Medien und SPD verlängern Diskussion um das Lauschgesetz – Wie kann es weitergehen?
Das Ja des Bundesrats zum Großen Lauschangriff war zweideutig: die Verfassungsänderung ist durch, aber die Ausführungsgesetze schmoren noch eine Weile. Vor dem Hintergrund wachsender öffentlicher Kritik hatte sich die SPD in letzter Minute darauf eingelassen, die abschließende Entscheidung aufzuschieben. Sie wird erst im März fallen. Bei Redaktionsschluß dieser Ausgabe war nicht abzusehen, ob es noch nachträgliche Korrekturen gibt, ob es beim bisherigen Entwurf bleibt oder ob es womöglich gar kein Gesetz gibt.
Nachdem der Bundestag am 16. Januar die Änderung des Grundgesetz-Artikels 13, der die Unverletzlichkeit der Wohnung garantiert, mit knapper Zweidrittelmehrheit – vier Stimmen darüber – gebilligt hatte, wurde es im Bundesrat am 6. Februar noch enger: In der Länderkammer gab es nur eine Stimme mehr als nötig, um die Zweidrittelhürde zu übersteigen.
Der Bremer Bürgermeister Henning Scherf (SPD) hatte sich breitschlagen lassen, der Verfassungsänderung die drei Stimmen seines Landes nicht zu verweigern – sonst wäre sie an der Hansestadt gescheitert. Sozusagen als Gegenleistung holte Scherf heraus, daß das Gesetz „zur Verbesserung der Bekämpfung der organisierten Kriminalität“, das Änderungen der Strafprozeßordnung beinhaltet, in ein parlamentarisches Vermittlungsverfahren mußte. Jedenfalls gelang es ihm, dafür die Mehrheit der Länder mit sozialdemokratischer Regierungsbeteiligung zu gewinnen.
Bemerkenswert war, daß an diesem Beschluß formal auch die CDU (die in Bremen mitregiert), die Bündnisgrünen (in den rot/grün regierten Ländern) und die FDP (die in Rheinland-Pfalz mit der SPD regiert) mitwirkten. Ob sich diese ungewöhnliche politische Konstellation im weiteren Gesetzgebungsverfahren aufrechterhalten läßt, ist allerdings zweifelhaft.
In Bonn wurden, bevor das Vermittlungsverfahren beginnen konnte, diese Varianten durchgespielt:
- Es gibt kein Vermittlungsergebnis. Dann lebt der vom Bundestag verabschiedete Gesetzentwurf wieder auf. Dieser könnte von der Mehrheit der Regierungskoalition im Bundestag bestätigt und anschließend vom Bundesrat endgültig beschlossen werden.
- Kein Vermittlungsergebnis, aber im Bundesrat findet sich wieder keine Mehrheit für den alten Gesetzentwurf. In diesem Fall ist das Gesetz gescheitert. Es tritt die groteske Situation ein, daß es dann zwar eine Verfassungsänderung zugunsten des Lauschangriffs gibt, aber kein Ausführungsgesetz.
- Es gibt ein Vermittlungsergebnis mit Korrekturen am bisherigen Gesetzentwurf im Sinne Scherfs. Die Bundestagsmehrheit lehnt ab, dann lebt wiederum der alte Gesetzentwurf auf und landet erneut im Bundesrat, wo er verabschiedet oder verworfen werden kann.
- Es gibt ein Vermittlungsergebnis, im Bundestag kommt durch FDP-Abweichler oder nach Verhandlungen mit der CDU/CSU, bei denen diese nachgibt und sich etwa auf Stimmenthaltung einläßt, eine Mehrheit zustande. Dieser Fall ist unwahrscheinlich, würde aber zu einer Gesetzesveränderung führen, der die Ländermehrheit vermutlich zustimmen würde.
- Am 1. März verliert die SPD bei der niedersächsischen Landtagswahl ihre absolute Mehrheit, und es gibt eine rot/grüne Regierung in Hannover. Dann würde die von Ministerpräsident Gerhard Schröder für den Fall eines gescheiterten Vermittlungsverfahrens angekündigte Zustimmung zum alten Gesetzentwurf (Variante B) fraglich, und es gäbe womöglich kein Gesetz.
Die meisten Prognosen im und ums Bonner Parlament liefen darauf hinaus, daß am Ende das Lauschgesetz in der vom Bundestag verabschiedeten Fassung doch beschlossen wird – also Anwälte, Ärzte, Journalisten, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Drogenberater werden vom Verwanzen nicht ausgenommen. Allerdings waren überraschend Wendungen denkbar, weil es nicht nur bei einer FDP-Minderheit, sondern in verschiedenen Ländern Bereitschaft gab, die Ausnahmen über Geistliche, Strafverteidiger und Abgeordnete hinaus auszudehnen. Und dafür waren drei Beweggründe maßgeblich:
- Die äußerst knappen Mehrheiten in beiden Parlamentskammern,
- die vielfachen Ankündigungen, das Bundesverfassungsgericht anzurufen und
- die öffentliche Debatte.
Am gewichtigsten war zweifellos das urplötzlich und reichlich spät auftauchende Interesse einiger Leitmedien an dem Thema. Jahrelang ignorierten die meisten Zeitungen und Magazine die warnenden Einwände, die in kompromißloser Form von Heribert Prantl in der „Süddeutschen Zeitung“ und von Ferdos Forudastan in der „Frankfurter Rundschau“ vertreten wurden. Erst als „Die Zeit“ mit flammenden Artikeln von Marion Gräfin Dönhöff und Roger de Weck hinterherhechelte und schließlich „Der Spiegel“ mit einem Titel und Kommentar von Rudolf Augstein die Gefahr für die Pressefreiheit beschwor, gab es ein Erwachen in der Medienlandschaft. Vielleicht war es doch nicht zu spät.