersetzungen aus, anstatt in „konstruktiver Kommunikation“ wie FSF-Chef Joachim von Gottberg immer wieder anmahnt, gemeinsam etwas für besseren Jugendschutz zu tun. Doch die „Grundsatzkompetenz“ wollen die Herren an der Isar nicht denen an der Spree überlassen, schallt es trotzig von der KJM zurück. Konkret geht es um Formate wie Schönheitsoperationen im Privat-TV, den Sat.1-Film „Ein einsames Haus am See“ oder die Zeichentrickserie „Popetown“.
Egal ob man die Selbstkontrolleure im Bereich Multimedia, Kino oder Werbung fragt: Sie alle können von ähnlichen Konfliktfällen berichten – sei es die Rechtsunsicherheit bei der Haftung von Suchmaschinenanbietern, der umstrittene Kinofilm „Tal der Wölfe“ aus der Türkei oder die Flut von Beschwerden über einen angeblichen Boom sexistischer Werbung. Im Kern geht es meist um die Balance zwischen Regulierung und Selbstregulierung in sensiblen Bereichen von Medien und Kommunikation. Sensibel deshalb, weil demokratisch verfasste Staaten einerseits Medien- und Meinungsfreiheit wie die Luft zum Atmen brauchen, zugleich aber andere Grundrechte wie Jugendschutz, Unversehrtheit der Persönlichkeit gewahrt werden müssen. Doch wer wacht darüber? Der Staat vorbeugend, dann wäre es im Fall von Presse und Rundfunk eine Art Zensur. Die Medienbesitzer und -macher selbst, dann könnten sie der Versuchung erliegen, den wirtschaftlichen Gewinn in den Vordergrund zu stellen.
Überwogen zunächst staatliche Kontrolle und Regulierung oder völlig freiwillige Branchenkontrolle, hat sich in den letzten 20 Jahren mit der Ausdifferenzierung des Medien- und Kommunikationsangebots der Grundsatz von der kontrollierten Selbstkontrolle immer mehr durchgesetzt. Der 50jährige Presserat kann sich durchaus zugute halten, Vorreiter zu sein, auch wenn die FSK – bekannt durch ihre Altersklassifizierung für Kinofilme – älter ist. In den 70er Jahren kam der Werberat hinzu, dem Privatfernsehstart Mitte der 80er Jahre folgte mit Verzögerung die FSF-Gründung. In den letzten Jahren schossen Selbstregulierungsgremien bei Telefonmehrwertdiensten, Multimedia-Anbietern, Unterhaltungssoftware und anderen fast wie Pilze aus dem Boden.
Anlaufpunkt für jeden Bürger
2003 wurden mit dem Jugendschutz-Medienstaatsvertrag die verschiedenen deutschen Gesetze und Verordnungen auf neuer Basis zusammengeführt. Demnach setzen staatliche oder öffentlich-rechtliche Vertreter und ihre Gremien, also etwa die 15 für den privaten Rundfunk zuständigen Landesmedienanstalten oder die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien den Rahmen für die Selbstregulierung der jeweiligen Branche. Die entsprechenden Gremien, also etwa die FSF oder FSM, werden nach bestimmten Kriterien von den Kontrolleuren – im konkreten Fall der KJM – als Selbstregulierung anerkannt und agieren dann eigenständig. An alle Räte und Gremien kann sich jeder Bürger mit einer Beschwerde wenden.
Trotzdem gibt es Unterschiede: So agieren Presse- und Werberat genau so wie der Deutsche Rat für PR völlig eigenständig, während die FSF und FSM eine KJM-Anerkennung benötigten sowie die FSK und die USK sogar eine Mischung aus Firmen/Verbänden der Filmwirtschaft bzw. Gamesbranche und staatlichen Jugendschutzvertretern bilden. Ein besonderer Fall sind die öffentlich-rechtlichen Rundfunkräte, in denen Vertreter gesellschaftlich relevanter Gruppen eine Art interner Selbstkontrolle ausüben – mit unterschiedlichem Erfolg, wie Schleichwerbeskandale und Sportverträge jüngst zeigten. Durch die EU-Erweiterung und die Globalisierung steht die freiwillige oder kontrollierte Selbstkontrolle künftig vor nicht geringen Problemen: Der Druck zur internationalen Harmonisierung der Regulierung wächst. Doch durch kulturelle und nationale Unterschiede sowie verschiedene Traditionen ist das nicht so leicht zu bewerkstelligen – erst recht nicht, wenn die Balance zwischen Kontrolle und Selbstregulierung gewahrt werden soll.
Selbstkontroll-Gremien
Medien / Kommunikation in Deutschland
- Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) www.fsk.de
- Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) www.fsf.de
- Deutscher Presserat www.presserat.de
- Deutscher Werberat www.werberat.de
- Deutscher Rat für Public Relation (DRPR) www.drpr-online.de
- Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter www.fsm.de
- Freiwillige Selbstkontrolle Telefonmehrwertdienste www.fst-ev.org
- Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle www.usk.de
- DT-Control (elektr. Datenträger im Pressevertrieb) www.dt-control.de
Literaturhinweis: Der Verein zur Förderung der publizistischen Selbstkontrolle e.V. (FPS / www.publizistische-selbstkontrolle.de) hat im Dezember 2005 den Sammelband „Handbuch Medien-Selbstkontrolle“ im Verlag für Sozialwissenschaften herausgebracht:
ISBN 3-531-14821-4.