Über die Erfahrungen eines deutschen Praktikanten bei der „Baltischen Rundschau“ in Vilnius
Mit dem modernen Reisebus sind es nur 18 Stunden zwischen Berlin und Vilnius. Dennoch ist es wie die Reise in eine andere Welt innerhalb der Grenzen Europas. An der litauisch-polnischen Grenze zeugen tiefe Spurrillen von der Allgegenwärtigkeit der schweren Trucks und Laster, die das Baltikum in emsiger Geschäftigkeit mit Westeuropa verbinden. Kurz vor der litauischen Hauptstadt Vilnius wird der müde Reisende mit einem wunderschönen Blick über eine flache Landschaft und tiefgrüne Wälder belohnt.
In dem traditionsreichen alten Städtchen erlebte ich von Juli bis August mein sechswöchiges Praktikum bei der „Baltischen Rundschau“, der deutschsprachigen Monatszeitung im Baltikum. Mein allmorgendlicher Gang in die Redaktion war dabei gerade für einen Studenten der Politikwissenschaft sehr spannend, befindet sich doch die Redaktion im schweizerischen Generalkonsulat. Direkt neben dem alltäglichen Geschäft des Konsulats wird die Zeitung in einem deutschsprachigen Team durch den Geschäftsmann Bruno Kaspar (Schweizer) sowie die Redakteure Judith B. Lewonig (Österreicherin) und Roland Storck (Deutscher) erstellt. Zur Zielgruppe gehören Vertreter aus Politik und Wirtschaft, Touristen und Studenten aus Deutschland, der Schweiz und Österreich sowie die deutschsprachige Minderheit in Litauen, Lettland und Estland. Allmonatlich erscheinen dann 16 Seiten im Berliner Format in einer 7 000er Auflage.
Spannende Recherche
Schon am zweiten Tag war ich nach der Redaktionskonferenz im Redaktionsalltag im Baltikum angekommen. „Mach doch mal den Artikel zu den beiden EU-Referenden in Lettland und Estland, die im September anstehen“, war danach mein Thema für die folgenden Wochen. Außer den Kontakten der Redaktion, meinem guten Willen und dem ängstlichen Wissen, das im Juli und August „alle potenziellen Quellen“ in den Ferien sind, hatte ich nicht viele Informationen und das machte die Recherche unglaublich spannend. Per E-Mail, Telefon oder Fax grub ich alte Bekannte an den unterschiedlichsten Plätzen wieder aus, ließ mir neue Ansprechpartner vermitteln, strapazierte offizielle Kontakte der deutschsprachigen Botschaften und las unentwegt Pressemitteilungen.
Stressiges Programm
Das Ergebnis war, das ich nach drei Wochen Recherche endlich für zwei Wochen direkt nach Lettland und Estland aufbrechen konnte. Hier erwartete mich ein stressiges Programm mit Interviews bis spät in den Abend hinein. Ich konnte sowohl Mitarbeiter der internationalen Organisationen United Nations und der Europäischen Union aber auch Mitarbeiter der einheimischen Ministerien, Jugendarbeiter und natürlich Jugendliche und Senioren befragen. Dabei ergab sich ein komplexes Bild, erhielt ich doch sowohl positive als auch viele negative Meinungen zum geplanten Referendum über den EU-Beitritt. Die Palette der Ängste reichte von dem Verlust des Arbeitsplatzes, über Preissteigerungen bis hin zu Befürchtungen, dass man mit dem Hund nur noch an der Leine spazieren gehen könne oder dass die lettischen Tomaten nicht das EU-Maß erfüllen und deshalb nicht mehr verkauft würden.
Nachdem ich die Recherchereise fast beendet glaubte, gab es noch ein Schmankerl. Ich konnte ein spannendes Interview mit Juhan Parts, dem 37jährigen Premierminister Estlands führen. In seinem jungen Kabinett ist Parts ein engagierter Befürworter der Europäischen Union, der auf jeden Fall, davon ausgeht, dass die Bevölkerung am 14. September mit „Jah!“ stimmen wird. „Dabei wären 70 Prozent Zustimmung gut, 60 Prozent Zustimmung würde ich erwarten aber auch 51 Prozent reichen für den Beitritt aus“, so Parts.
Neben den vielfältigen Recherchen, die sehr interessant waren, konnte ich zudem unterschiedliche Mentalitäten erleben, die eine unglaubliche Bewegung ausstrahlen. Dabei lernte ich nicht nur, in Englisch zu denken und damit aufzuwachen, sondern habe auch kulturelle Unterschiede kennen- und schätzen gelernt. Die Idee zu einem solchen Praktikum entstand in meinem letzten Urlaub in Litauen. Ich bekam mit, dass die EU-Referenden im Baltikum immer näher rücken.
Besser als Kaffeekochen
Zuerst habe ich in der deutschen Botschaft um ein Praktikum angefragt, die mir aber aus Mangel an Arbeit in der Sommerpause absagte. Sie verwies mich an die „Baltische Rundschau“. Nachdem ich dort nur kurz zur Vorbesprechung vorbei schauen wollte, war ich schon mitten in der Produktion gelandet und hatte Artikelaufträge übernommen. Ich kann jedem jungen Journalisten ein Praktikum im Ausland nur empfehlen, denn aus dem „klassischen Kaffeekochen“ in Deutschland können im Ausland spannende Sachen erwachsen.
www.baltische-rundschau.de
Björn Richter ist einer der Sprecher des Vereins Jugendpresse Deutschland e.V.. Die Organisation hat sich im Frühjahr dieses Jahres aus dem Bundesverband Jugendpresse und der Deutschen Jugendpresse nach 16 Jahren der Trennung zusammengeschlossen.
Der fusionierte Verband hat etwa 10 000 Mitglieder (M 6 / 2003).