Kritischer Blick auf das beliebte Fußball-Spektakel im Fernsehen
Die Millionenquoten lassen den Verantwortlichen bei ARD und ZDF das Herz hüpfen, auch wenn sie streng genommen nicht viel zum Triumph beigetragen haben: Für die Spannung auf dem Platz sorgten die Spieler, die Bildregie oblag der Uefa, und die Qualität der zuweilen ausufernden Rahmenberichterstattung ließ mitunter heftig zu wünschen übrig. Es ist also ein gekaufter Sieg, der dazu führen wird, dass ARD und ZDF dank EM und Olympia dem ewigen Marktführer RTL endlich mal wieder den Jahressieg streitig machen können.
Geld schießt eben doch Tore, wie man im Fußball schon lange weiß. Und wenn man am Ende den Titel holt – noch so eine Fußballerweisheit –, interessiert sich später keiner mehr dafür, ob man dabei immer geglänzt hat.
Hinterfragen aber darf und soll man das Spektakel trotzdem. Geschätzte 110 Millionen Euro haben ARD und ZDF für die 31 Spiele der Euro 2012 bezahlt; ein stolzer Preis, wenn man bedenkt, dass das Verfallsdatum solcher Ereignisse identisch mit dem Ausstrahlungsdatum ist: Im Gegensatz zu Filmen, Serien oder Dokumentationen werden Fußballspiele in der Regel nicht wiederholt. Außerdem bezieht sich die Summe allein auf den Rechteeinkauf. Kleinere Sender mögen mit dem gelieferten Material der Uefa zufrieden sein, aber ARD und ZDF sind es sich und uns natürlich schuldig, für eigenes Material zu sorgen. Das ist auch gut so, denn man kann sich lebhaft vorstellen, wie ein Privatsender die Veranstaltung ganz im Sinne des europäischen Fußballverbands allein auf den Sport reduziert hätte; Uefa-Boss Michel Platini hat ja schon Anstoß an den vergleichsweise braven Hinweisen einiger Spieler auf die politischen Verhältnisse in der Ukraine genommen.
Echtzeitlücken
Aus dem gleichen Grund sollten auch die Aufnahmen aus den Stadien eine heile Fußballwelt vorgaukeln. Alles, was dieses Gesamtbild hätte beeinträchtigen können, ist ausgeblendet worden. Sendern, die nicht mit eigenen Kameras vor Ort waren, blieb nichts anderes übrig, als das böse Spiel mitzumachen. Als Zuschauer von ARD und ZDF aber sah man auch, was sich jenseits des „Weltbilds“ ereignete: die regelmäßig gezündeten Bengalos und Rauchbomben im Fanblock der kroatischen Zuschauer zum Beispiel; oder beim Spiel Polen gegen Russland ein riesiges martialisches Transparent, das einen Schwertkämpfer und den Schriftzug „This is Russia“ zeigte. Gemessen an solchen Echtzeitlücken war es beinahe eine Petitesse, dass alle Welt über die Gelassenheit von Joachim Löw staunte, als er einem Balljungen beim Spiel gegen Holland einen Streich spielte. Später stellte sich raus, dass die Szene vor dem Anpfiff aufgenommen worden und dann ins Live-Bild integriert worden war. Der Bildregisseur des von der Uefa verpflichteten „Host Broadcaster“ wird sich nichts dabei gedacht haben, doch der harmlose Betrug an der Wirklichkeit offenbarte, wie sehr sich die übertragenden Sender bei Turnieren dieser Art auf Gedeih und Verderb dem Veranstalter ausliefern.
Aber die Fußballspiele waren ja nur die eine Seite der Medaille. Die Kehrseite war das Rahmenprogramm, meist doppelt so lang wie die jeweilige Übertragung. Angesichts der Euphorie, mit der die Nation die Auftritte der deutschen Nationalmannschaft seit dem „Sommermärchen“ 2006 begleitet, kann man als Sender im Grunde nicht viel falsch machen. Die Quote kennt ja nur schwarz oder weiß, eins oder null. Ist sie hoch, muss die Sendung gut gewesen sein. Rein quantitativ können sich ARD und ZDF also bestätigt fühlen: Die Rundum-Berichterstattung hatte stolze Zuschauerzahlen; und das lag sicher nicht nur daran, dass die Senderkonkurrenz in vorauseilendem Gehorsam die Waffen gestreckt hat. Also wird Katrin Müller-Hohenstein auch beim nächsten Turnier wieder dilettieren dürfen, selbst wenn es aus journalistischer Sicht unerträglich ist, wie sie sich Oliver Kahn zu Füßen wirft, um aus der Zwergenperspektive des Laien uninspirierte Fragen zu stellen. Am ersten ZDF-Tag war auch noch der Ton asynchron, so dass man sich im falschen Film wähnte, der zudem schlecht synchronisiert war.
Flotte Sprüche
Da Kahn pausenlos Plattitüden produziert, lassen sich seine fraglos vorhandenen Fachkenntnisse gar nicht richtig beurteilen. Mit Mehmet Scholl hat die ARD ohnehin den deutlich unterhaltsameren Experten. Allerdings schien er selbst etwas erschreckt darüber, welche Wellen man in dieser Funktion schlagen kann: Seine Kritik an Mario Gomez’ vermeintlich mangelnder Einsatzfreude beim deutschen Auftaktspiel gegen Portugal – „Ich hatte zwischendurch Angst, dass er sich wund liegt und mal gewendet werden muss“ – bewegte die Republik tagelang. Fortan hielt sich Scholl, sonst immer für einen flotten Spruch zu haben, merklich zurück.
Kein Wort an dieser Stelle zur Talkshow von Woldemort Hartmann und anderen Verbrechen an der Zuschauerschaft, statt dessen lobende Worte über die sonst gern geschmähten Kommentatoren. Béla Réthy wird für seine Reportage während eines durch ein Unwetter sechzig Minuten lang unterbrochenen Regenspiels keinen Fernsehpreis bekommen, aber er überbrückte die Zeit originell, mit Selbstironie und boshaften Seitenhieben. Gleichfalls großes Lob hat Tom Bartels verdient, als er in der Schlussphase des Spiels der Spanier gegen die Iren minutenlang schwieg, damit man die ergreifenden Gesänge der irischen Fans genießen konnte. Und dann war da noch Gerd Gottlob, der sich getreu eines Aphorismus’ von Antonio Skármeta („‘Wir pflügen’, sagte die Fliege auf dem Rücken des Ochsen“) im Überschwang der Euphorie mit fremden Federn schmückte: „Wir sind dreifacher Europameister“ oder auch „Wir stehen gut“, sagte er gern; aber nur, so lange die deutsche Defensive auch hielt. Hatte er etwas auszusetzen, ging er prompt auf Distanz, da hieß es dann „die Deutschen“; menschlich verständlich, aber auch sehr bezeichnend. Aber wenn man’s wie Gottlob hält, gibt es am Schluss ohnehin nur Sieger: Wir gewinnt.