Freie sind keine Unternehmer
Keine Frage, freie Journalisten sind bisweilen unternehmungsfreudig und innovativ. Aber sind sie deswegen als „Unternehmer“ zu bezeichnen? Ausgerechnet bei ver.di-Versammlungen äußern freie Journalisten zunehmend, sie verstünden sich als Unternehmer. Gekoppelt ist dies bisweilen mit dem Vorhaben, mehr „Kundenpflege am Redakteur“ betreiben zu wollen. Nun könnte man sich über diesen neoliberalen Trend empören – zumindest aber verwundern: Woher resultiert er bloß?
Verwunderlich ist eine solche Selbsteinschätzung in der Tat gerade in derzeitigen Krisenzeiten – angesichts realer Dumping-Honorare, die in der Medienbranche gezahlt werden. Man braucht übrigens gar nicht bei Karl Marx nachzuschlagen, um diese These absurd zu finden. Und doch hat dessen Theorie erstaunlichen Aktualitätswert. Marx beschrieb den Unternehmer als Profiteur der Arbeitskraft, den Mehrwert einstreichend, den der Arbeiter der Ware beisetzt. Diesen bekomme der Malocher nicht ausgezahlt, stattdessen erhalte er einzig die Kosten seiner Reproduktion. Der Unternehmer, oder auch „Kapitalist“, wie Marx ihn dereinst beschrieb, zeichnete sich also mitnichten dadurch aus, nur etwas „unternehmen“ zu wollen. Sein Ziel: die Vermehrung und Akkumulation des Kapitals, so schrieb der alte Meister. Aber lassen wir den ollen Marx in der Mottenkiste, man kann auch einfach in ein jeglicher Weltanschauung unverdächtiges dtv-Lexikon schauen: Als Unternehmer wird hier entweder die Person des Eigenkapitalgebers oder die des Managers bezeichnet, weil deren beider Funktion es sei, „für das optimale Zusammenwirken von Kapital und Arbeit zu … sorgen“.
Nun ist von den meisten freien Journalisten schwerlich zu behaupten, ihr explizites Hauptanliegen sei die Vermehrung des Kapitals. Und wäre es das, müsste man ihnen wohl mitleidig kopfschüttelnd mitteilen, dass sie den falschen Job gewählt haben. Hauptbegehr des journalistischen Berufsstandes sollte eher sein, mit einiger Leidenschaft als Bewahrer der Pressefreiheit aufzutreten. Um dies zu tun, ist es allerdings schon manchmal Essig mit der so viel beschworenen „Kundenpflege am Redakteur“. Der freie Journalist verkauft nämlich keine maschinell hergestellte Ware, sondern geistige Überzeugungen, Analysen und Tatsachenrecherchen. Und die lassen sich nun mal nicht als Konfektionsware reibungslos in Markt- und Machtverhältnisse einpressen und werbeträchtig verkaufen.
Oft wie Tagelöhner
Im Gegensatz zum Redakteur, der im direkten Auftrag des Zeitungsverlegers oder Senderintendanten steht, ist der freie Journalist freilich vielfach unabhängiger. Er ist nicht in hausinterne Hierarchien eingegliedert. In einer produktiven Zusammenarbeit wissen Freie und Festangestellte um dieses Spannungsverhältnis. Um die Qualität des Produktes wird miteinander gerungen, wobei mitunter Interessenskollisionen auftauchen. Dem Produkt tut es gut, wenn zwischen Redakteur und freiem Journalist ein bisweilen auch streitbares Verhältnis besteht. Der Freie ringt dem Angestellten bisweilen durch schlüssige Argumentation ab, Zivilcourage vor seinem Arbeitgeber zu zeigen, was sperrige, kantige oder rebellische Inhalte betrifft. Der Redakteur sieht sich oft genötigt, den Freien im Honorar zu drücken – und agiert insofern wie ein Subunternehmer.
Kurz, zwischen unternehmerischem und journalistischem Anliegen besteht ein Interessensgegensatz. Im übrigen fehlt den meisten freien Journalisten das Eigenkapital, an Produktionsmitteln besitzen sie lediglich jene, mit denen sie selbst arbeiten. Die meisten streichen auch keinen Mehrwert ein, sondern erbringen nur den Ertrag ihrer eigenen Arbeit. Sie sind keine Arbeitgeber und können insofern auch kein sogenanntes Unternehmer-Risiko tragen.
Gewerkschaftsstrategisch ist die These, dass „Freie“ Unternehmer sind, erst recht unsinnig. Ginge man davon aus, sie wären es – hätten sie gar keinen Bedarf an gewerkschaftlicher Interessensvertretung! „Freie“ würden von entsprechenden staatlichen Subventionen und unternehmerfreundlicher Gesetzgebung profitieren.
Die reale Situation freier Journalisten sieht anders aus: Sie verdingen sich vielfach als Tagelöhner. Mal von dieser Zeitung ein paar Aufträge, mal von jenem Sender. In ihrem Interesse liegt es demzufolge, Bestandsschutz zu erhalten. Nach rund zehn Jahren freier Mitarbeit nicht etwa gefeuert zu werden, weil vielleicht ein neuer Redakteur einzieht, der nach beliebiger Kumpanei Aufträge vergibt. Weiterhin liegt es im Interesse der „Freien“, Mindesttarife zu beziehen, um nicht für wenige Cents pro Zeile am Hungertuch nagen müssen.
Sinnvolle Strategie
Eine sinnvolle Strategie für Gewerkschaften wäre es, diese Anliegen ernst zu nehmen.
Und die damit verbundenen Forderungen an Betriebsräte in Medien-Unternehmen heran zu tragen. Damit diese – trotz des oben erwähnten Spannungsverhältnisses zwischen Festangestellten und „Freien“ – die Interessen „Freier“ gegenüber dem Unternehmer vertreten. Es muss aufhören, dass 50-Jährige nach langem zuverlässig-pünktlichem Zuliefern präziser Recherchen willkürlich geschasst werden können. Denn wer ist schon forever young?
Die individuelle Vertretung eigener Interessen – „och, wenn ihr so schlecht zahlt, gehe ich lieber spazieren“ – können sich nur betuchte Kollegen erlauben. Und die könnten schließlich Unternehmer werden, falls sie die spezifische Aufgabenstellung als Herausforderung reizt. Doch dann sind sie keine Journalisten, sondern Unternehmer.
Gitta Düperthal
Unternehmerisch denken!
„Freie“ als das hinterletzte ausgebeutete Nichts, die industrielle Reservearmee, die weit außerhalb des Speckgürtels der Stammbelegschaften ihr kärgliches Dasein fristet? Ich kann das Gejammere nicht mehr hören.
Da draußen sind anscheinend lauter freiberufliche Menschen, denen es zuerst um die gute Sache geht, in dritter Linie erst ums Geld und die deshalb weder ihre Produkte noch ihre Arbeitskraft als Ware ansehen möchten. Leute, die draußen vor den Werkstoren um Zuneigung und Anerkennung ihrer Arbeit betteln. In besonders kämpferischen Momenten fordern sie auch mal was: Mindesthonorare und Kündigungsschutz und Sicherheit und überhaupt: eine möglichst weitgehende Gleichstellung mit den Angestellten da drinnen. Ihre Wünsche soll eine Interessenvertretung wie ver.di erfüllen, aber möglichst ohne eigenes Risiko.
Sicherheit? Ständig begegnen mir Kolleginnen und Kollegen, die aus der Schein-Sicherheit einer „Fest“-Anstellung in die Arbeitslosigkeit „frei“-gesetzt wurden. Den Anspruch auf Arbeitslosengeld und Zuschüsse für die Gründung einer (unaussprechlichen) „Ich-AG“ haben sie den „Freien“ voraus. Aber wo ist sie nun eigentlich geblieben, die Arbeitsplatz-Sicherheit der Angestellten, deren Fehlen viele Freie so sehr für sich beklagen?
Seminare helfen
Den gerade entlassenen Kolleginnen haben die Selbstständigen einiges voraus. Sie kennen das Gefühl, vor dem Nichts zu stehen. Die Perspektive, zum Sozialamt gehen zu müssen, wenn nichts passiert. Aber die – freiwillig – Selbstständigen wissen, was sie dagegen tun können, und sie tun es seit Jahren.
Gerade jetzt, in der Krise, zeigt sich, worauf aktive Selbstständige eine relative Sicherheit für ihr Arbeitsleben gründen können: Es ist unternehmerisches Denken und Handeln. Das wird seit Jahr und Tag in den Freiberufler-Seminaren der IG Medien und von ver.di gelehrt – mit und ohne Krise und unabhängig davon, wie stark neoliberales Denken gerade in Mode ist. Aber was bedeutet unternehmerisches Denken bei einer einzeln arbeitenden Arbeitskraft-Unternehmerin?
Freie oder andere Alternativen
Es heißt für Selbstständige: – anzuerkennen, dass ihr Produkt eine Ware ist, so spielerisch und schöpferisch es auch hergestellt wurde. Die Medienunternehmen wissen das sowieso, und deshalb können sie die Masse der naiven Freien ausnutzen, deren Schöpfer-Stolz einem Kampf um angemessenere Preise im Wege steht.
– sich nicht treiben zu lassen von dem, was der Markt von ihnen angeblich will oder nicht will, sondern bewußt selbst die Richtung bestimmen, in die sie gehen wollen.
– die Arbeitsfelder zu diversifizieren und sich nicht von einzelnen Auftraggebern abhängig zu machen.
– aktive Akquise-Arbeit als notwendigen und dauerhaften Bestandteil ihrer Tätigkeit zu begreifen, und nicht als etwas Minderwertiges, das nur jugendliche Anfänger machen müssen.
– unternehmerisch kühl zu konstatieren, wenn sich ein Arbeitsfeld – etwa für die mies zahlende Lokalredaktion – einfach nicht rentiert.
– und dann, wenn es nach eingehender Prüfung wirklich keine unternehmerische Alternative gibt oder er / sie nicht für’s freiberufliche Arbeiten geeignet ist, den richtigen Schluss daraus zu ziehen und zum Beispiel in den Organisationsbereich der Gewerkschaft NGG zu wechseln. Lieber in der Kneipe bedienen. Das macht weniger Stress und bringt das gleiche Geld wie die Arbeit als „Kölnische-Rundschau-Freier“.
Lauter unternehmerisch denkende „Freie“ – das hat auch Konsequenzen für die Auftraggeber, die angestellten Kolleginnen und Kollegen. Sie müssen akzeptieren, dass freie Mitarbeiterinnen sich nicht an sie binden – und ihnen somit auch nicht immer zur Verfügung stehen. Besitzanzeigende Genitive und Bindestriche werden dann seltener. Die „Süddeutsche-Freien“ und die freien Mitarbeiterinnen „des“ Tagesspiegel wären dann nicht derart brutal aus ihrer nur scheinbaren Sicherheit gerissen worden. Gut für die Qualität ist’s zudem, wenn die Auftraggeber spüren, dass „ihre“ Freien Alternativen haben.
Unabhängig bleiben
Journalisten scheinen mit solcher Denke die meisten Probleme zu haben. Anscheinend müssen eineinhalb Jahrezehnte nach Gründung der IG Medien sogar Teilnehmerinnen der 1. ver.di-Selbstständigenkonferenz zudem immer wieder daran erinnert werden, dass es – außer ihrem geliebten Journalistenberuf – sehr verschiedene Tätigkeitsfelder von Selbstständigen aus dem Organisationsbereich von ver.di gibt. Nicht alle haben Medienunternehmen zum Auftraggeber.
Für Scheinselbstständige und manche Bindestrich-Freien sollten wir weiterhin einen Anstellungsvertrag fordern. Sicherer für den Rest ist es, sich nicht zu sehr an einen Auftraggeber zu binden. Also genau die entgegen gesetzte Richtung von dem, was viele Bindestrich-Freie möchten.
Solidarität tut Not
In ver.di und mit Hilfe von ver.di gibt es genügend Felder, auf denen Solidarität und kollektives Handeln von Selbstständigen und für Selbstständige äußerst viel Sinn machen. Bestandsschutz und Mindestvergütungen gehören dazu, und sie werden seit Jahren gefordert – aber ohne viel Erfolg.
Es wäre ein Fehler, wenn sich ver.di nur für arme Socken zuständig erklärte. Als Selbstständiger Erfolg zu haben und dabei in der Gewerkschaft zu bleiben, das soll kein Gegensatz sein.
Ulrich Schauen