Whistleblower genießen in Deutschland keinen speziellen Schutz. Bestehende Rechtsregeln werden gemeinhin gegen sie ausgelegt. Darüber sprach M mit Guido Strack, Mitbegründer des Whistleblower-Netzwerkes.
M | Whistleblowing ist ein Begriff, der vor allem durch die Enthüllungsplattform Wikileaks auch die deutsche Debatte befeuert hat. Wie steht es aber um Whistleblower in Deutschland?
Guido Strack | Bei uns läuft das vielleicht nicht so spektakulär ab, wie bei den Fällen Manning und Snowden. Aus dem militärisch-industriellen Komplex sind mir zumindest keine aktuellen Beispiele bekannt. Aber in kleineren, dennoch aber bedeutenden Bereichen gibt es durchaus auch in Deutschland Whistleblower. Bekannt wurde hier ja vor allem die Altenpflegerin Brigitte Heinisch, die in Berlin in einem Pflegeheim des Vivantes-Konzerns gearbeitet hat. Sie hatte dort auf Missstände aufmerksam gemacht, eine Strafanzeige gestellt und wurde daraufhin gekündigt. Sie musste bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) prozessieren, um zu ihrem Recht zu kommen.
Zuvor war sie vor deutschen Arbeitsgerichtsinstanzen gescheitert, bis sich der EGMR gegen die Entscheide der deutschen Justiz aussprach und damit eine sogenannte Restitutionsklage ermöglichte. Am Ende stand ein Vergleich zwischen Heinisch und Vivantes. Hat es seither Ansätze gegeben, die Rechtsbestimmungen in Deutschland zu ändern?
Es gibt im deutschen Recht nach wie vor keine speziellen Regelungen zum Schutz von Whistleblowern. Das heißt, die allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen finden Anwendung. Das Problem dabei ist, dass die Rechtsprechung sehr stark auf den Paragraphen 241, Absatz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) eingeht, also die gegenseitige Pflicht zur Rücksichtsnahme. Diese Pflicht wird von deutschen Gerichten bisher aber vor allem zu Lasten des Arbeitnehmers ausgelegt. Der Paragraph 612a BGB wird weniger berücksichtigt. Demnach darf man nicht gemaßregelt werden, wenn man seine Rechte wahrnimmt.
Sie haben 2006 gemeinsam mit weiteren Aktivisten den Verein Whistleblower-Netzwerk gegründet. Was erhoffen sie sich von zivilgesellschaftlicher Seite verändern zu können?
Wir wollen dazu beitragen, dass das Thema Whistleblowing in Deutschland bekannter wird. Wir wollen, dass die Menschen erkennen, wie wichtig es ist Whistleblowern zuzuhören, ihrem Vorbringen nachzugehen und sie nicht als Nestbeschmutzer zu verteufeln. Insoweit brauchen wir einen Kulturwandel und auch mehr Solidarität von Kolleginnen und Kollegen vor Ort. Außerdem setzen wir uns für gesetzliche Regelungen zum Schutz von Whistleblowern ein und versuchen Betroffenen im Einzelfall Hilfestellung zu geben, soweit dies mit unseren bescheidenen Mitteln möglich ist.
Welche Bilanz ziehen Sie nach acht Jahren CDU-geführter Bundesregierung, zunächst im Bündnis mit der SPD und dann in der schwarz-gelben Koalition?
Die Große Koalition hatte zunächst noch einen Gesetzesentwurf zum besseren Schutz von Whistleblowern auf den Weg gebracht. Diese Initiative ging damals von Horst Seehofer aus, der sich nach dem Gammelfleischskandal als Verbraucherschutzminister profilieren wollte. Er sagte damals – völlig zu Recht –, dass die Mitarbeiter von fleischverarbeitenden Betrieben geschützt werden müssen, wenn sie auf solche eklatanten Missstände hinweisen. Daraufhin wurde von den drei Bundesministerien für Justiz, für Arbeit und Soziales sowie für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ein entsprechender Gesetzesentwurf ausgearbeitet. Dann folgte die Gegenoffensive von Arbeitgeberverbänden. Sie haben mit Briefen an Angela Merkel und Volker Kauder erreicht, dass die CDU/CSU das Vorhaben fallengelassen hat. Dazu hatte vor allem auch der Wirtschaftsflügel der Unionsbundestagsfraktion beigetragen. Nach seinem Wechsel nach Bayern Ende Oktober 2008 verfolgte Seehofer das Thema dann nicht mehr weiter. Die SPD drängte zunächst noch darauf, einen besseren Schutz für Whistleblower durchzusetzen, ließ das dann aber auch wieder fallen. Der Gesetzesentwurf aus dem Jahr 2008 ist daher nie umgesetzt worden. Dabei hätte er auch keine weltbewegenden Verbesserungen gebracht, zumindest aber eine Kodifikation.
Und in der letzten Legislaturperiode?
Da gab es zwei Gesetzesentwürfe, von der SPD und den Grünen. Von der Linksfraktion kam ein Initiativantrag. Davon abgesehen ist seither in Deutschland nichts mehr passiert, denn diese Vorschläge wurden von Schwarz-Gelb im Bundestag rundweg abgelehnt. Es gab indes noch einige Urteile, vor allem das erwähnte Heinisch-Urteil, das zumindest den Begründungszwang bei Entlassungen wegen Whistleblowing erhöht hat. Letztlich aber ist völlig unklar, ob und wann ein Whistleblower in Deutschland gegen eine Kündigung geschützt ist, die Gerichte entscheiden mal so und mal so. Das muss man klar feststellen: Derzeit kann man in Deutschland niemandem ruhigen Gewissens empfehlen, auf Missstände am Arbeitsplatz hinzuweisen. Das gilt selbst dann, wenn sich diese Person an die Behörden wendet. Richtet sie sich unmittelbar oder im Laufe eines Verfahrens an die Öffentlichkeit, sind die Chancen den Job zu behalten ohnehin gleich Null.
Welche Auswirkungen erwarten Sie denn nun von den international prominenten Fällen und Urteilen – Snowden und Manning – in Deutschland?
Was die Bekanntheit des Begriffs angeht haben diese Fälle die Diskussion in Deutschland sicherlich befördert. Allerdings geht es hier zu Lande bisher ja meist nicht um strafrechtliche Verfolgung von Whistleblowern aus dem Sicherheitsbereich. Erst in solch einem Fall müsste auch von der deutschen Justiz erörtert werden, wie weit nationale Sicherheit gehen muss. Auch die Vorstöße der Opposition zum Thema, die teilweise nach dem Fall Manning kamen, haben für diesen Bereich bislang keine konkreten Regelungsvorschläge gemacht.
Inwiefern ist das ein Problem?
Es ist insofern ein Problem, als dass die von Ihnen genannten Fälle ja durchaus zu erheblichen Reaktionen geführt haben. Im Fall Assange hat Schweden in einem normalen strafrechtlichen Verfahren Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um zum Zwecke einer Befragung eines Verdächtigen habhaft zu werden. Denn mehr ist Julian Assange nicht, solange keine Anklage gegen ihn erhoben wird. Dem bolivianischen Präsidenten Evo Morales wurde Anfang Juli von mehreren EU-Staaten der Überflug verweigert, weil der Verdacht bestand, dass er Herrn Snowden an Bord haben könnte. David Miranda, der Lebensgefährte des Snowden-Vertrauten und Journalisten der britischen Tageszeitung Guardian, Glenn Greenwald, wurde in Großbritannien stundenlang festgehalten und verhört. All das zeigt durchaus, eine gewisse Komplizenschaft einiger EU-Staaten gegenüber den USA im repressiven Umgang mit Whistleblowern. Und das zeigt, dass uns das Thema auch angeht.
Die von Ihnen angeführten Beispiele beschreiben in erster Linie die, wenn auch konzertierte, Politik von EU-Mitgliedsstaaten. Wie aber ist der Umgang von EU-Institutionen mit dem Thema Whistleblowing zu beurteilen?
Die EU-Politik zielt in Ansätzen auf einen besseren Schutz von Whistleblowern ab. Das hat teilweise, etwa durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, auch in deutsches Recht Eingang gefunden. Nach EU-Recht darf eine Person, die als Zeuge in einem Diskriminierungsfall auftritt, seither nicht selbst Opfer von Diskriminierung werden. Auch im finanzpolitischen Bereich gibt es Ansätze. Aber es gibt eben keinen Entwurf für eine EU-weite, umfassende Regelung zum Schutz von Whistleblowern. Etwas aktiver ist der Europarat. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates hat vor einigen Jahren mit einer Resolution gefordert, dass die Mitgliedsstaaten einen besseren Schutz von Whistleblowern garantieren. Diese Initiative ist inzwischen an den zuständigen Ministerrat übergeben worden. Von dieser Seite wird aber kein Gesetz kommen, sondern nur eine rechtlich nicht verbindliche Empfehlung. Im Frühjahr gab es in diesem Zusammenhang eine Expertenkonferenz in Straßburg und nun warten wir auf ein Resultat.
Auf Europaratsebene gibt es zudem zwei Konventionen gegen Korruption, die jeweils auch das Thema Whistleblowing ansprechen und bessere Schutzbestimmungen fordern. Auch das ist rechtlich aber nicht verbindlich. Hinzu kommt, dass Deutschland diese beiden Konventionen bislang nicht ratifiziert hat. Der Grund dafür ist, dass man offenbar die Sanktionierung von Bestechlichkeit bei Bundestagsabgeordneten vermeiden will. Und dies, obgleich auch die OECD die Untätigkeit bereits gerügt hat.
Und schließlich ist die Konvention 158 der Internationalen Arbeitsorganisation über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber, die die Kündigung eines Whistleblowers wegen einer Beschwerde bei einer Behörde verbietet, etwa in Frankreich geltendes Recht, in Deutschland aber nicht.
Zum Abschluss eine praktische Frage, die sich wohl viele Kolleginnen und Kollegen stellen: Wie übersetzen Sie das Wort „Whistleblowing“ eigentlich?
Ehrlich gesagt haben wir keine gute Übersetzung gefunden, deswegen nennen wir uns ja Whistleblower-Netzwerk. Bei unserer Gründung 2006 haben wir uns für eine Übernahme des Begriffes aus dem Englischen entschieden, weil er so vielschichtig ist. Auf Deutsch kann man sonst Hinweisgeber sagen, oder Alarmschlagender, was nach meinem Geschmack beides etwas steif wirkt. Jene die es mit dem Whistleblower böse meinen, sprechen auch gerne vom Nestbeschmutzer oder Denunzianten.