Erste Opfer der Preistreiberei – Nicht mal Kirchs Medienmonopoly kann Premiere World noch helfen
Das musste man als Eishockey-Freund gesehen haben: Tausende feierten in der Kölnarena noch lange nach dem Schlusspfiff die deutsche Mannschaft, obwohl sie gerade gegen Finnland aus dem Turnier ausgeschieden war. In allen drei Stadien der Eishockey-WM gab es eine Euphorie, wie sie diese Sportart hierzulande noch nie erlebt hat. Leider bekam man außerhalb der Arenen kaum etwas davon mit. Denn im Gegensatz zu früheren Jahren, als sportliche Spektakel dank der Übertragung im Fernsehen die gesamte Nation elektrisierten, war die Öffentlichkeit nun weit- gehend ausgeschlossen: Das Eishockey-Ereignis fand auf Premiere World statt.
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Leo Kirch, nach dem endgültigen Ausstieg der RTL-Group Alleinherrscher über Deutschlands einziges Pay TV und schon immer so etwas wie der Buhmann der hiesigen Medienbranche, hat sich erneut den Unmut der Sportfans zugezogen. Sie machen ihn völlig zu Recht bereits für die Zersplitterung der Fußballbundesliga verantwortlich: Weil Premiere World jede Begegnung live überträgt und man für jedes Spiel extra bezahlen muss, spielt die Liga nun freitags, samstags nachmittags, samstags abends und sonntags.
Doch die Zuschauer zahlen erfahrungsgemäß nur dann, wenn ihnen die Extragebühr auch Exklusivität garantiert. Die Bundesliga gibt es jedoch auch in „ran“, die Formel 1 wird zeitgleich (allerdings mit Werbeunterbrechungen) bei RTL übertragen. Mit der Eishockey-WM aber wollte Kirch endlich diese Exklusivität herstellen. Nun konnte keiner mehr geringschätzig resümieren: Wer keinen Decoder für Premiere World besitzt, hat auch nichts verpasst. Im Gegenteil. Die deutsche Mannschaft spielte so gut und so konstant wie noch nie bei einem derartigen Turnier und kam bis ins Viertelfinale.
Da dies vorher kaum zu erwarten war, wird vermutlich kaum jemand extra wegen Eishockey die „Sports World“ abonniert haben, das Sportpaket von Premiere World; mit knapp 30 Mark pro Monat (plus Decodermiete) ist es schließlich nicht gerade billig. Wer sich außerdem noch die Champions League, internationalen Fußball und pro Spieltag zwei Bundesligabegegnungen gönnen möchte, muss für das Zusatzpäckchen „Kick“ noch mal 10 Mark drauf legen. Die komplette Liga gibt’s nur im Superdom; hier kostet jedes Spiel extra.
Öffentlich-Rechtliche unter Druck
Auch die Rechte an den nächsten beiden Fußball-Weltmeisterschaften liegen bei Leo Kirch. Premiere World zeigt sie jeweils komplett. Bei der WM 2002 dürfen sich ARD und ZDF für 10 Millionen Mark pro Begegnung nur das jeweilige Top-Spiel des Tages ‚rauspicken. Mit diesem Geld ließen sich übrigens mindestens drei Fernsehfilme produzieren, und die kann man – im Gegensatz zum einmaligen Fußballereignis – immer wieder zeigen. 2006 sind die Spiele sogar doppelt so teuer. Trotzdem sind die Intendanten von ARD und ZDF bereit zu zahlen; sie haben Angst, bei der WM im eigenen Land ausgeschlossen zu sein. Ein gesellschaftlichen Ereignis von derart nationaler Bedeutung: Da hätten die Zuschauer (und vor allem konservative Medienpolitiker) unter Garantie die berüchtigte Gebührenfrage gestellt.
Bei nüchterner Betrachtung und unter Verzicht auf politischen Populismus muss man allerdings feststellen: 20 Millionen Mark – so gut und bedeutend kann ein Fußballspiel gar nicht sein. Allenfalls Halbfinals oder Endspiele mit deutscher Beteiligung können Zuschauerzahlen in gleicher Größenordnung erreichen. Doch die astronomischen Kosten sind symptomatisch für eine explosionsartige Entwicklung auf dem Sportrechtemarkt: Auf einmal glauben Händler und Sender, sie würden ihr Heil nur noch in sportlichen Großveranstaltungen finden.
Dabei gibt es derzeit bloß zwei Sportarten, mit denen sich auch gute Quote machen lässt: Fußball und Formel 1. Diese Erkenntnis war eine bittere Erfahrung für die Luzerner Firma International Sports Media & Marketing (ISMM) und ihre Tochter International Sports Leisure (ISL), die in den vergangenen Jahren viel zu viel Geld ausgegeben hat. Die Vermarktung der ATP-Serie ließ sich ISL 1,2 Milliarden Dollar kosten, obwohl das Interesse an Tennis weltweit rapide abgenommen hat. Außerdem investierte man dreistellige Millionensummen in den amerikanischen Motorsport und in zwei brasilianische Fußballclubs.
Das entpuppte sich als Fass ohne Boden. Selbst die äußerst lukrativen Rechte an den nächsten beiden Fußballweltmeisterschaften, die ISL gemeinsam mit Leo Kirch erwarb, konnten dieses Debakel nicht wieder ausgleichen; die Verluste der Firma liegen bei gut 670 Millionen Schweizer Franken. Prompt meldeten sich Gönner, die ihre große Chance witterten, Kirch endlich auch im Bereich der Sportrechte Paroli bieten zu können: Der global agierende Medienkonzern Vivendi Universal (Canal Plus) will gemeinsam mit der RTL Group ISMM/ISL übernehmen. Beide Gruppen werden ohnehin in Zukunft bei den Sportrechten zusammenarbeiten. Kommen sowohl die Fusion ihrer Marketingtöchter Ufa Sports und Sports Plus wie auch der Erwerb der Schweizer Firma zustande, entstünde auf diese Weise Europas größter Sportrechtehändler.
Kirch am Ball
Leo Kirch seinerseits kann die Entwicklung relativ gelassen verfolgen, denn er hat sich beizeiten die wichtigsten Rechte gesichert: Dank der Akquirierung von EM.TV kontrolliert Kirch 75 Prozent des Formel-1-Vermarkters SLEC; er besitzt die Europa- und USA-Rechte an den WMs 2002 und 2006 (Kosten: über 2 Milliarden Mark). Außerdem gehören ihm noch bis 2005 für 750 Millionen Mark pro Saison die Senderechte an der deutschen Fußball-Bundesliga.
Trotzdem dürfte der Münchener Medienmogul mit all seinen Rechten nicht recht glücklich werden: Sein Sorgenkind Premiere World funktioniert immer noch nicht, obwohl das Bezahlfernsehen alle Bundesligaspiele live überträgt und den Formel-1-Fans Motorsport auf höchstem sportjournalistischen Niveau (und ohne Werbeunterbrechung) präsentiert. Und wenn Bayern München in der Champions League schon dienstags spielt (wie zum Beispiel beim Hinspiel in Madrid), ist man dank „Kick“ exklusiv dabei.
Neue Allianzen
Jetzt schmiedet der gewiefte Kirch auch im Free TV ungewöhnliche Allianzen. Schon für die Fußball-WM im kommenden Jahr hatte RTL-Informationsdirektor Hans Mahr signalisiert, dass er sich RTL durchaus als WM-Sender vorstellen könnte; gern auch in Zusammenarbeit mit Sat 1, selbst wenn dies ein Kirch-Sender ist. Kooperationen zwischen RTL und der Kirch-Gruppe gab es in der Vergangenheit zwar höchst selten, doch in Zukunft sind sie unvermeidlich: Schließlich musste Kirch den Automobilherstellern zusichern, dass die Formel 1 nicht im Pay TV verschwindet; da holt er sich das Geld natürlich lieber von RTL als von Sat 1. Und obwohl ARD und ZDF die überteuerte WM 2002 sicher auch im Hinblick auf die Übertragungsrechte des Spektakels vier Jahre später in Deutschland erworben haben: Eine Garantie für die WM 2006 haben sie nicht. Wenn RTL nur tief genug in die Tasche greift, wird es Kirch halten wie der alte Adenauer: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern.
Tilmann P. Gangloff arbeitet als freier Medienfachjournalist in Allensbach für Medienzeitschriften und Tageszeitungen.