Die Filmbranche ist in Euphorie: Produzenten wie auch Studios und Technikdienstleister loben einhellig und öffentlich den Minister für das neue Produktionskostenerstattungsmodell. Das sieht ab 2007 für drei Jahre vor, jährlich 60 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen, die bei der Kinofilmherstellung in Deutschland unter bestimmten Kriterien eingesetzt werden können. Ein Gespräch mit Bernd Neumann (CDU), Staatsminister für Kultur und Medien, über Erfolge und Defizite in der deutschen Filmproduktion.
M | Der deutsche Kinofilm boomt im In- und Ausland. Wozu brauchen wir einen zusätzlichen Anreiz wie das Produktionskostenerstattungsmodell – immerhin 180 Mio Euro Steuergelder, die auch nicht wie bei Darlehen zurückfließen?
BERND NEUMANN | Ich stimme Ihnen zu, dass der hohe Marktanteil des deutschen Films in 2006 Grund zur Freude ist. Es gibt aber drei gute Gründe, warum wir das Produktionskostenerstattungsmodell brauchen:
Es geht erstens darum, im internationalen Wettbewerb der Produktionsstandorte überhaupt mithalten zu können. Mittlerweile haben alle größeren Filmländer in Europa und darüber hinaus ein Anreizmodell für die Filmproduktion oder planen ein solches. Wenn wir verhindern wollen, dass sowohl deutsche als auch internationale Koproduktionen dorthin abwandern, müssen wir handeln und eigene Anreize setzen.
Wir müssen zweitens unsere Produzenten stärken. Trotz des guten deutschen Marktanteils im Jahr 2006 darf man nicht übersehen, dass dieser Marktanteil sich auf eine kleine Zahl von Blockbustern konzentriert. Für den Großteil der deutschen Filme gilt aber nach wie vor, dass sie ein deutlich höheres Budget benötigen, um mit nationalen und internationalen Produktionen mithalten zu können und auch künftig erfolgreich zu sein. Das lässt sich nur durch mehr internationale Koproduktionen und eine bessere Eigenkapitalausstattung der Produzenten erreichen. Hierzu dient das Produktionskostenerstattungsmodell.
Der dritte Grund ist: Eine nachhaltige Film- und Standortpolitik kann nicht nur die Produzenten im Fokus haben, sondern muss auch die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Studios und filmtechnischen Betriebe sichern. Mit den öffentlichen Mitteln für unser neues Modell sind daher grundsätzlich nur die Produktionskosten erstattungsfähig, die auch tatsächlich in Deutschland ausgegeben wurden
M | Schon bisher fördert Ihr Ministerium den deutschen Film nicht unerheblich – ihr 1 Milliarde-Etat für 2006 weist fast 41 Mio. Euro für Film aus. Was fördern Sie da konkret und bleibt dieser Budgetposten in den kommenden Jahren in der Höhe erhalten?
NEUMANN | Im Etatentwurf 2007 sind es sogar fast 86,5 Mio. Euro. Und hierbei ist der Zuschuss für die Filmfestspiele Berlin von über 6 Mio. Euro noch nicht mal mit eingerechnet. Im Wesentlichen sind es natürlich die 60 Mio. Euro für das Produktionskostenerstattungsmodell, deren Bereitstellung durch die Bundesregierung eine enorme Förderung der deutschen Filmbranche darstellt. Zudem sind rund 26,5 Mio. Euro für die originären Filmförderungsmaßnahmen meines Hauses eingeplant.
Hierzu zählt einerseits die Förderung der Stiftung Deutsche Kinemathek in Berlin und des Deutschen Filminstitutes in Frankfurt am Main, um das nationale Filmerbe zu erhalten und nutzbar zu machen. Andererseits gehört beispielsweise auch die Förderung von German Films, der Außenvertretung des deutschen Films, dazu, mit deren Hilfe gerade in letzter Zeit viele deutsche Produktionen sehr erfolgreich im Ausland vermarktet werden konnten. Und es sind in meinem Etat ca. 12,5 Mio. Euro für die kulturelle Filmförderung des Bundes vorgesehen. Gerade jetzt, wo es gelungen ist, mit dem Produktionskostenerstattungsmodell die Rahmenbedingungen für die deutsche Filmwirtschaft zu verbessern, ist die kulturelle Filmförderung für den deutschen Film im In- und Ausland für uns als Kulturnation besonders wichtig.
Durch die Preise und Förderungen, allen voran der Deutsche Filmpreis – aber auch der Deutsche Kurzfilm- oder Kinoprogrammpreis – werden die Filme in der Öffentlichkeit wahrgenommen und Anreize für die Filmschaffenden gegeben, sich für Filme mit künstlerischem Anspruch einzusetzen.
M | Neben Lob für das neue Fördermodell gibt es auch Kritik – so fordert unter anderem der Bundesfilmverband BFV in ver.di eine Tarifbindung der bezuschussten Produktionsfirmen. Warum wird die nicht eingeführt, um Lohndumping und Billigjobberei im Filmbereich einzudämmen?
NEUMANN | Wir haben diese Frage diskutiert. Letztendlich haben wir uns aber entschieden, nur solche Kriterien zur Bewilligungsvoraussetzung zu machen, die von der Filmförderanstalt (FFA) auch mit vertretbarem Aufwand nachgeprüft werden können. Ob die Produktionsunternehmen Tarifverträge einhalten, kann die FFA vor dem Hintergrund, dass in der Branche überwiegend mit Pauschalgagen gearbeitet wird, letztlich aber kaum überprüfen. Eine solche Bedingung würde sich voraussichtlich auch als Hindernis dafür erweisen, internationale Koproduktionen ins Land zu holen. In Abwägung dieser Umstände haben wir darauf verzichtet, die Tarifbindung zur Fördervoraussetzung zu machen.
M | Generell beklagt die deutsche Produzentenbranche, dass sie im Vergleich zu den USA oder anderen Ländern ziemlich schwach und rechtlos dasteht. Wie könnte das mit Ihrer Hilfe verändert und wie könnten wir attraktiver für internationale Koproduktionen werden?
NEUMANN | In jedem Fall stärkt das Produktionskostenerstattungsmodell die deutschen Produzenten auch finanziell und zwar in mehrfacher Hinsicht. Zum einen erhalten sie einen Zuschuss zwischen 16 und 20 Prozent auf die in Deutschland ausgegebenen Produktionskosten. Damit erleichtern wir die Finanzierung der Produktionskosten und ermöglichen höhere Produktionsbudgets. Wir machen die deutschen Produzenten zugleich als Koproduktionspartner für internationale Filmprojekte attraktiver, da die internationalen Partner mittelbar von den reduzierten deutschen Produktionskosten profitieren. Und schließlich bietet der Zuschuss deutschen Produzenten eine deutlich bessere Ausgangsbasis, um eine Zwischenfinanzierung durch private Kreditinstitute zu erlangen.
Was die Attraktivität deutscher Produzenten für internationale Koproduktionen anbetrifft, so könnten wir sicher noch einen Schritt weitergehen und sie durch die Lösung der sogenannten Betriebsstättenproblematik (Verrrechnungsverbot für Ausgaben im Ausland mit inländischen Einnahmen bei der Besteuerung internationaler Koproduktionen. d.red.) im Medienerlass steigern. Dafür kämpfe ich sowohl bei den Ländern als auch beim Bundesfinanzminister – es ist aus steuerrechtlichen Gründen ein sehr schwieriges Unterfangen.
M | Warum wird in Deutschland nur der Kinofilm so stark gefördert, immerhin gibt es kinotaugliche TV-Event-Projekte renommierter Produzenten wie teamWorx mit Kulturwert?
NEUMANN | Wir haben bei der Entwicklung des neuen Modells diskutiert, ob wir große TV-Event-Produktionen einbeziehen wollen. Ich bin aber zu dem Schluss gekommen, dass dies bei einem beschränkten Budget von 60 Mio. Euro pro Jahr nicht sinnvoll ist. Wir müssen uns auf das Wesentliche konzentrieren. Der höhere Finanzierungsbedarf und das höhere Risiko liegen nun einmal im Kino- und nicht im TV-Filmbereich. Außerdem ist der Kinofilm ein besonderes ästhetisches Kulturgut, welches wir schützen und fördern wollen.
M | International machen die Kinoerlöse nur noch 40 Prozent bei der Refinanzierung eines Filmes aus – der „Rest“ kommt aus anderen Quellen wie Video / DVD, TV-Ausstrahlung, Merchandising und neuerdings Games bzw. mobile Entertainment. Ist die deutsche Kinofilmförderung angesichts dieser Konvergenz nicht Welten von einer modernen Form entfernt und wie kann diese – etwa durch ein neues Filmfördergesetz (FFG) – erreicht werden?
NEUMANN | Nein, die Förderung des Kinofilms entspricht den aktuellen Anforderungen. Lassen Sie mich zunächst eines festhalten: Ausgangs-, Dreh- und Angelpunkt ist die Produktion eines erfolgreichen Films und seine Auswertung im Kino. Das wird unabhängig vom Prozentsatz, den die Kinoerlöse zur Refinanzierung eines Films beitragen, auch so bleiben. Alle Marketingmaßnahmen zugunsten der restlichen Glieder der Verwertungskette sind von einer erfolgreichen Kinofilmauswertung abhängig. Gleichwohl werden die Auswertungsmöglichkeiten eines Films tendenziell vielfältiger werden.
Dieser Tatsache trägt zumindest teilweise das heutige FFG bereits Rechnung. So werden bereits jetzt die Video- und DVD-Programmanbieter über eine gesetzliche Abgabe an der Förderung nach dem FFG beteiligt. Die Fernseh-Veranstalter sind über freiwillige Beiträge ebenfalls schon heute mit dabei. Über eine Einbeziehung weiterer Auswertungs-Genres wie z. B. dem Genre Spiele werden wir uns im Rahmen der Novelle des FFG zu unterhalten haben.
M | Auch die föderale deutsche Filmförderstruktur mit zum Teil absurdem Dreh-Tourismus gilt als nicht mehr zeitgemäß und Erfolgsbremse im Vergleich zu Zentralstaaten und Kulturnationen wie Frankreich. Was kann ein Bundeskulturminister tun, um die Kräfte national und effektiv zu bündeln?
NEUMANN | Zunächst einmal möchte ich unterstreichen, dass auch Deutschland gerade wegen seiner föderalen Tradition ebenso wie Frankreich eine Kulturnation ist. Ich halte es auch nicht für richtig, dass, wie Ihre Frage impliziert, Zentralstaaten grundsätzlich besser gerüstet sind, um ein zeitgemäßes Filmfördersystem zu betreiben, als föderal organisierte Staaten.
Die Förderungen der Länder und des Bundes ergänzen sich durch unterschiedliche Zielrichtungen und Schwerpunkte durchaus gegenseitig, ohne dass es einer „nationalen Bündelung“ bedarf, die von den Ländern als Eingriff in ihre Kulturhoheit verstanden werden könnten. Die Länder fördern schwerpunktmäßig die Produktion unter Wirtschafts- und Standortgesichtspunkten. Ein weiterer Schwerpunkt der Filmpolitik der Länder liegt aufgrund ihrer Zuständigkeit für Kultur- und Bildungsfragen im Bereich der filmischen Aus- und Fortbildung; es gibt vielfältige filmrelevante Ausbildungsstätten wie Filmhochschulen, Akademien und Universitäten.
Ziel der Filmpolitik des Bundes ist die Stärkung des deutschen Films als Kultur- und Wirtschaftsgut im In- und Ausland. Sie gewährleistet die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen und richtet sich darauf, die ökonomische Leistungsfähigkeit der deutschen Filmwirtschaft zu verbessern sowie die künstlerische Qualität des deutschen Films zu fördern.
Bund und Länder kooperieren in verschiedenen Gremien miteinander: So über die aus Vertretern der Landesregierungen bestehende „Länderkoordinierung Film“, wo der Bund Gaststatus genießt, oder über informelle Treffen der Filmfördereinrichtungen von Bund und Ländern, die sich mit gemeinsamen Fragen der Förderpraxis beschäftigten. Eine Vielzahl weiterer bi- und multilateraler Arbeitskontakte zwischen Bund und Ländern kommen hinzu. Eine solche koordinierte Zusammenarbeit von zentral- und föderal organisierter Förderung ist zeitgemäß.
M | Allein mit Förderung selbst in Millionenhöhe ist das Hochrisiko-Geschäft Film nicht zu stemmen, es braucht Privatkapital, das in Form von Film- / Medienfonds in Deutschland steuerlich ausgebremst wurde. Welche intelligenten Lösungen sind für Sie denkbar, um wieder Anlegergeld in vielfacher Höhe des neuen staatlichen Fonds für den hiesigen Film zu erschließen?
NEUMANN | Private Investoren – einschließlich der nach wie vor existierenden Medienfonds – werden mehr in den deutschen Kinofilm investieren, wenn die Filme erfolgsträchtiger sind. Der Erfolg hängt in der Regel auch – wenngleich nicht nur – mit der Höhe des verfügbaren Produktionsbudgets zusammen. Hierzu leistet das Produktionskostenerstattungsmodell einen erheblichen Beitrag. Wir werden im Blick behalten, wie das Modell greift und welche Reaktionen es auch auf dem privaten Kapitalmarkt hervorruft.
M | In all diesen, wie auch anderen Feldern, kann der Kulturstaatsminister nicht allein entscheiden, sondern muss mit anderen Ministerien kooperieren. Wofür setzen Sie sich zum Beispiel bei der Urheberrechtsnovelle und der Reform von Arbeits-/Sozialgesetzgebung für Filmschaffende ein?
NEUMANN | Mit dem Zweiten Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft – dem sog. Korb 2 – soll der Schutz geistigen Eigentums den Anforderungen der Informationsgesellschaft angepasst werden. Der Bundesregierung geht es um einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen aller Beteiligten – der Urheber und ausübenden Künstler, der Verwerter, der Geräteindustrie, der Verbraucher und der Wissenschaft. Für die Urheber ist vor allem wichtig, dass die Privatkopie zulässig und verbunden mit dem Pauschalabgabesystem erhalten bleibt. Ich begrüße auch, dass künftig die Verfügung über Rechte zur Verwertung in unbekannten Nutzungsarten zulässig sein wird. Dies erleichtert es, vorhandene Archive auszuwerten, und räumt in Zukunft allen Beteiligten mehr Handlungs- und Verhandlungsspielraum ein. Dabei wurde die besondere Situation der Urheber durch Widerspruchsrechte und den Anspruch auf gesonderte Vergütung berücksichtigt.
Insgesamt betont der Gesetzentwurf den Wert der kreativen Arbeit, gerade im digitalen Umfeld. Das ist mir wichtig. Ich bin deshalb froh, dass es mir gelungen ist, die Bagatellklausel zu verhindern, die illegale Nutzungen urheberrechtlicher Werke von der Strafbarkeit ausgenommen hätte, solange diese „in geringem Umfang“ erfolgt wären. Diese Klausel hätte durch die Verharmlosung illegalen Kopierens ein verheerendes Signal gegen die Interessen der Urheber gesetzt. Ich bin der Auffassung, dass die Höhe der Pauschalabgabe nicht an den Gerätepreis gekoppelt werden darf. Das wird im Moment im Bundestag noch diskutiert. Im Übrigen ist die vorgesehene Höhe der Abgabe unangemessen gering.
Im Bereich von Arbeits- / Sozialgesetzgebung setze ich mich dafür ein, dass auch Kurzzeitbeschäftigte im Film- und Kulturbereich wieder die grundsätzliche Möglichkeit erhalten, einen Anspruch auf Arbeitslosengeld zu erwerben. Dies ist schwieriger geworden, seit durch die Hartz-Reformen die Rahmenfrist für die einjährige Vorversicherungszeit für abhängig Beschäftigte von drei auf zwei Jahre verkürzt worden ist.
Interview von Holger Wenk
Produktionserstattungsmodell
Filmproduzenten in Deutschland können ab 1. 1. 2007 einen Zuschuss zwischen 16 und 20 Prozent der in Deutschland anfallenden Produktionskosten erhalten, wenn:
- ihr Film für eine Kinoauswertung (mindestens vier bis 30 Kopien) vorgesehen ist
- Gesamtherstellungskosten von mindestens 1 Mio Euro (Spielfilm), 200.000 Euro (Dokumentarfilm) oder 3 Mio Euro (Animationsfilm) entstehen
- mindestens 25 Prozent der Gesamtkosten in Deutschland ausgegeben werden (ab 20 Mio Euro Budget 20 Prozent oder bei größeren Projekten mindestens 15 Mio Euro)
- andere Fördermittel nur bis zu 50 bzw. 80 Prozent des Budgets ausmachen
- der Produzent seinen Sitz oder eine Niederlassung in Deutschland hat und bereits einen Kinofilm in den letzten fünf Jahren in Europa herausgebracht hat (Ausnahme: bei Erstlingswerken reicht eine andere Förderzusage anderer Gremien)
- bei internationalen Koproduktionen der deutsche Partner nicht nur (Ko-)Finanzier ist
- das Projekt durch eine bestimmte Punktezahl in einem „Eigenschaftstest“ seinen deutschen bzw. europäischen Charakter nachweist (kultureller Inhalt, kreative Talente und Herstellung)
- die maximale Erstattungssumme 4 Mio Euro nicht überschreitet (Ausnahme: bis zu 10 Mio Euro bei 35 Prozent Herstellungskosten in Deutschland)
- Zusagen über mindestens 75 Prozent der Gesamtherstellungskosten nachgewiesen werden
- Anträge zwischen dem 1.1. 2007 und dem 30.6.2009 bei der Filmförderanstalt (FFA) gestellt werden