„Wieso Recherche-Kurse? Wir haben doch Google!“

Trainingshandbuch Recherche als wichtiges Handwerkszeug

Vor dem Hintergrund der Ausbreitung von Infotainment und Partyjournalismus hat nicht nur die Recherche, sondern auch die Rechercheausbildung einen schweren Stand. Deshalb hat Netzwerk Recherche jetzt das „Trainingshandbuch Recherche“ herausgebracht. Eine Textsammlung, die sich in erster Linie an Trainer und Dozenten richtet. Der Vorsitzende der Vereinigung, Thomas Leif, sieht in dem Buch einen wichtigen Beitrag dazu, die Recherche als Qualitätssicherungsinstrument im Journalismus zu fördern: „Die Recherche-Ausbildung für Journalisten muss irgendwann genauso selbstverständlich sein wie der Führerschein, der von jedem Berufsanfänger erwartet wird.“

Das 224-seitige Werk ist hervorgegangen aus der Tagung „Train the Trainer“, die die Journalistenvereinigung im Januar 2003 mit Unterstützung der Evangelischen Medienakademie, der dju in ver.di und der Zentralen Fortbildung von ARD und ZDF (ZFP) in Berlin veranstaltet hat. 20 Autoren und eine Autorin, allesamt ausgewiesene Recherche- und Coaching-Profis, beleuchten darin unterschiedliche Aspekte der professionellen Informationsbeschaffung. „Wieso Recherche-Kurse? Wir haben doch Google!“, fragt beispielsweise Stefan Robiné und verweist damit auf ein Problem, das Albrecht Ude näher beleuchtet: „Die Suchmaschine ist so bekannt, dass mancher nirgends sonst recherchiert.“ Zwar wendet sich Matthias Spielkamp in seinem Beitrag gegen die „Googlesierung“ bei der Informationsbeschaffung. Gleichzeitig gibt das Buch Tipps für eine erfolgreiche Internet-Recherche. Dass man auch nur durch gezieltes Beobachten seiner Umwelt erfolgreich recherchieren kann, zeigt Timo Rieg.

Nachvollziehbare Beispiele aus der Praxis liefern Manfred Redelfs über legalen Giftmüllexport in Form der Schiffsverschrottung in Indien und Gottlob Schober über die Affäre Telekom. Werkstattgespräche mit Claus Richter (Frontal 21), Hans Leyendecker (Süddeutsche Zeitung) und Fernsehjournalist Christoph Maria Fröhder erlauben Einblicke in die Arbeit bekannter Kollegen. Hinweise für die sinnvolle Anwendung eines „unterschätzten Werkzeugs der Informationsbeschaffung“ finden sich im Beitrag von Thomas Leif zum Thema Telefon-Recherche. Venio Piero Quinque beschäftigt sich mit den juristischen Grenzen des investigativen Journalismus.

Bei einem Buch, das erklärtermaßen die Rechercheausbildung fördern will, überrascht nicht, dass sich mehrere Kapitel ausschließlich mit Didaktik und Methodik der Wissensvermittlung beschäftigen. Aber auch alle anderen Kapitel werden immer wieder unterbrochen von guten Ratschlägen für Seminarleiter. Hier wäre etwas mehr Zurückhaltung zugunsten ausführlicherer Darstellungen aus der journalistischen Praxis der Lust an der Recherche und deren Vermittlung dienlicher gewesen. Trotzdem bietet das Buch auch für solche Journalistinnen und Journalisten, die keine Seminare leiten, sondern nur ihr eigenes Handwerkszeug vervollkommnen wollen, wichtige Informationen und Impulse, die woanders nicht zu bekommen sind.


Mathias Thurm
Trainingshandbuch Recherche
Informationsbeschaffung professionell
Hrsg.: Netzwerk Recherche
Westdeutscher Verlag Wiesbaden 2003, 224 Seiten, 17,90 Euro
ISBN: 3-531-14058-2

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Wie ethisch kann KI berichten?

Ein ethischer Kompass ist angesichts zunehmender Desinformation immer wichtiger – für Journalist*innen, aber auch Mediennutzende. Positivbeispiele einer wertebewussten Berichterstattung wurden jüngst zum 20. Mal mit dem Medienethik Award, kurz META, ausgezeichnet. Eine Jury aus Studierenden der Stuttgarter Hochschule der Medien HdM vergab den Preis diesmal für zwei Beiträge zum Thema „Roboter“: Ein Radiostück zu Maschinen und Empathie und einen Fernsehfilm zu KI im Krieg.
mehr »

VR-Formate im Dokumentarfilm

Mit klassischen Dokumentationen ein junges Publikum zu erreichen, das ist nicht einfach. Mit welchen Ideen es aber dennoch gelingen kann, das stand auf der Sunny Side of the Doc in La Rochelle im Fokus. Beim internationalen Treffen der Dokumentarfilmbranche ging es diesmal auch um neue Erzählformen des Genres wie Virtual Reality (VR).
mehr »

krassmedial: Diskurse gestalten

Besonders auf Social-Media-Plattformen wie TikTok und Telegram verbreiten sich rechtsextreme Narrative, die zur Polarisierung der Gesellschaft beitragen. Wie Journalist*innen dem entgegen wirken und antidemokratische Diskursräume zurückgewinnen können, diskutierten und erprobten etwa 70 Teilnehmende der diesjährigen #krassmedial-Sommerakademie von ver.di am Wochenende in Berlin-Wannsee.
mehr »

KI-Bots: Kompletten Schutz gibt es nicht

KI-Bots durchstreifen das Netz, „scrapen“, also sammeln dabei auch journalistische Inhalte, um damit KI-Modelle wie Chat GPT zu trainieren. Welche technischen Maßnahmen können Journalist*innen ergreifen, um ihren Content zu schützen? Tipps des KI-Beraters Branko Trebsche.
mehr »