Thomas Winzberg ist gerne ein engagierter Gewerkschafter
Nein, eine Erklärung hat er nicht dafür, warum ausgerechnet Filmvorführer, manchmal als Sonderlinge betrachtet, so besonders häufig sozial und gewerkschaftlich engagiert sind. Filmvorführer Thomas Winzberg, alles andere als ein Sonderling, sondern auf bescheidene Art freundlich zugewandt und angemessen selbstbewußt, erzählt von diesem Phänomen, weil er sich darüber freut und ohnehin findet, dass Gewerkschaftsarbeit Freude macht.
Wo Jammern über zu viele und zu lange Sitzungen, beschwerliche Reisen und anstrengende Kollegen zum guten Ton gehören, ist der gebürtige Duisburger eine gelassene Ausnahme. Dabei hätte der 40jährige allen Grund, etwas weniger Ruhe auszustrahlen: Er arbeitet als Filmvorführer in einem Duisburger Kino, wo er nicht freigestellter Betriebsratsvorsitzender für 65 Kolleginnen und Kollegen ist, zudem vertritt er als Gesamtbetriebsratsvorsitzender auf deutscher und europäischer Ebene bei United Cinema International (UCI), dem größten europäischen Kinokonzern, in Deutschland etwa 1000, in Europa rund 10000 Angestellte, „über die große Zahl darf ich nicht nachdenken“. Außerdem sitzt er „für die Kinosäule“ im Landes- und Bundesvorstand der neuen Fachgruppe Medien und ist Vorsitzender des Tarifausschusses Kino auf Bundesebene. All dies tut er richtig gerne. „Ich bilde mir ein, die Welt ein bisschen besser zu machen, wenn ich für gerechte Entlohnung und bessere Arbeitsbedingungen arbeite.“ „Kämpfe“ sagt er nicht, obwohl er es natürlich tut, aber bei Thomas Winzberg fehlen die martialischen Vokabeln. „Ich will Transparenz schaffen und Informationen vermitteln.“ In der Kinobranche gibt es viele Baustellen: Bis Ende der 90er Jahre gab es einen Tarifvertrag mit dem „Hauptverband Deutscher Filmtheater (HDF)“, dann sind Cinemaxx und Ufa aus dem Verband ausgetreten und zahlen derzeit 6,50€ Stundenlohn, wogegen die Cinemaxx-Kollegen in Bremen, aber auch andere, beispielsweise immer wieder streiken. Die UCI ist im Arbeitgeberverband geblieben, „wir haben uns gerade auf eine moderate Lohnsteigerung geeinigt“, sagt Winzberg. Die Arbeitsbedingungen in der Branche werden schlechter, die Arbeitsverdichtung nimmt zu. Auch die Zukunft bei UCI ist offen: „Wir gehören seit vier Jahren einer sogenannten ‚Heuschrecke’, bislang waren die Veränderungen minimal, aber eine Restrukturierung ist nach fünf Jahren zu erwarten.“
Studium der Sozialwirtschaft
Winzberg lernte nach der Realschule Industriekaufmann, arbeitete in einer Werbeagentur, die er später übernahm und „bis zum Konkurs“ weiterführte. Er machte das Abitur nach, arbeitete als freier Journalist für Hörfunk und Fernsehen, was er auch heute noch mitunter tut und als er merkte, „dass das ohne Studium nicht gut geht“, studierte er Sozialwirtschaft und machte mit Anfang 30 sein Diplom. Es gab keine „besondere Leidenschaft“ für das Kino, der Job als Filmvorführer aber bot sich mit seinen studentenfreundlichen Arbeitszeiten als Gelderwerb während des Studiums an. Bis heute ist Winzberg „gerne Filmvorführer geblieben“. Als er in Duisburg anfing, gab es dort keinen Betriebsrat, dafür gerade eine Art „informellen Streik“ wegen schlechter Arbeitsbedingungen. Der Neue wurde prompt zum Sprecher der Belegschaft gewählt, man gründete einen Betriebsrat, dessen Vorsitzender er dann auch wurde. In die IG Medien war Winzberg als studierender freier Journalist eingetreten, übrigens ohne Vorbild. „Ich bin zwar Arbeiterkind, aber es gab keine gewerkschaftliche Prägung im Elternhaus.“ Die ver.di-Strukturen findet er noch zu komplex: „Die Matrix ist nervig. Da bleibt noch viel zu tun, immerhin ist die neue Fachgruppe Medien ein echter Fortschritt.“
Unterwegs auf Kinotour
Die vielen ämterbedingten Reisen bewältigt Thomas Winzberg fast ausschließlich mit dem Zug, neben dem unvermeidlichen Aktenlesen kann er dort in Ruhe Filme gucken. Wenn es irgend geht „nehme ich morgens den ersten Zug hin und abends den letzten zurück, damit ich zu Hause übernachten kann“. Zu Hause in der Nordeifel wartet „mein Hobby“: Otto, der „beagleähnliche“ Hund und das Mountainbike, mit dem er im letzten Sommer über die Alpen von Garmisch nach Italien geradelt ist. „Ziemlich untrainiert, aber davon habe ich jahrelang geträumt“, im Gepäck Josef von Eichendorffs „Aus dem Leben eines Taugenichts“ in der Dünndruckausgabe von Reclam, „weil die so schön leicht war“. Gelesen hat er das Buch aber auch und freut sich jetzt auf den neuen „Harry Potter“, den er mag, obwohl er normalerweise lieber Sachbücher liest. Mit einem „Harry Potter“ in der englischen Originalausgabe hat er sein Schulenglisch aufgebessert, denn als Vorsitzender des Europäischen Betriebsrats „ist es gut, in englisch verhandeln zu können“. Und ab und zu sieht sich der Filmvorführer auch einen Film an. Zuletzt gefielen ihm „Das Leben der Anderen“ und „Wo ist Fred“ mit Till Schweiger: „Herz, Schmerz, lustig.“
Ab Mitte November ist Thomas Winzberg mit acht Kollegen aus Kinobetrieben im Bus unterwegs: Er organisiert eine Tour zu Kinos ohne Betriebsrat quer durch die Republik. „Nur mit Lohndrückerei sind noch nie Arbeitsplätze erhalten worden“. Das will er vermitteln. „Wir müssen dafür sorgen, dass das Arbeitsfeld Kino nicht zum Niedriglohnsektor verkommt.“ Was immer man von den Forderungen der Lokführer der GdL halten mag, Thomas Winzberg erhofft sich durch deren Streiks, „einen Mitnahmeeffekt, einen Schwung, der in ver.di hineinwirkt, weil die Leute merken, was Solidarität und Gewerkschaft bewirken.“